Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.darstellen. Sie war ein feudaler Ueberrest mit moderner Färbung. Später jedoch, als Ludwig XJV. sagte: der Staat bin ich! und ihm alle Souveräne nachsagten: der Staat sind wir! reagirte die Kabinetspolitik hauptsächlich auch gegen das Vorrecht des Adels, auf seinem Grundgebiete Gerechtigkeit zu üben. Die Souveränität stüzte sich auf die Beamten-Hierarchie. Die Administration sollte von einem einzigen Centrum ausgehen. Der Staat, dessen Prinzip früher nur die Ausgleichung der verschiedenen Eigenthumsinteressen war, sollte hinfort ein theoretisches Prinzip in sich aufnehmen; der Staat sollte die Gerechtigkeit vorstellen und nebenbei die Macht des Adels brechen. So hob man die Patrimonialgerichtsbarkeit auf. Es ist damit viel Gutes, aber auch ebensoviel Nachtheiliges bewirkt. Das Gute lag in der Aufhebung der Willkür, in der größern Geltendmachung des Rechtes. Der Prozeßgang wurde weitläufiger, aber die Richter wurden gerechter. Es trat eine Gewalt zwischen den Bauer und den Gutsherrn; lezterer hörte auf, in seiner eigenen Sache zu richten. Allein, was das Recht gewonnen hat, das hat die Moral verloren. Die Patrimonialgerichtsbarkeit, freilich mit Milde und Weisheit ausgeübt, war eine Vermittelung zwischen der bloßen Leidenschaft und zwischen der Bosheit der Menschen; sie hinderte, daß die Vergehen gleich als Verbrechen angesehen darstellen. Sie war ein feudaler Ueberrest mit moderner Färbung. Später jedoch, als Ludwig XJV. sagte: der Staat bin ich! und ihm alle Souveräne nachsagten: der Staat sind wir! reagirte die Kabinetspolitik hauptsächlich auch gegen das Vorrecht des Adels, auf seinem Grundgebiete Gerechtigkeit zu üben. Die Souveränität stüzte sich auf die Beamten-Hierarchie. Die Administration sollte von einem einzigen Centrum ausgehen. Der Staat, dessen Prinzip früher nur die Ausgleichung der verschiedenen Eigenthumsinteressen war, sollte hinfort ein theoretisches Prinzip in sich aufnehmen; der Staat sollte die Gerechtigkeit vorstellen und nebenbei die Macht des Adels brechen. So hob man die Patrimonialgerichtsbarkeit auf. Es ist damit viel Gutes, aber auch ebensoviel Nachtheiliges bewirkt. Das Gute lag in der Aufhebung der Willkür, in der größern Geltendmachung des Rechtes. Der Prozeßgang wurde weitläufiger, aber die Richter wurden gerechter. Es trat eine Gewalt zwischen den Bauer und den Gutsherrn; lezterer hörte auf, in seiner eigenen Sache zu richten. Allein, was das Recht gewonnen hat, das hat die Moral verloren. Die Patrimonialgerichtsbarkeit, freilich mit Milde und Weisheit ausgeübt, war eine Vermittelung zwischen der bloßen Leidenschaft und zwischen der Bosheit der Menschen; sie hinderte, daß die Vergehen gleich als Verbrechen angesehen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0096" n="94"/> darstellen. Sie war ein feudaler Ueberrest mit moderner Färbung. Später jedoch, als <hi rendition="#g">Ludwig <hi rendition="#aq">XJV</hi>.</hi> sagte: <hi rendition="#g">der Staat bin ich!</hi> und ihm alle Souveräne nachsagten: <hi rendition="#g">der Staat sind wir!</hi> reagirte die Kabinetspolitik hauptsächlich auch gegen das Vorrecht des Adels, auf seinem Grundgebiete Gerechtigkeit zu üben. Die Souveränität stüzte sich auf die Beamten-Hierarchie. Die Administration sollte von einem einzigen Centrum ausgehen. Der Staat, dessen Prinzip früher nur die Ausgleichung der verschiedenen Eigenthumsinteressen war, sollte hinfort ein theoretisches Prinzip in sich aufnehmen; der Staat sollte die Gerechtigkeit vorstellen und nebenbei die Macht des Adels brechen. So hob man die Patrimonialgerichtsbarkeit auf.</p> <p>Es ist damit viel Gutes, aber auch ebensoviel Nachtheiliges bewirkt. Das Gute lag in der Aufhebung der Willkür, in der größern Geltendmachung des Rechtes. Der Prozeßgang wurde weitläufiger, aber die Richter wurden gerechter. Es trat eine Gewalt zwischen den Bauer und den Gutsherrn; lezterer hörte auf, in seiner eigenen Sache zu richten. Allein, was das Recht gewonnen hat, das hat die <hi rendition="#g">Moral</hi> verloren. Die Patrimonialgerichtsbarkeit, <hi rendition="#g">freilich</hi> mit Milde und Weisheit ausgeübt, war eine Vermittelung zwischen der bloßen Leidenschaft und zwischen der Bosheit der Menschen; sie hinderte, daß die Vergehen gleich als Verbrechen angesehen </p> </div> </body> </text> </TEI> [94/0096]
darstellen. Sie war ein feudaler Ueberrest mit moderner Färbung. Später jedoch, als Ludwig XJV. sagte: der Staat bin ich! und ihm alle Souveräne nachsagten: der Staat sind wir! reagirte die Kabinetspolitik hauptsächlich auch gegen das Vorrecht des Adels, auf seinem Grundgebiete Gerechtigkeit zu üben. Die Souveränität stüzte sich auf die Beamten-Hierarchie. Die Administration sollte von einem einzigen Centrum ausgehen. Der Staat, dessen Prinzip früher nur die Ausgleichung der verschiedenen Eigenthumsinteressen war, sollte hinfort ein theoretisches Prinzip in sich aufnehmen; der Staat sollte die Gerechtigkeit vorstellen und nebenbei die Macht des Adels brechen. So hob man die Patrimonialgerichtsbarkeit auf.
Es ist damit viel Gutes, aber auch ebensoviel Nachtheiliges bewirkt. Das Gute lag in der Aufhebung der Willkür, in der größern Geltendmachung des Rechtes. Der Prozeßgang wurde weitläufiger, aber die Richter wurden gerechter. Es trat eine Gewalt zwischen den Bauer und den Gutsherrn; lezterer hörte auf, in seiner eigenen Sache zu richten. Allein, was das Recht gewonnen hat, das hat die Moral verloren. Die Patrimonialgerichtsbarkeit, freilich mit Milde und Weisheit ausgeübt, war eine Vermittelung zwischen der bloßen Leidenschaft und zwischen der Bosheit der Menschen; sie hinderte, daß die Vergehen gleich als Verbrechen angesehen
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