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Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.

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nungen des endlichen Friedens. Wenn dieß von aller
Geschichte gilt, wie es denn der Fall ist, so gilt
es noch ganz besonders von der deutschen; es
betrübt mich daher aufrichtig, daß bei uns, unge-
achtet so vieler schlimmer Erfahrungen, das Dra-
matisiren unserer ausgangs- und darum sogar im
untergeordneten Sinn gehaltlosen Kaiser-Hi-
storien immer wieder in die Mode kommt. Ist es
denn so schwer, zu erkennen, daß die deutsche Na-
tion bis jetzt überall keine Lebens- sondern nur
eine Krankheits-Geschichte aufzuzeigen hat, oder
glaubt man alles Ernstes, durch das In Spiri-
tus Setzen
der Hohenstaufen-Bandwür-
mer
, die ihr die Eingeweide zerfressen haben, die
Krankheit heilen zu können? Wenn ich die Talente,
die ihre Kraft an einem auf diesem Wege nicht zu
erreichenden, obgleich an sich hochwichtigen und reali-
sirbaren Zweck vergeuden, nicht achtete, so würde
ich die Frage nicht aufwerfen. Es giebt hiefür
eine andere, freilich secundäre Form, die nicht so
sehr, wie die dramatische, auf Concentration und
Progression angewiesen ist, und die durch die ihr
verstattete Detailmalerei ein Interesse, das sie im

nungen des endlichen Friedens. Wenn dieß von aller
Geſchichte gilt, wie es denn der Fall iſt, ſo gilt
es noch ganz beſonders von der deutſchen; es
betrübt mich daher aufrichtig, daß bei uns, unge-
achtet ſo vieler ſchlimmer Erfahrungen, das Dra-
matiſiren unſerer ausgangs- und darum ſogar im
untergeordneten Sinn gehaltloſen Kaiſer-Hi-
ſtorien immer wieder in die Mode kommt. Iſt es
denn ſo ſchwer, zu erkennen, daß die deutſche Na-
tion bis jetzt überall keine Lebens- ſondern nur
eine Krankheits-Geſchichte aufzuzeigen hat, oder
glaubt man alles Ernſtes, durch das In Spiri-
tus Setzen
der Hohenſtaufen-Bandwür-
mer
, die ihr die Eingeweide zerfreſſen haben, die
Krankheit heilen zu können? Wenn ich die Talente,
die ihre Kraft an einem auf dieſem Wege nicht zu
erreichenden, obgleich an ſich hochwichtigen und reali-
ſirbaren Zweck vergeuden, nicht achtete, ſo würde
ich die Frage nicht aufwerfen. Es giebt hiefür
eine andere, freilich ſecundäre Form, die nicht ſo
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[XXXIX/0059] nungen des endlichen Friedens. Wenn dieß von aller Geſchichte gilt, wie es denn der Fall iſt, ſo gilt es noch ganz beſonders von der deutſchen; es betrübt mich daher aufrichtig, daß bei uns, unge- achtet ſo vieler ſchlimmer Erfahrungen, das Dra- matiſiren unſerer ausgangs- und darum ſogar im untergeordneten Sinn gehaltloſen Kaiſer-Hi- ſtorien immer wieder in die Mode kommt. Iſt es denn ſo ſchwer, zu erkennen, daß die deutſche Na- tion bis jetzt überall keine Lebens- ſondern nur eine Krankheits-Geſchichte aufzuzeigen hat, oder glaubt man alles Ernſtes, durch das In Spiri- tus Setzen der Hohenſtaufen-Bandwür- mer, die ihr die Eingeweide zerfreſſen haben, die Krankheit heilen zu können? Wenn ich die Talente, die ihre Kraft an einem auf dieſem Wege nicht zu erreichenden, obgleich an ſich hochwichtigen und reali- ſirbaren Zweck vergeuden, nicht achtete, ſo würde ich die Frage nicht aufwerfen. Es giebt hiefür eine andere, freilich ſecundäre Form, die nicht ſo ſehr, wie die dramatiſche, auf Concentration und Progreſſion angewieſen iſt, und die durch die ihr verſtattete Detailmalerei ein Intereſſe, das ſie im

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Zitationshilfe: Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. XXXIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/59>, abgerufen am 18.06.2024.