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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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me! Aber was sie sagen will, das sagt sie vollkommen her-
aus; und es giebt dafür nur äußerst schlechte Uebersetzungen
in eine andre Sprache. Die Musik hat ihren Verstand in
sich selbst; und eben dadurch lehrt sie uns, daß wir nicht in
irgend welchen Kategorien, sondern in dem Zusammenhange
der Vorstellungen unter einander (von welcher Art dieselben
auch seyn mögen) den Verstand zu suchen haben.

189. Die Ausbildung der Begriffe ist nun der lang-
same, allmählige Erfolg des immer fortgehenden Urtheilens.

Man erinnere sich hier, daß arme Sprachen sehr viele
Metaphern zu gebrauchen scheinen, welches andeutet, daß
entferntere Aehnlichkeiten hinreichen, um ältere Vorstellungen
zu reproduciren, und sie, sammt ihrem Namen, mit den
neuen zu verschmelzen. Aus diesem Zustande geht das
menschliche Denken zu einer immer größern und feinern Zer-
theilung der Gedanken über. Die Complexion A diene
einmal als Subject b, so wird für das Prädicat a, ein andermal
für das Prädicat b, so wird im Zusammenfassen beyder
Urtheile nicht bloß der Contrast zwischen a und b gefühlt
(nach 35), sondern derselbe wird auch ausgesprochen,
oder deutlich gedacht, in den Urtheilen: dieses A ist
a, und jenes A ist b. Hier geschieht eine absichtliche
Unterscheidung in dem Vorgestellten; wobey gleichwohl
das Vorstellen keinesweges in zwey gesonderte Acte zer-
fällt, sondern der psychische Mechanismus noch immer die
aus einander gesetzten beysammen hält.

190. Eine Menge solcher Urtheile, wie: A ist a, A
ist b, A ist c, A ist d, u. s. w., wobei nicht ein und
dasselbe A, sondern mehrere mit den conträr entgegengesetz-
ten a, b, c, d, ... anzunehmen sind, -- ordnen sich
von selbst in eine Reihe; indem die a, b, c, d, ...
in verschiedenen Graden, nach ihren geringeren
oder größeren Gegensätzen, verschmelzen
. (Zum

me! Aber was sie sagen will, das sagt sie vollkommen her-
aus; und es giebt dafür nur äußerst schlechte Uebersetzungen
in eine andre Sprache. Die Musik hat ihren Verstand in
sich selbst; und eben dadurch lehrt sie uns, daß wir nicht in
irgend welchen Kategorien, sondern in dem Zusammenhange
der Vorstellungen unter einander (von welcher Art dieselben
auch seyn mögen) den Verstand zu suchen haben.

189. Die Ausbildung der Begriffe ist nun der lang-
same, allmählige Erfolg des immer fortgehenden Urtheilens.

Man erinnere sich hier, daß arme Sprachen sehr viele
Metaphern zu gebrauchen scheinen, welches andeutet, daß
entferntere Aehnlichkeiten hinreichen, um ältere Vorstellungen
zu reproduciren, und sie, sammt ihrem Namen, mit den
neuen zu verschmelzen. Aus diesem Zustande geht das
menschliche Denken zu einer immer größern und feinern Zer-
theilung der Gedanken über. Die Complexion A diene
einmal als Subject b, so wird für das Prädicat a, ein andermal
für das Prädicat b, so wird im Zusammenfassen beyder
Urtheile nicht bloß der Contrast zwischen a und b gefühlt
(nach 35), sondern derselbe wird auch ausgesprochen,
oder deutlich gedacht, in den Urtheilen: dieses A ist
a, und jenes A ist b. Hier geschieht eine absichtliche
Unterscheidung in dem Vorgestellten; wobey gleichwohl
das Vorstellen keinesweges in zwey gesonderte Acte zer-
fällt, sondern der psychische Mechanismus noch immer die
aus einander gesetzten beysammen hält.

190. Eine Menge solcher Urtheile, wie: A ist a, A
ist b, A ist c, A ist d, u. s. w., wobei nicht ein und
dasselbe A, sondern mehrere mit den conträr entgegengesetz-
ten a, b, c, d, … anzunehmen sind, — ordnen sich
von selbst in eine Reihe; indem die a, b, c, d,
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. (Zum

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[149/0157] me! Aber was sie sagen will, das sagt sie vollkommen her- aus; und es giebt dafür nur äußerst schlechte Uebersetzungen in eine andre Sprache. Die Musik hat ihren Verstand in sich selbst; und eben dadurch lehrt sie uns, daß wir nicht in irgend welchen Kategorien, sondern in dem Zusammenhange der Vorstellungen unter einander (von welcher Art dieselben auch seyn mögen) den Verstand zu suchen haben. 189. Die Ausbildung der Begriffe ist nun der lang- same, allmählige Erfolg des immer fortgehenden Urtheilens. Man erinnere sich hier, daß arme Sprachen sehr viele Metaphern zu gebrauchen scheinen, welches andeutet, daß entferntere Aehnlichkeiten hinreichen, um ältere Vorstellungen zu reproduciren, und sie, sammt ihrem Namen, mit den neuen zu verschmelzen. Aus diesem Zustande geht das menschliche Denken zu einer immer größern und feinern Zer- theilung der Gedanken über. Die Complexion A diene einmal als Subject b, so wird für das Prädicat a, ein andermal für das Prädicat b, so wird im Zusammenfassen beyder Urtheile nicht bloß der Contrast zwischen a und b gefühlt (nach 35), sondern derselbe wird auch ausgesprochen, oder deutlich gedacht, in den Urtheilen: dieses A ist a, und jenes A ist b. Hier geschieht eine absichtliche Unterscheidung in dem Vorgestellten; wobey gleichwohl das Vorstellen keinesweges in zwey gesonderte Acte zer- fällt, sondern der psychische Mechanismus noch immer die aus einander gesetzten beysammen hält. 190. Eine Menge solcher Urtheile, wie: A ist a, A ist b, A ist c, A ist d, u. s. w., wobei nicht ein und dasselbe A, sondern mehrere mit den conträr entgegengesetz- ten a, b, c, d, … anzunehmen sind, — ordnen sich von selbst in eine Reihe; indem die a, b, c, d, … in verschiedenen Graden, nach ihren geringeren oder größeren Gegensätzen, verschmelzen. (Zum

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/157>, abgerufen am 18.05.2024.