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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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Zeiten, wo die Guillotine herrschte, wo Napoleon siegte, konnte man durch die Ereignisse nicht so mißgestimmt werden, wie es jetzt die Männer sind. Denn damals war es das Schicksal, an welches man sich leicht gewöhnte, man sahe Begebenheiten, die vom Zufall oder individueller Energie herrührten, während man jetzt nur Personen als die Faktoren der Dinge beobachten kann, nur partikuläre Jnteressen und verblendete Ansichten. Die Hand an einen Säbel zu haben, der fest genietet ist, erzürnt heftiger, als ihn über das Haupt seines Gegners zu schwingen. So werden die Männer jetzt in einer fortwährenden Gallenerregung erhalten, das öffentliche Leben absorbirt sie, und ohne Feuer, ohne Humor sinken sie in die Arme ihrer Weiber, die unter diesen Umständen, wenn sie brav sind, monotone Hausmütter werden, wenn sie aber Temperament haben, sich in jene Situationen werfen, welche von der neuern französischen Romantik so neu, soll man sagen, erfunden oder kopirt werden?

Die Männer ihrerseits bleiben auch bei der Erschöpfung nicht einmal stehen. Sondern, was bei ihnen nur eine Folge der Umstände ist, das nimmt sogar die primitive Farbe der Ueberzeugung an. Aus der Erschöpfung, aus dem Momente, wird eine stationäre Leidenschaft, eine negative Leidenschaft, die Jndolenz. Es bilden sich Begriffe unter den Männern, welche man wohl bis in ihren natürlichen Ursprung verfolgen kann, welche aber das Unnatürlichste sind, was sich voraussetzen läßt.

Zeiten, wo die Guillotine herrschte, wo Napoleon siegte, konnte man durch die Ereignisse nicht so mißgestimmt werden, wie es jetzt die Männer sind. Denn damals war es das Schicksal, an welches man sich leicht gewöhnte, man sahe Begebenheiten, die vom Zufall oder individueller Energie herrührten, während man jetzt nur Personen als die Faktoren der Dinge beobachten kann, nur partikuläre Jnteressen und verblendete Ansichten. Die Hand an einen Säbel zu haben, der fest genietet ist, erzürnt heftiger, als ihn über das Haupt seines Gegners zu schwingen. So werden die Männer jetzt in einer fortwährenden Gallenerregung erhalten, das öffentliche Leben absorbirt sie, und ohne Feuer, ohne Humor sinken sie in die Arme ihrer Weiber, die unter diesen Umständen, wenn sie brav sind, monotone Hausmütter werden, wenn sie aber Temperament haben, sich in jene Situationen werfen, welche von der neuern französischen Romantik so neu, soll man sagen, erfunden oder kopirt werden?

Die Männer ihrerseits bleiben auch bei der Erschöpfung nicht einmal stehen. Sondern, was bei ihnen nur eine Folge der Umstände ist, das nimmt sogar die primitive Farbe der Ueberzeugung an. Aus der Erschöpfung, aus dem Momente, wird eine stationäre Leidenschaft, eine negative Leidenschaft, die Jndolenz. Es bilden sich Begriffe unter den Männern, welche man wohl bis in ihren natürlichen Ursprung verfolgen kann, welche aber das Unnatürlichste sind, was sich voraussetzen läßt.

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Zeiten, wo die Guillotine herrschte, wo Napoleon siegte, konnte man durch die Ereignisse nicht so mißgestimmt werden, wie es jetzt die Männer sind. Denn damals war es das Schicksal, an welches man sich leicht gewöhnte, man sahe Begebenheiten, die vom Zufall oder individueller Energie herrührten, während man jetzt nur Personen als die Faktoren der Dinge beobachten kann, nur partikuläre Jnteressen und verblendete Ansichten. Die Hand an einen Säbel zu haben, der fest genietet ist, erzürnt heftiger, als ihn über das Haupt seines Gegners zu schwingen. So werden die Männer jetzt in einer fortwährenden Gallenerregung erhalten, das öffentliche Leben absorbirt sie, und ohne Feuer, ohne Humor sinken sie in die Arme ihrer Weiber, die unter diesen Umständen, wenn sie brav sind, monotone Hausmütter werden, wenn sie aber Temperament haben, sich in jene Situationen werfen, welche von der neuern französischen Romantik so neu, soll man sagen, erfunden oder kopirt werden?</p>
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[34/0062] Zeiten, wo die Guillotine herrschte, wo Napoleon siegte, konnte man durch die Ereignisse nicht so mißgestimmt werden, wie es jetzt die Männer sind. Denn damals war es das Schicksal, an welches man sich leicht gewöhnte, man sahe Begebenheiten, die vom Zufall oder individueller Energie herrührten, während man jetzt nur Personen als die Faktoren der Dinge beobachten kann, nur partikuläre Jnteressen und verblendete Ansichten. Die Hand an einen Säbel zu haben, der fest genietet ist, erzürnt heftiger, als ihn über das Haupt seines Gegners zu schwingen. So werden die Männer jetzt in einer fortwährenden Gallenerregung erhalten, das öffentliche Leben absorbirt sie, und ohne Feuer, ohne Humor sinken sie in die Arme ihrer Weiber, die unter diesen Umständen, wenn sie brav sind, monotone Hausmütter werden, wenn sie aber Temperament haben, sich in jene Situationen werfen, welche von der neuern französischen Romantik so neu, soll man sagen, erfunden oder kopirt werden? Die Männer ihrerseits bleiben auch bei der Erschöpfung nicht einmal stehen. Sondern, was bei ihnen nur eine Folge der Umstände ist, das nimmt sogar die primitive Farbe der Ueberzeugung an. Aus der Erschöpfung, aus dem Momente, wird eine stationäre Leidenschaft, eine negative Leidenschaft, die Jndolenz. Es bilden sich Begriffe unter den Männern, welche man wohl bis in ihren natürlichen Ursprung verfolgen kann, welche aber das Unnatürlichste sind, was sich voraussetzen läßt.

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/62>, abgerufen am 13.05.2024.