Hagedorn, Friedrich von: Sammlung Neuer Oden und Lieder. Bd. 1. Hamburg, 1742.Nicander wird durch vieles Klügeln So klug, als ein geheimer Rath. Jn ihm kann sich ein Fleury spiegeln: Er kennet mehr, als einen Staat. Er ist des deutschen Ruhms Vertreter: Und wär er nicht geheimnißvoll; So lehrt' er euch, ihr Landesväter, Wie ieder von euch herrschen soll. Der Thorheit unverjährte Rechte Erstrecken sich auf iedes Haupt: Es ist im menschlichen Geschlechte Jhr Anhang grösser, als man glaubt. Doch, wenn sie nicht Vergnügen brächte: So wär ihr schon die Macht geraubt. Ein Domherr schöpft aus seiner Pfründe Bald rothen und bald weissen Wein. Das scharfe Salz gelehrter Gründe Kann nimmermehr so schmackhaft seyn. Er spart sich dem gemeinen Wesen, Und glaubet, was ein Alter schrieb: Den Augen schadet vieles Lesen; Und sein Paar Augen ist ihm lieb. Der Thorheit unverjährte Rechte Erstrecken sich auf iedes Haupt: Es ist im menschlichen Geschlechte Jhr Anhang grösser, als man glaubt. Doch, wenn sie nicht Vergnügen brächte: So wär ihr schon die Macht geraubt. G 3
Nicander wird durch vieles Kluͤgeln So klug, als ein geheimer Rath. Jn ihm kann ſich ein Fleury ſpiegeln: Er kennet mehr, als einen Staat. Er iſt des deutſchen Ruhms Vertreter: Und waͤr er nicht geheimnißvoll; So lehrt’ er euch, ihr Landesvaͤter, Wie ieder von euch herrſchen ſoll. Der Thorheit unverjaͤhrte Rechte Erſtrecken ſich auf iedes Haupt: Es iſt im menſchlichen Geſchlechte Jhr Anhang groͤſſer, als man glaubt. Doch, wenn ſie nicht Vergnuͤgen braͤchte: So waͤr ihr ſchon die Macht geraubt. Ein Domherr ſchoͤpft aus ſeiner Pfruͤnde Bald rothen und bald weiſſen Wein. Das ſcharfe Salz gelehrter Gruͤnde Kann nimmermehr ſo ſchmackhaft ſeyn. Er ſpart ſich dem gemeinen Weſen, Und glaubet, was ein Alter ſchrieb: Den Augen ſchadet vieles Leſen; Und ſein Paar Augen iſt ihm lieb. Der Thorheit unverjaͤhrte Rechte Erſtrecken ſich auf iedes Haupt: Es iſt im menſchlichen Geſchlechte Jhr Anhang groͤſſer, als man glaubt. Doch, wenn ſie nicht Vergnuͤgen braͤchte: So waͤr ihr ſchon die Macht geraubt. G 3
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Nicander wird durch vieles Kluͤgeln
So klug, als ein geheimer Rath.
Jn ihm kann ſich ein Fleury ſpiegeln:
Er kennet mehr, als einen Staat.
Er iſt des deutſchen Ruhms Vertreter:
Und waͤr er nicht geheimnißvoll;
So lehrt’ er euch, ihr Landesvaͤter,
Wie ieder von euch herrſchen ſoll.
Der Thorheit unverjaͤhrte Rechte
Erſtrecken ſich auf iedes Haupt:
Es iſt im menſchlichen Geſchlechte
Jhr Anhang groͤſſer, als man glaubt.
Doch, wenn ſie nicht Vergnuͤgen braͤchte:
So waͤr ihr ſchon die Macht geraubt.
Ein Domherr ſchoͤpft aus ſeiner Pfruͤnde
Bald rothen und bald weiſſen Wein.
Das ſcharfe Salz gelehrter Gruͤnde
Kann nimmermehr ſo ſchmackhaft ſeyn.
Er ſpart ſich dem gemeinen Weſen,
Und glaubet, was ein Alter ſchrieb:
Den Augen ſchadet vieles Leſen;
Und ſein Paar Augen iſt ihm lieb.
Der Thorheit unverjaͤhrte Rechte
Erſtrecken ſich auf iedes Haupt:
Es iſt im menſchlichen Geſchlechte
Jhr Anhang groͤſſer, als man glaubt.
Doch, wenn ſie nicht Vergnuͤgen braͤchte:
So waͤr ihr ſchon die Macht geraubt.
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Zitationshilfe: | Hagedorn, Friedrich von: Sammlung Neuer Oden und Lieder. Bd. 1. Hamburg, 1742, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hagedorn_sammlung01_1742/75>, abgerufen am 14.06.2024. |