einzelne Laute meiner Bekannten und Freun- de hörte.
Ich sah ein Theater, wie ichs zu unsrer Zeit nicht gesehen hatte, dem Griechischen sehr ähnlich. Sogar der Chor erschien auf demselben wieder, als Zeuge einer all- gemeinen Theilnehmung an dem was ver- handelt ward; unserer Zeit fremde.
Ich bemerkte den Zustand der Philoso- phie; Männer, die mir theuer gewesen waren, erblickte ich als Gesetzgeber und Einrichter der Nachwelt. Meine ganze Seele war wie in den Tagen meiner Ju- gend.
Gesetze endlich, Regierungen, der Zu- stand der Menschheit waren so, und so leicht verändert, daß ich mich wunderte, wie wir das alles gewußt, gekannt und nicht angewandt haben konnten. Auch hier nannte man mir heilige, verehrte Na-
men
einzelne Laute meiner Bekannten und Freun- de hoͤrte.
Ich ſah ein Theater, wie ichs zu unſrer Zeit nicht geſehen hatte, dem Griechiſchen ſehr aͤhnlich. Sogar der Chor erſchien auf demſelben wieder, als Zeuge einer all- gemeinen Theilnehmung an dem was ver- handelt ward; unſerer Zeit fremde.
Ich bemerkte den Zuſtand der Philoſo- phie; Maͤnner, die mir theuer geweſen waren, erblickte ich als Geſetzgeber und Einrichter der Nachwelt. Meine ganze Seele war wie in den Tagen meiner Ju- gend.
Geſetze endlich, Regierungen, der Zu- ſtand der Menſchheit waren ſo, und ſo leicht veraͤndert, daß ich mich wunderte, wie wir das alles gewußt, gekannt und nicht angewandt haben konnten. Auch hier nannte man mir heilige, verehrte Na-
men
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einzelne Laute meiner Bekannten und Freun-
de hoͤrte.
Ich ſah ein Theater, wie ichs zu unſrer
Zeit nicht geſehen hatte, dem Griechiſchen
ſehr aͤhnlich. Sogar der Chor erſchien
auf demſelben wieder, als Zeuge einer all-
gemeinen Theilnehmung an dem was ver-
handelt ward; unſerer Zeit fremde.
Ich bemerkte den Zuſtand der Philoſo-
phie; Maͤnner, die mir theuer geweſen
waren, erblickte ich als Geſetzgeber und
Einrichter der Nachwelt. Meine ganze
Seele war wie in den Tagen meiner Ju-
gend.
Geſetze endlich, Regierungen, der Zu-
ſtand der Menſchheit waren ſo, und ſo
leicht veraͤndert, daß ich mich wunderte,
wie wir das alles gewußt, gekannt und
nicht angewandt haben konnten. Auch
hier nannte man mir heilige, verehrte Na-
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 2. Riga, 1793, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet02_1793/101>, abgerufen am 17.06.2024.
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