gen darüber in sein Tagebuch ein: und bey allen Predigern auf den Dächern sind wir schlimmer geworden; kein Leonhardt da Vinci, kein Mi- chel Angelo, kein Raphael ist mehr aufgestan- den. Anstatt das Licht zum Wegweiser zu wäh- len, hat man sich die Augen daran verblendet.
Das größte Aufsehen hat der Laokoon ge- macht; weil Plinius noch mitten unter allen den höchsten Meisterstücken der Kunst davon meldet: er sey ein Werk, allen andern der Mah- lerey und Bildhauerkunst vorzuziehen; und man bey dem Alles-aus- und ab- und aufschreiber glauben dürfte, dieß sey nicht seine eigne Lieb- lingsmeinung, sondern die Stimme des damali- gen Römischen Publikums gewesen.
Einige voll von den Wundern des Phidias, Polyklet und Praxiteles gingen so weit, daß sie muthmaßten, der Laokoon möchte aus dem Zeit- alter des Geschichtschreibers der Natur selbst, und sein Lob ein gewöhnliches Gelehrtenkompliment
seyn;
gen daruͤber in ſein Tagebuch ein: und bey allen Predigern auf den Daͤchern ſind wir ſchlimmer geworden; kein Leonhardt da Vinci, kein Mi- chel Angelo, kein Raphael iſt mehr aufgeſtan- den. Anſtatt das Licht zum Wegweiſer zu waͤh- len, hat man ſich die Augen daran verblendet.
Das groͤßte Aufſehen hat der Laokoon ge- macht; weil Plinius noch mitten unter allen den hoͤchſten Meiſterſtuͤcken der Kunſt davon meldet: er ſey ein Werk, allen andern der Mah- lerey und Bildhauerkunſt vorzuziehen; und man bey dem Alles-aus- und ab- und aufſchreiber glauben duͤrfte, dieß ſey nicht ſeine eigne Lieb- lingsmeinung, ſondern die Stimme des damali- gen Roͤmiſchen Publikums geweſen.
Einige voll von den Wundern des Phidias, Polyklet und Praxiteles gingen ſo weit, daß ſie muthmaßten, der Laokoon moͤchte aus dem Zeit- alter des Geſchichtſchreibers der Natur ſelbſt, und ſein Lob ein gewoͤhnliches Gelehrtenkompliment
ſeyn;
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0083"n="75"/>
gen daruͤber in ſein Tagebuch ein: und bey allen<lb/>
Predigern auf den Daͤchern ſind wir ſchlimmer<lb/>
geworden; kein Leonhardt da Vinci, kein Mi-<lb/>
chel Angelo, kein Raphael iſt mehr aufgeſtan-<lb/>
den. Anſtatt das Licht zum Wegweiſer zu waͤh-<lb/>
len, hat man ſich die Augen daran verblendet.</p><lb/><p>Das groͤßte Aufſehen hat der Laokoon ge-<lb/>
macht; weil Plinius noch mitten unter allen<lb/>
den hoͤchſten Meiſterſtuͤcken der Kunſt davon<lb/>
meldet: er ſey ein Werk, allen andern der Mah-<lb/>
lerey und Bildhauerkunſt vorzuziehen; und man<lb/>
bey dem Alles-aus- und ab- und aufſchreiber<lb/>
glauben duͤrfte, dieß ſey nicht ſeine eigne Lieb-<lb/>
lingsmeinung, ſondern die Stimme des damali-<lb/>
gen Roͤmiſchen Publikums geweſen.</p><lb/><p>Einige voll von den Wundern des Phidias,<lb/>
Polyklet und Praxiteles gingen ſo weit, daß ſie<lb/>
muthmaßten, der Laokoon moͤchte aus dem Zeit-<lb/>
alter des Geſchichtſchreibers der Natur ſelbſt, und<lb/>ſein Lob ein gewoͤhnliches Gelehrtenkompliment<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſeyn;</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[75/0083]
gen daruͤber in ſein Tagebuch ein: und bey allen
Predigern auf den Daͤchern ſind wir ſchlimmer
geworden; kein Leonhardt da Vinci, kein Mi-
chel Angelo, kein Raphael iſt mehr aufgeſtan-
den. Anſtatt das Licht zum Wegweiſer zu waͤh-
len, hat man ſich die Augen daran verblendet.
Das groͤßte Aufſehen hat der Laokoon ge-
macht; weil Plinius noch mitten unter allen
den hoͤchſten Meiſterſtuͤcken der Kunſt davon
meldet: er ſey ein Werk, allen andern der Mah-
lerey und Bildhauerkunſt vorzuziehen; und man
bey dem Alles-aus- und ab- und aufſchreiber
glauben duͤrfte, dieß ſey nicht ſeine eigne Lieb-
lingsmeinung, ſondern die Stimme des damali-
gen Roͤmiſchen Publikums geweſen.
Einige voll von den Wundern des Phidias,
Polyklet und Praxiteles gingen ſo weit, daß ſie
muthmaßten, der Laokoon moͤchte aus dem Zeit-
alter des Geſchichtſchreibers der Natur ſelbſt, und
ſein Lob ein gewoͤhnliches Gelehrtenkompliment
ſeyn;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/83>, abgerufen am 01.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.