dieser positiven Denkkraft Raum und Sphäre er- theilet: dazu ihr Stoff und Materie abgewogen: dazu Gestalt und Form geschaffen: dazu endlich Sinne organisirt und gereihet -- zu Sprache! Darum denkt der Mensch nicht heller, nicht dunk- ler; darum sieht und fühlt er nicht schärfer, nicht länger, nicht lebhafter: darum hat er diese, nicht mehr und nicht andre Sinne -- alles wiegt gegen- einander! ist ausgespart und ersezt! Mit Absicht angelegt und vertheilt! Einheit und Zusammen- hang! Proportion und Ordnung! Ein Ganzes! Ein System! ein Geschöpf von Besonnenheit und Sprache, von Besinnung und Sprach- schaffung! Wollte jemand nach allen Beobach- tungen, noch diese Bestimmung zum Sprachge- schöpfe läugnen, der müßte aus dem Beobachter der Natur erst ihr Zerstörer werden! Alle ange- zeigte Harmonien in Mißtöne zerreißen: das ganze Prachtgebäude der menschlichen Kräfte in Trüm- mern schlagen, seine Sinnlichkeit verwüsten und statt des Meisterstüks der Natur ein Geschöpf füh- len, voll Mängel und Lücken, voll Schwächen und Convulsionen! Und wenn denn nun auf der
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dieſer poſitiven Denkkraft Raum und Sphaͤre er- theilet: dazu ihr Stoff und Materie abgewogen: dazu Geſtalt und Form geſchaffen: dazu endlich Sinne organiſirt und gereihet — zu Sprache! Darum denkt der Menſch nicht heller, nicht dunk- ler; darum ſieht und fuͤhlt er nicht ſchaͤrfer, nicht laͤnger, nicht lebhafter: darum hat er dieſe, nicht mehr und nicht andre Sinne — alles wiegt gegen- einander! iſt ausgeſpart und erſezt! Mit Abſicht angelegt und vertheilt! Einheit und Zuſammen- hang! Proportion und Ordnung! Ein Ganzes! Ein Syſtem! ein Geſchoͤpf von Beſonnenheit und Sprache, von Beſinnung und Sprach- ſchaffung! Wollte jemand nach allen Beobach- tungen, noch dieſe Beſtimmung zum Sprachge- ſchoͤpfe laͤugnen, der muͤßte aus dem Beobachter der Natur erſt ihr Zerſtoͤrer werden! Alle ange- zeigte Harmonien in Mißtoͤne zerreißen: das ganze Prachtgebaͤude der menſchlichen Kraͤfte in Truͤm- mern ſchlagen, ſeine Sinnlichkeit verwuͤſten und ſtatt des Meiſterſtuͤks der Natur ein Geſchoͤpf fuͤh- len, voll Maͤngel und Luͤcken, voll Schwaͤchen und Convulſionen! Und wenn denn nun auf der
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dieſer poſitiven Denkkraft Raum und Sphaͤre er-
theilet: dazu ihr Stoff und Materie abgewogen:
dazu Geſtalt und Form geſchaffen: dazu endlich
Sinne organiſirt und gereihet — zu Sprache!
Darum denkt der Menſch nicht heller, nicht dunk-
ler; darum ſieht und fuͤhlt er nicht ſchaͤrfer, nicht
laͤnger, nicht lebhafter: darum hat er dieſe, nicht
mehr und nicht andre Sinne — alles wiegt gegen-
einander! iſt ausgeſpart und erſezt! Mit Abſicht
angelegt und vertheilt! Einheit und Zuſammen-
hang! Proportion und Ordnung! Ein Ganzes!
Ein Syſtem! ein Geſchoͤpf von Beſonnenheit
und Sprache, von Beſinnung und Sprach-
ſchaffung! Wollte jemand nach allen Beobach-
tungen, noch dieſe Beſtimmung zum Sprachge-
ſchoͤpfe laͤugnen, der muͤßte aus dem Beobachter
der Natur erſt ihr Zerſtoͤrer werden! Alle ange-
zeigte Harmonien in Mißtoͤne zerreißen: das ganze
Prachtgebaͤude der menſchlichen Kraͤfte in Truͤm-
mern ſchlagen, ſeine Sinnlichkeit verwuͤſten und
ſtatt des Meiſterſtuͤks der Natur ein Geſchoͤpf fuͤh-
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/113>, abgerufen am 17.06.2024.
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