Der Hauptsinn vieler Geschöpfe ist der Geruch: er ist ihnen der nothwendigste zur Unterhaltung und ihres Jnstinkts Führer. Nun siehe, wie sich im Gesicht des Thiers die Na- se hervordrängt: so drängen sich auch im Gehirn desselben die Geruchnerven hervor, als ob zu ihnen allein der Vorder- theil des Haupts gemacht wäre. Breit, hol und markig ge- hen sie daher, daß sie fortgesetzte Gehirnkammern scheinen; bei manchen Gattungen gehen die Stirnhölen weit herauf, um vielleicht auch den Sinn des Geruchs zu verstärken und so, wenn ich so sagen darf, ist ein großer Theil der Thierseele geruchartig. Die Sehnerven folgen, da nach dem Geruch dieser Sinn dem Geschöpf der nöthigste war: sie gelangen schon mehr zur mittlern Region des Gehirns, wie sie auch ei- nem feineren Sinn dienen. Die andern Nerven, die ich nicht hererzählen will, folgen in der Maaße, wie die äußere und innere Organisation einen Zusammenhang der Theile fodert, so daß z. B. die Nerven und Muskeln der Theile des Hinterhaupts den Mund, die Kinnbacken u. f. stützen und beseelen. Sie schließen also gleichsam das Antlitz und machen das äußere Gebilde so zu einem Ganzen, wie es nach dem Verhältniß innerer Kräfte das Jnnere war; nur be- rechne man dieses nicht blos auf das Gesicht, sondern auf den ganzen Körper. Es ist sehr angenehm, die verschiednen Verhältnisse verschiedner Gestalten vergleichend durchzugehn
und
Der Hauptſinn vieler Geſchoͤpfe iſt der Geruch: er iſt ihnen der nothwendigſte zur Unterhaltung und ihres Jnſtinkts Fuͤhrer. Nun ſiehe, wie ſich im Geſicht des Thiers die Na- ſe hervordraͤngt: ſo draͤngen ſich auch im Gehirn deſſelben die Geruchnerven hervor, als ob zu ihnen allein der Vorder- theil des Haupts gemacht waͤre. Breit, hol und markig ge- hen ſie daher, daß ſie fortgeſetzte Gehirnkammern ſcheinen; bei manchen Gattungen gehen die Stirnhoͤlen weit herauf, um vielleicht auch den Sinn des Geruchs zu verſtaͤrken und ſo, wenn ich ſo ſagen darf, iſt ein großer Theil der Thierſeele geruchartig. Die Sehnerven folgen, da nach dem Geruch dieſer Sinn dem Geſchoͤpf der noͤthigſte war: ſie gelangen ſchon mehr zur mittlern Region des Gehirns, wie ſie auch ei- nem feineren Sinn dienen. Die andern Nerven, die ich nicht hererzaͤhlen will, folgen in der Maaße, wie die aͤußere und innere Organiſation einen Zuſammenhang der Theile fodert, ſo daß z. B. die Nerven und Muskeln der Theile des Hinterhaupts den Mund, die Kinnbacken u. f. ſtuͤtzen und beſeelen. Sie ſchließen alſo gleichſam das Antlitz und machen das aͤußere Gebilde ſo zu einem Ganzen, wie es nach dem Verhaͤltniß innerer Kraͤfte das Jnnere war; nur be- rechne man dieſes nicht blos auf das Geſicht, ſondern auf den ganzen Koͤrper. Es iſt ſehr angenehm, die verſchiednen Verhaͤltniſſe verſchiedner Geſtalten vergleichend durchzugehn
und
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[200[180]/0202]
Der Hauptſinn vieler Geſchoͤpfe iſt der Geruch: er iſt ihnen
der nothwendigſte zur Unterhaltung und ihres Jnſtinkts
Fuͤhrer. Nun ſiehe, wie ſich im Geſicht des Thiers die Na-
ſe hervordraͤngt: ſo draͤngen ſich auch im Gehirn deſſelben
die Geruchnerven hervor, als ob zu ihnen allein der Vorder-
theil des Haupts gemacht waͤre. Breit, hol und markig ge-
hen ſie daher, daß ſie fortgeſetzte Gehirnkammern ſcheinen;
bei manchen Gattungen gehen die Stirnhoͤlen weit herauf,
um vielleicht auch den Sinn des Geruchs zu verſtaͤrken und
ſo, wenn ich ſo ſagen darf, iſt ein großer Theil der Thierſeele
geruchartig. Die Sehnerven folgen, da nach dem Geruch
dieſer Sinn dem Geſchoͤpf der noͤthigſte war: ſie gelangen
ſchon mehr zur mittlern Region des Gehirns, wie ſie auch ei-
nem feineren Sinn dienen. Die andern Nerven, die ich
nicht hererzaͤhlen will, folgen in der Maaße, wie die aͤußere
und innere Organiſation einen Zuſammenhang der Theile
fodert, ſo daß z. B. die Nerven und Muskeln der Theile
des Hinterhaupts den Mund, die Kinnbacken u. f. ſtuͤtzen
und beſeelen. Sie ſchließen alſo gleichſam das Antlitz und
machen das aͤußere Gebilde ſo zu einem Ganzen, wie es nach
dem Verhaͤltniß innerer Kraͤfte das Jnnere war; nur be-
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 200[180]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/202>, abgerufen am 31.10.2024.
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