Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.
sten Sonntag zum ersten Mal auf ein Stündchen zu ihr zurück durfte, gab er mir einen halben Schinken für sie mit. Gottes Segen in des braven Mannes Gruft! Noch hör' ich sein halbzorniges: Tonerl, unter die Jacke damit, daß meine Frau es nicht sieht! Leonhard. Kann Er auch weinen? Meister Anton. (trocknet sich die Augen) Ja, daran darf ich nicht denken, so gut der Thränenbrunnen auch in mir ver- stopft ist, das giebt jedes Mal wieder einen Riß. Nun, auch gut; wenn ich einmal wassersüchtig werde, so brauche ich mir wenigstens diese Tropfen nicht mit abzapfen zu lassen. (mit einer plötzlichen Wendung) Was meint Er? Wenn Er den Mann, dem Er Alles ver- dankte, einmal an einem Sonntag-Nachmittag auf eine Pfeife Taback besuchen wollte, und Er träfe ihn ver- wirrt und verstört, ein Messer in der Hand, dasselbe Messer, womit er ihm tausendmal sein Vesperbrot abgeschnitten, blutig am halse, und das Tuch ängst- lich bis an's Kinn hinaufziehend -- --
ſten Sonntag zum erſten Mal auf ein Stündchen zu ihr zurück durfte, gab er mir einen halben Schinken für ſie mit. Gottes Segen in des braven Mannes Gruft! Noch hör’ ich ſein halbzorniges: Tonerl, unter die Jacke damit, daß meine Frau es nicht ſieht! Leonhard. Kann Er auch weinen? Meiſter Anton. (trocknet ſich die Augen) Ja, daran darf ich nicht denken, ſo gut der Thränenbrunnen auch in mir ver- ſtopft iſt, das giebt jedes Mal wieder einen Riß. Nun, auch gut; wenn ich einmal waſſerſüchtig werde, ſo brauche ich mir wenigſtens dieſe Tropfen nicht mit abzapfen zu laſſen. (mit einer plötzlichen Wendung) Was meint Er? Wenn Er den Mann, dem Er Alles ver- dankte, einmal an einem Sonntag-Nachmittag auf eine Pfeife Taback beſuchen wollte, und Er träfe ihn ver- wirrt und verſtört, ein Meſſer in der Hand, daſſelbe Meſſer, womit er ihm tauſendmal ſein Vesperbrot abgeſchnitten, blutig am halſe, und das Tuch ängſt- lich bis an’s Kinn hinaufziehend — — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#ANTON"> <p><pb facs="#f0109" n="41"/> ſten Sonntag zum erſten Mal auf ein Stündchen zu<lb/> ihr zurück durfte, gab er mir einen halben Schinken für<lb/> ſie mit. Gottes Segen in des braven Mannes Gruft!<lb/> Noch hör’ ich ſein halbzorniges: Tonerl, unter die<lb/> Jacke damit, daß meine Frau es nicht ſieht!</p> </sp><lb/> <sp who="#LEO"> <speaker><hi rendition="#g">Leonhard</hi>.</speaker><lb/> <p>Kann Er auch weinen?</p> </sp><lb/> <sp who="#ANTON"> <speaker><hi rendition="#g">Meiſter Anton</hi>.</speaker><lb/> <stage>(trocknet ſich die Augen)</stage> <p>Ja, daran darf ich nicht<lb/> denken, ſo gut der Thränenbrunnen auch in mir ver-<lb/> ſtopft iſt, das giebt jedes Mal wieder einen Riß.<lb/> Nun, auch gut; wenn ich einmal waſſerſüchtig werde,<lb/> ſo brauche ich mir wenigſtens dieſe Tropfen nicht mit<lb/> abzapfen zu laſſen.</p> <stage>(mit einer plötzlichen Wendung)</stage> <p>Was<lb/> meint Er? Wenn Er den Mann, dem Er Alles ver-<lb/> dankte, einmal an einem Sonntag-Nachmittag auf eine<lb/> Pfeife Taback beſuchen wollte, und Er träfe ihn ver-<lb/> wirrt und verſtört, ein Meſſer in der Hand, daſſelbe<lb/> Meſſer, womit er ihm tauſendmal ſein Vesperbrot<lb/> abgeſchnitten, blutig am halſe, und das Tuch ängſt-<lb/> lich bis an’s Kinn hinaufziehend — —</p> </sp><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [41/0109]
ſten Sonntag zum erſten Mal auf ein Stündchen zu
ihr zurück durfte, gab er mir einen halben Schinken für
ſie mit. Gottes Segen in des braven Mannes Gruft!
Noch hör’ ich ſein halbzorniges: Tonerl, unter die
Jacke damit, daß meine Frau es nicht ſieht!
Leonhard.
Kann Er auch weinen?
Meiſter Anton.
(trocknet ſich die Augen) Ja, daran darf ich nicht
denken, ſo gut der Thränenbrunnen auch in mir ver-
ſtopft iſt, das giebt jedes Mal wieder einen Riß.
Nun, auch gut; wenn ich einmal waſſerſüchtig werde,
ſo brauche ich mir wenigſtens dieſe Tropfen nicht mit
abzapfen zu laſſen. (mit einer plötzlichen Wendung) Was
meint Er? Wenn Er den Mann, dem Er Alles ver-
dankte, einmal an einem Sonntag-Nachmittag auf eine
Pfeife Taback beſuchen wollte, und Er träfe ihn ver-
wirrt und verſtört, ein Meſſer in der Hand, daſſelbe
Meſſer, womit er ihm tauſendmal ſein Vesperbrot
abgeſchnitten, blutig am halſe, und das Tuch ängſt-
lich bis an’s Kinn hinaufziehend — —
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Zitationshilfe: | Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/109>, abgerufen am 17.06.2024. |