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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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daß sie viele Beymischungen, zum Theil von sinnlichen Ge-
fühlen in sich aufnimmt; ihre einfachste Gestalt aber zeigt
sie da, wo sie aus bloßer Gewöhnung entsteht. (Zu ver-
gleichen ist des Verfassers allgemeine praktische Philosophie,
S. 360.)

222. Was und wie der Mensch liebt, -- von den
zerstreuenden Liebhabereyen bis zu der Liebe als verzehren-
der Leidenschaft, -- das ergiebt das erste Wesentliche seines
Charakters. Doch hiebey kommen mancherley formale
Bestimmungen in Betracht, die an den Begriff des Wil-
lens
müssen geknüpft werden. (Die ersten vier Capitel des
dritten Buchs der allgemeinen Pädagogik stehn damit in
Verbindung.)

223. Wille ist Begierde, mit der, Voraus-
setzung der Erlangung des Begehrten
. Diese Vor-
aussetzung verknüpft sich mit der Begierde, sobald in ähn-
lichen Fällen die Anstrengung des Handelns (219) von
Erfolg gewesen ist. Denn alsdann associirt sich gleich mit
dem Anfange eines neuen, gleichartigen Handelns, die Vor-
stellung eines Zeitverlaufs, den die Befriedigung der Be-
gierde beschließen werde. Hiebey entsteht ein Blick in die
Zukunft
, der sich immer mehr erweitert, je mehr Mittel
zum Zwecke der Mensch voranschicken lernt. Eine Reihe
a, b, g, d, habe sich in früherer Auffassung des Verlaufs
einer Begebenheit gebildet. Jetzo sey die Vorstellung d im
Zustande der Begierde. Obgleich sie als solche wider eine
Hemmung aufstrebt, so können doch die Hülfen, welche sie
den Vorstellungen g, b, a zusendet, ungehindert wirken,
falls die eben bezeichneten keine Hemmung im Bewußtseyn
antreffen. Es werden also g, b, a, in gehöriger Abstu-
fung reproducirt (wie b und a in 143 gegen das Ende),
und wofern eine dieser Vorstellungen mit einem Handeln
complicirt ist (218), so geschieht eine solche Handlung;

daß sie viele Beymischungen, zum Theil von sinnlichen Ge-
fühlen in sich aufnimmt; ihre einfachste Gestalt aber zeigt
sie da, wo sie aus bloßer Gewöhnung entsteht. (Zu ver-
gleichen ist des Verfassers allgemeine praktische Philosophie,
S. 360.)

222. Was und wie der Mensch liebt, — von den
zerstreuenden Liebhabereyen bis zu der Liebe als verzehren-
der Leidenschaft, — das ergiebt das erste Wesentliche seines
Charakters. Doch hiebey kommen mancherley formale
Bestimmungen in Betracht, die an den Begriff des Wil-
lens
müssen geknüpft werden. (Die ersten vier Capitel des
dritten Buchs der allgemeinen Pädagogik stehn damit in
Verbindung.)

223. Wille ist Begierde, mit der, Voraus-
setzung der Erlangung des Begehrten
. Diese Vor-
aussetzung verknüpft sich mit der Begierde, sobald in ähn-
lichen Fällen die Anstrengung des Handelns (219) von
Erfolg gewesen ist. Denn alsdann associirt sich gleich mit
dem Anfange eines neuen, gleichartigen Handelns, die Vor-
stellung eines Zeitverlaufs, den die Befriedigung der Be-
gierde beschließen werde. Hiebey entsteht ein Blick in die
Zukunft
, der sich immer mehr erweitert, je mehr Mittel
zum Zwecke der Mensch voranschicken lernt. Eine Reihe
α, β, γ, δ, habe sich in früherer Auffassung des Verlaufs
einer Begebenheit gebildet. Jetzo sey die Vorstellung δ im
Zustande der Begierde. Obgleich sie als solche wider eine
Hemmung aufstrebt, so können doch die Hülfen, welche sie
den Vorstellungen γ, β, α zusendet, ungehindert wirken,
falls die eben bezeichneten keine Hemmung im Bewußtseyn
antreffen. Es werden also γ, β, α, in gehöriger Abstu-
fung reproducirt (wie b und a in 143 gegen das Ende),
und wofern eine dieser Vorstellungen mit einem Handeln
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[178/0186] daß sie viele Beymischungen, zum Theil von sinnlichen Ge- fühlen in sich aufnimmt; ihre einfachste Gestalt aber zeigt sie da, wo sie aus bloßer Gewöhnung entsteht. (Zu ver- gleichen ist des Verfassers allgemeine praktische Philosophie, S. 360.) 222. Was und wie der Mensch liebt, — von den zerstreuenden Liebhabereyen bis zu der Liebe als verzehren- der Leidenschaft, — das ergiebt das erste Wesentliche seines Charakters. Doch hiebey kommen mancherley formale Bestimmungen in Betracht, die an den Begriff des Wil- lens müssen geknüpft werden. (Die ersten vier Capitel des dritten Buchs der allgemeinen Pädagogik stehn damit in Verbindung.) 223. Wille ist Begierde, mit der, Voraus- setzung der Erlangung des Begehrten. Diese Vor- aussetzung verknüpft sich mit der Begierde, sobald in ähn- lichen Fällen die Anstrengung des Handelns (219) von Erfolg gewesen ist. Denn alsdann associirt sich gleich mit dem Anfange eines neuen, gleichartigen Handelns, die Vor- stellung eines Zeitverlaufs, den die Befriedigung der Be- gierde beschließen werde. Hiebey entsteht ein Blick in die Zukunft, der sich immer mehr erweitert, je mehr Mittel zum Zwecke der Mensch voranschicken lernt. Eine Reihe α, β, γ, δ, habe sich in früherer Auffassung des Verlaufs einer Begebenheit gebildet. Jetzo sey die Vorstellung δ im Zustande der Begierde. Obgleich sie als solche wider eine Hemmung aufstrebt, so können doch die Hülfen, welche sie den Vorstellungen γ, β, α zusendet, ungehindert wirken, falls die eben bezeichneten keine Hemmung im Bewußtseyn antreffen. Es werden also γ, β, α, in gehöriger Abstu- fung reproducirt (wie b und a in 143 gegen das Ende), und wofern eine dieser Vorstellungen mit einem Handeln complicirt ist (218), so geschieht eine solche Handlung;

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/186>, abgerufen am 18.05.2024.