Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

Geneigtheit zu Verbesserungen wird gelähmt, einmal durch den Umstand, daß sie das Recht nicht als Wissenschaft, sondern als Handwerk erlernten. Gäb' es in England nicht bloß Advokatenschulen, sondern an den Universitäten auch Katheder, wo unabhängig von der Praxis die wissenschaftlichen Folgerungen einer reinen Rechtstheorie entwickelt würden, so würde der Corporationsgeist bald gesprengt seyn und in den Köpfen der Rechtsgelehrten eine größere Neigung zur Reform vorherrschen, als sie bisher anzutreffen war. Wir haben in unserer juristischen Erziehung keinen Mittelzustand zwischen dem Naturrecht und der Usance; für Rechtsgeschichte fehlt die Anleitung: für fremde Rechtserkenntniß die Selbstverläugnung und sogar die gelehrten Vorstudien. Das zweite Hinderniß ist der Egoismus, der Vortheil. Unsre verworrene Gesetzgebung ist den ewigen Prozessen ungemein günstig. Der Scharfsinn eines Advokaten kann die Entscheidung einer Eigenthumsfrage so lange aufhalten, bis sie verjährt ist. Lord Brougham hat in seiner berühmten Fünf-Stunden-Rede diesen Knäul rechtloser Gerechtigkeitspflege in Civilsachen zu entwirren gesucht; er hat dem Parlament eine Ansicht der verjährten Mißbräuche gegeben, daß er sich entschloß, ein Comite (freilich nicht viel) zur Untersuchung derselben niederzusetzen. Als Brougham später an die Spitze der Lordkanzlei kam, bewährte er seinen Eifer für die Gesetzreform durch großartige Entsagungen, die er

Geneigtheit zu Verbesserungen wird gelähmt, einmal durch den Umstand, daß sie das Recht nicht als Wissenschaft, sondern als Handwerk erlernten. Gäb’ es in England nicht bloß Advokatenschulen, sondern an den Universitäten auch Katheder, wo unabhängig von der Praxis die wissenschaftlichen Folgerungen einer reinen Rechtstheorie entwickelt würden, so würde der Corporationsgeist bald gesprengt seyn und in den Köpfen der Rechtsgelehrten eine größere Neigung zur Reform vorherrschen, als sie bisher anzutreffen war. Wir haben in unserer juristischen Erziehung keinen Mittelzustand zwischen dem Naturrecht und der Usance; für Rechtsgeschichte fehlt die Anleitung: für fremde Rechtserkenntniß die Selbstverläugnung und sogar die gelehrten Vorstudien. Das zweite Hinderniß ist der Egoismus, der Vortheil. Unsre verworrene Gesetzgebung ist den ewigen Prozessen ungemein günstig. Der Scharfsinn eines Advokaten kann die Entscheidung einer Eigenthumsfrage so lange aufhalten, bis sie verjährt ist. Lord Brougham hat in seiner berühmten Fünf-Stunden-Rede diesen Knäul rechtloser Gerechtigkeitspflege in Civilsachen zu entwirren gesucht; er hat dem Parlament eine Ansicht der verjährten Mißbräuche gegeben, daß er sich entschloß, ein Comité (freilich nicht viel) zur Untersuchung derselben niederzusetzen. Als Brougham später an die Spitze der Lordkanzlei kam, bewährte er seinen Eifer für die Gesetzreform durch großartige Entsagungen, die er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0091" n="89"/>
Geneigtheit zu Verbesserungen wird gelähmt, <hi rendition="#g">einmal</hi> durch den Umstand, daß sie das Recht nicht als Wissenschaft, sondern als <hi rendition="#g">Handwerk</hi> erlernten. Gäb&#x2019; es in England nicht bloß Advokatenschulen, sondern an den Universitäten auch Katheder, wo unabhängig von der Praxis die wissenschaftlichen Folgerungen einer reinen Rechtstheorie entwickelt würden, so würde der Corporationsgeist bald gesprengt seyn und in den Köpfen der Rechtsgelehrten eine größere Neigung zur Reform vorherrschen, als sie bisher anzutreffen war. Wir haben in unserer juristischen Erziehung keinen Mittelzustand zwischen dem Naturrecht und der Usance; für Rechtsgeschichte fehlt die Anleitung: für fremde Rechtserkenntniß die Selbstverläugnung und sogar die gelehrten Vorstudien. Das <hi rendition="#g">zweite</hi> Hinderniß ist der Egoismus, der Vortheil. Unsre verworrene Gesetzgebung ist den <hi rendition="#g">ewigen</hi> Prozessen ungemein günstig. Der Scharfsinn eines Advokaten kann die Entscheidung einer Eigenthumsfrage so lange aufhalten, bis sie verjährt ist. Lord <hi rendition="#g">Brougham</hi> hat in seiner berühmten Fünf-Stunden-Rede diesen Knäul rechtloser Gerechtigkeitspflege in Civilsachen zu entwirren gesucht; er hat dem Parlament eine Ansicht der verjährten Mißbräuche gegeben, daß er sich entschloß, ein Comité (freilich nicht viel) zur Untersuchung derselben niederzusetzen. Als <hi rendition="#g">Brougham</hi> später an die Spitze der Lordkanzlei kam, bewährte er seinen Eifer für die Gesetzreform durch großartige Entsagungen, die er
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0091] Geneigtheit zu Verbesserungen wird gelähmt, einmal durch den Umstand, daß sie das Recht nicht als Wissenschaft, sondern als Handwerk erlernten. Gäb’ es in England nicht bloß Advokatenschulen, sondern an den Universitäten auch Katheder, wo unabhängig von der Praxis die wissenschaftlichen Folgerungen einer reinen Rechtstheorie entwickelt würden, so würde der Corporationsgeist bald gesprengt seyn und in den Köpfen der Rechtsgelehrten eine größere Neigung zur Reform vorherrschen, als sie bisher anzutreffen war. Wir haben in unserer juristischen Erziehung keinen Mittelzustand zwischen dem Naturrecht und der Usance; für Rechtsgeschichte fehlt die Anleitung: für fremde Rechtserkenntniß die Selbstverläugnung und sogar die gelehrten Vorstudien. Das zweite Hinderniß ist der Egoismus, der Vortheil. Unsre verworrene Gesetzgebung ist den ewigen Prozessen ungemein günstig. Der Scharfsinn eines Advokaten kann die Entscheidung einer Eigenthumsfrage so lange aufhalten, bis sie verjährt ist. Lord Brougham hat in seiner berühmten Fünf-Stunden-Rede diesen Knäul rechtloser Gerechtigkeitspflege in Civilsachen zu entwirren gesucht; er hat dem Parlament eine Ansicht der verjährten Mißbräuche gegeben, daß er sich entschloß, ein Comité (freilich nicht viel) zur Untersuchung derselben niederzusetzen. Als Brougham später an die Spitze der Lordkanzlei kam, bewährte er seinen Eifer für die Gesetzreform durch großartige Entsagungen, die er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/91
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/91>, abgerufen am 31.10.2024.