Rousseau, der hier, wie gewöhnlich nach seiner Art, aufruft: "was hatte denn die Mutter ih- "rem Kinde, viel zu sagen? hatte das Kind "nicht seiner Mutter mehr zu sagen? woher lernte "denn dies schon Sprache, sie seine Mutter zu "lehren?" macht aber auch hier, wie nach seiner Art gewöhnlich, ein panisches Feldgeschrei. Aller- dings hatte die Mutter mehr das Kind zu lehren als das Kind die Mutter -- weil jene es mehr lehren konnte, und der mütterliche Jnstinkt, Liebe und Mitleiden, den Rousseau aus Barm- herzigkeit den Thieren zugibt und aus Großmuth seinem Geschlecht versagt, sie zu diesem Unterricht, wie der Ueberfluß der Milch zum Saugen zwang. Sehen wir denn nicht selbst an manchen Thieren, daß die Aeltere ihre Jungen zu ihrer Lebensart gewöhnen? und wenn denn nun ein Vater seinen Sohn von früher Jugend an zur Jagd gewöhnte, ging dies ohne Unterricht und Sprache ab? "Ja! "ein solches Wörterdiktiren zeigt schon eine gebil- "dete Sprache an, die man lehrt; nicht eine, "die sich erst bildet!" Und ist das wieder ein Unterschied, der Ausnahme mache? Freilich war
die
Rouſſeau, der hier, wie gewoͤhnlich nach ſeiner Art, aufruft: „was hatte denn die Mutter ih- „rem Kinde, viel zu ſagen? hatte das Kind „nicht ſeiner Mutter mehr zu ſagen? woher lernte „denn dies ſchon Sprache, ſie ſeine Mutter zu „lehren?„ macht aber auch hier, wie nach ſeiner Art gewoͤhnlich, ein paniſches Feldgeſchrei. Aller- dings hatte die Mutter mehr das Kind zu lehren als das Kind die Mutter — weil jene es mehr lehren konnte, und der muͤtterliche Jnſtinkt, Liebe und Mitleiden, den Rouſſeau aus Barm- herzigkeit den Thieren zugibt und aus Großmuth ſeinem Geſchlecht verſagt, ſie zu dieſem Unterricht, wie der Ueberfluß der Milch zum Saugen zwang. Sehen wir denn nicht ſelbſt an manchen Thieren, daß die Aeltere ihre Jungen zu ihrer Lebensart gewoͤhnen? und wenn denn nun ein Vater ſeinen Sohn von fruͤher Jugend an zur Jagd gewoͤhnte, ging dies ohne Unterricht und Sprache ab? „Ja! „ein ſolches Woͤrterdiktiren zeigt ſchon eine gebil- „dete Sprache an, die man lehrt; nicht eine, „die ſich erſt bildet!„ Und iſt das wieder ein Unterſchied, der Ausnahme mache? Freilich war
die
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Rouſſeau, der hier, wie gewoͤhnlich nach ſeiner
Art, aufruft: „was hatte denn die Mutter ih-
„rem Kinde, viel zu ſagen? hatte das Kind
„nicht ſeiner Mutter mehr zu ſagen? woher lernte
„denn dies ſchon Sprache, ſie ſeine Mutter zu
„lehren?„ macht aber auch hier, wie nach ſeiner
Art gewoͤhnlich, ein paniſches Feldgeſchrei. Aller-
dings hatte die Mutter mehr das Kind zu lehren
als das Kind die Mutter — weil jene es mehr
lehren konnte, und der muͤtterliche Jnſtinkt,
Liebe und Mitleiden, den Rouſſeau aus Barm-
herzigkeit den Thieren zugibt und aus Großmuth
ſeinem Geſchlecht verſagt, ſie zu dieſem Unterricht,
wie der Ueberfluß der Milch zum Saugen zwang.
Sehen wir denn nicht ſelbſt an manchen Thieren,
daß die Aeltere ihre Jungen zu ihrer Lebensart
gewoͤhnen? und wenn denn nun ein Vater ſeinen
Sohn von fruͤher Jugend an zur Jagd gewoͤhnte,
ging dies ohne Unterricht und Sprache ab? „Ja!
„ein ſolches Woͤrterdiktiren zeigt ſchon eine gebil-
„dete Sprache an, die man lehrt; nicht eine,
„die ſich erſt bildet!„ Und iſt das wieder ein
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/188>, abgerufen am 16.06.2024.
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