Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

war. Man hoffte, durch eine Kenntlichkeit das Schamgefühl rege zu machen; allein dies Mittel hat die bedenklichsten Seiten. Einmal würden sich nur diejenigen so tragen sollen, welche von der Polizei geduldet sind. Welches Weibsbild würde sich dann aber noch einschreiben lassen? Sie würden alle das Privatisiren, und wenn noch so harter Kerker darauf stände, vorziehen. Und wenn es doch solche gäbe, die der polizeilichen Verfolgung müde würden und die vorgeschriebene Tracht annähmen, würden wir dann nicht gerade ein Aergerniß für die öffentliche Sittlichkeit wahrnehmen, das weit größer wäre, als früher? Denn einmal ist es fürchterlich, das Laster in einer eigenen Livree an uns vorüberschlüpfen zu sehen, sodann aber würde sich täglich und überall die Scene wiederholen, die man jezt schon zuweilen wahrnimmt. Wird ein solches Weib von der Polizei eskortirt, so macht es Geberden, die alle unsre Gefühle in Empörung bringen. Es trumpft auf seine Verwerflichkeit, singt und lacht und gibt ein Aergerniß, das die Polizei auch bereits gezwungen hat, für solche Transporte Kutschen einzuführen. Natürlich will das Gewissen auf irgend eine Art übertäubt, die Scham, die an der Pforte steht, zurückgewiesen seyn. Das Erste, was man sogar bei vornehmen Maitressen wahrnehmen kann, ist die Furcht, von guten und edlen Gefühlen überrascht zu werden. Sie schämen sich, erröthen zu müssen und werfen sich mit Gewalt in einen Strudel

war. Man hoffte, durch eine Kenntlichkeit das Schamgefühl rege zu machen; allein dies Mittel hat die bedenklichsten Seiten. Einmal würden sich nur diejenigen so tragen sollen, welche von der Polizei geduldet sind. Welches Weibsbild würde sich dann aber noch einschreiben lassen? Sie würden alle das Privatisiren, und wenn noch so harter Kerker darauf stände, vorziehen. Und wenn es doch solche gäbe, die der polizeilichen Verfolgung müde würden und die vorgeschriebene Tracht annähmen, würden wir dann nicht gerade ein Aergerniß für die öffentliche Sittlichkeit wahrnehmen, das weit größer wäre, als früher? Denn einmal ist es fürchterlich, das Laster in einer eigenen Livrée an uns vorüberschlüpfen zu sehen, sodann aber würde sich täglich und überall die Scene wiederholen, die man jezt schon zuweilen wahrnimmt. Wird ein solches Weib von der Polizei eskortirt, so macht es Geberden, die alle unsre Gefühle in Empörung bringen. Es trumpft auf seine Verwerflichkeit, singt und lacht und gibt ein Aergerniß, das die Polizei auch bereits gezwungen hat, für solche Transporte Kutschen einzuführen. Natürlich will das Gewissen auf irgend eine Art übertäubt, die Scham, die an der Pforte steht, zurückgewiesen seyn. Das Erste, was man sogar bei vornehmen Maitressen wahrnehmen kann, ist die Furcht, von guten und edlen Gefühlen überrascht zu werden. Sie schämen sich, erröthen zu müssen und werfen sich mit Gewalt in einen Strudel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0057" n="55"/>
war. Man hoffte, durch eine Kenntlichkeit das Schamgefühl rege zu machen; allein dies Mittel hat die bedenklichsten Seiten. Einmal würden sich nur diejenigen so tragen sollen, welche von der Polizei geduldet sind. Welches Weibsbild würde sich dann aber noch einschreiben lassen? Sie würden alle das Privatisiren, und wenn noch so harter Kerker darauf stände, vorziehen. Und wenn es doch solche gäbe, die der polizeilichen Verfolgung müde würden und die vorgeschriebene Tracht annähmen, würden wir dann nicht gerade ein Aergerniß für die öffentliche Sittlichkeit wahrnehmen, das weit größer wäre, als früher? Denn einmal ist es fürchterlich, das Laster in einer eigenen Livrée an uns vorüberschlüpfen zu sehen, sodann aber würde sich täglich und überall die Scene wiederholen, die man jezt schon zuweilen wahrnimmt. Wird ein solches Weib von der Polizei eskortirt, so macht es Geberden, die alle unsre Gefühle in Empörung bringen. Es trumpft auf seine Verwerflichkeit, singt und lacht und gibt ein Aergerniß, das die Polizei auch bereits gezwungen hat, für solche Transporte Kutschen einzuführen. Natürlich will das Gewissen auf irgend eine Art übertäubt, die Scham, die an der Pforte steht, zurückgewiesen seyn. Das Erste, was man sogar bei vornehmen Maitressen wahrnehmen kann, ist die Furcht, von guten und edlen Gefühlen überrascht zu werden. Sie schämen sich, erröthen zu müssen und werfen sich mit Gewalt in einen Strudel
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0057] war. Man hoffte, durch eine Kenntlichkeit das Schamgefühl rege zu machen; allein dies Mittel hat die bedenklichsten Seiten. Einmal würden sich nur diejenigen so tragen sollen, welche von der Polizei geduldet sind. Welches Weibsbild würde sich dann aber noch einschreiben lassen? Sie würden alle das Privatisiren, und wenn noch so harter Kerker darauf stände, vorziehen. Und wenn es doch solche gäbe, die der polizeilichen Verfolgung müde würden und die vorgeschriebene Tracht annähmen, würden wir dann nicht gerade ein Aergerniß für die öffentliche Sittlichkeit wahrnehmen, das weit größer wäre, als früher? Denn einmal ist es fürchterlich, das Laster in einer eigenen Livrée an uns vorüberschlüpfen zu sehen, sodann aber würde sich täglich und überall die Scene wiederholen, die man jezt schon zuweilen wahrnimmt. Wird ein solches Weib von der Polizei eskortirt, so macht es Geberden, die alle unsre Gefühle in Empörung bringen. Es trumpft auf seine Verwerflichkeit, singt und lacht und gibt ein Aergerniß, das die Polizei auch bereits gezwungen hat, für solche Transporte Kutschen einzuführen. Natürlich will das Gewissen auf irgend eine Art übertäubt, die Scham, die an der Pforte steht, zurückgewiesen seyn. Das Erste, was man sogar bei vornehmen Maitressen wahrnehmen kann, ist die Furcht, von guten und edlen Gefühlen überrascht zu werden. Sie schämen sich, erröthen zu müssen und werfen sich mit Gewalt in einen Strudel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/57
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/57>, abgerufen am 31.10.2024.