Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.darüber Geständnisse machen sollte, zu trennen von der Bildung, die er genoß, von seinen Kenntnissen, seiner Lektüre? Und diese Gegenmittel fehlen den Verbrechern. Sie dämmern zwischen dem Guten und Bösen ohne Bewußtseyn und schwanken zu ihrem Verderben von Einem auf's Andre. Jhre Existenz ist physisch, thierisch, roh; sie sind aber nur deßhalb schlecht, weil - sie nicht gut sind. Soll bei diesen Umständen immer nur administrirt, registrirt und incarcerirt werden, so schüzt man vielleicht die Gesellschaft, verdirbt aber den Keim der Menschheit. Das Edle, was selbst in leidenschaftlichen und von moralischen Bollwerken nicht vor dem Verbrechen gesicherten Menschen verborgen liegt, geht im Strudel der Kriminalrichtung, die man einem solchen Menschen gibt, mit dem polizeilichen Mühlsteine, den man ihm an den Hals hängt, mit in den Abgrund. Der Verbrecher ist für die Gesellschaft verloren. Eine Strafe, die seinem Fehltritt folgte, kann er nicht anders ertragen, als wenn er seine verbrecherische Handlung mit der Strafe nivellirt und jezt erst das wird, wofür er gehalten wurde. Man sollte ein Verbrechen bestrafen können, ohne den, der es beging, sogleich auch zum Verbrecher zu machen. Das hört sich wie ein Widerspruch an; allein die Humanität sinnt mitleidig darüber nach, wie er auszugleichen wäre. Patrimonialgerichte und Jury wären ein Hilfsmittel. So lange aber dieses nicht angewandt und kein noch kräftigeres darüber Geständnisse machen sollte, zu trennen von der Bildung, die er genoß, von seinen Kenntnissen, seiner Lektüre? Und diese Gegenmittel fehlen den Verbrechern. Sie dämmern zwischen dem Guten und Bösen ohne Bewußtseyn und schwanken zu ihrem Verderben von Einem auf’s Andre. Jhre Existenz ist physisch, thierisch, roh; sie sind aber nur deßhalb schlecht, weil – sie nicht gut sind. Soll bei diesen Umständen immer nur administrirt, registrirt und incarcerirt werden, so schüzt man vielleicht die Gesellschaft, verdirbt aber den Keim der Menschheit. Das Edle, was selbst in leidenschaftlichen und von moralischen Bollwerken nicht vor dem Verbrechen gesicherten Menschen verborgen liegt, geht im Strudel der Kriminalrichtung, die man einem solchen Menschen gibt, mit dem polizeilichen Mühlsteine, den man ihm an den Hals hängt, mit in den Abgrund. Der Verbrecher ist für die Gesellschaft verloren. Eine Strafe, die seinem Fehltritt folgte, kann er nicht anders ertragen, als wenn er seine verbrecherische Handlung mit der Strafe nivellirt und jezt erst das wird, wofür er gehalten wurde. Man sollte ein Verbrechen bestrafen können, ohne den, der es beging, sogleich auch zum Verbrecher zu machen. Das hört sich wie ein Widerspruch an; allein die Humanität sinnt mitleidig darüber nach, wie er auszugleichen wäre. Patrimonialgerichte und Jury wären ein Hilfsmittel. So lange aber dieses nicht angewandt und kein noch kräftigeres <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0099" n="97"/> darüber Geständnisse machen sollte, zu trennen von der Bildung, die er genoß, von seinen Kenntnissen, seiner Lektüre? Und diese Gegenmittel fehlen den Verbrechern. Sie dämmern zwischen dem Guten und Bösen ohne Bewußtseyn und schwanken zu ihrem Verderben von Einem auf’s Andre. Jhre Existenz ist physisch, thierisch, roh; sie sind aber nur deßhalb schlecht, weil – sie nicht gut sind. Soll bei diesen Umständen immer nur administrirt, registrirt und incarcerirt werden, so schüzt man vielleicht die Gesellschaft, verdirbt aber den Keim der Menschheit. Das Edle, was selbst in leidenschaftlichen und von moralischen Bollwerken nicht vor dem Verbrechen gesicherten Menschen verborgen liegt, geht im Strudel der Kriminalrichtung, die man einem solchen Menschen gibt, mit dem polizeilichen Mühlsteine, den man ihm an den Hals hängt, mit in den Abgrund. Der Verbrecher ist für die Gesellschaft verloren. Eine Strafe, die seinem Fehltritt folgte, kann er nicht anders ertragen, als wenn er seine verbrecherische Handlung mit der Strafe nivellirt und jezt erst das wird, wofür er gehalten wurde. Man sollte ein Verbrechen <hi rendition="#g">bestrafen</hi> können, ohne den, der es beging, sogleich auch zum Verbrecher zu machen. Das hört sich wie ein Widerspruch an; allein die Humanität sinnt mitleidig darüber nach, wie er auszugleichen wäre. Patrimonialgerichte und <hi rendition="#g">Jury</hi> wären ein Hilfsmittel. So lange aber dieses nicht angewandt und kein noch kräftigeres </p> </div> </body> </text> </TEI> [97/0099]
darüber Geständnisse machen sollte, zu trennen von der Bildung, die er genoß, von seinen Kenntnissen, seiner Lektüre? Und diese Gegenmittel fehlen den Verbrechern. Sie dämmern zwischen dem Guten und Bösen ohne Bewußtseyn und schwanken zu ihrem Verderben von Einem auf’s Andre. Jhre Existenz ist physisch, thierisch, roh; sie sind aber nur deßhalb schlecht, weil – sie nicht gut sind. Soll bei diesen Umständen immer nur administrirt, registrirt und incarcerirt werden, so schüzt man vielleicht die Gesellschaft, verdirbt aber den Keim der Menschheit. Das Edle, was selbst in leidenschaftlichen und von moralischen Bollwerken nicht vor dem Verbrechen gesicherten Menschen verborgen liegt, geht im Strudel der Kriminalrichtung, die man einem solchen Menschen gibt, mit dem polizeilichen Mühlsteine, den man ihm an den Hals hängt, mit in den Abgrund. Der Verbrecher ist für die Gesellschaft verloren. Eine Strafe, die seinem Fehltritt folgte, kann er nicht anders ertragen, als wenn er seine verbrecherische Handlung mit der Strafe nivellirt und jezt erst das wird, wofür er gehalten wurde. Man sollte ein Verbrechen bestrafen können, ohne den, der es beging, sogleich auch zum Verbrecher zu machen. Das hört sich wie ein Widerspruch an; allein die Humanität sinnt mitleidig darüber nach, wie er auszugleichen wäre. Patrimonialgerichte und Jury wären ein Hilfsmittel. So lange aber dieses nicht angewandt und kein noch kräftigeres
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