und Abendlande, zwischen Griechen und uns eintrat, hat keine neue Kategorie, sondern die Vermischung der Völker, der Religionen und Sprachen, endlich der Fortgang der Sitten, der Erfindungen, der Känntniße und Erfahrungen, bewirket; ein Unterschied, der schwerlich mit Einem Wort auszudrücken seyn möchte. Wenn ich bei einigen Neuern das Wort Dich- ter aus Reflexion gebrauchte, so war auch dies unvollkommen: denn ein Dichter aus bloßer Reflexion ist eigentlich kein Dichter.
Der Poesie Grund und Boden ist Einbildungskraft und Gemüth, das Land der Seelen. Ein Ideal der Glückseligkeit, der Schönheit und Würde, das in deinem Herzen schlummert, wecket sie auf durch Worte und Charaktere; sie ist der Sprache, der Sinne und des Ge-
und Abendlande, zwiſchen Griechen und uns eintrat, hat keine neue Kategorie, ſondern die Vermiſchung der Voͤlker, der Religionen und Sprachen, endlich der Fortgang der Sitten, der Erfindungen, der Kaͤnntniße und Erfahrungen, bewirket; ein Unterſchied, der ſchwerlich mit Einem Wort auszudruͤcken ſeyn moͤchte. Wenn ich bei einigen Neuern das Wort Dich- ter aus Reflexion gebrauchte, ſo war auch dies unvollkommen: denn ein Dichter aus bloßer Reflexion iſt eigentlich kein Dichter.
Der Poeſie Grund und Boden iſt Einbildungskraft und Gemuͤth, das Land der Seelen. Ein Ideal der Gluͤckſeligkeit, der Schoͤnheit und Wuͤrde, das in deinem Herzen ſchlummert, wecket ſie auf durch Worte und Charaktere; ſie iſt der Sprache, der Sinne und des Ge-
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und Abendlande, zwiſchen Griechen und
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Fortgang der Sitten, der Erfindungen,
der Kaͤnntniße und Erfahrungen, bewirket;
ein Unterſchied, der ſchwerlich mit Einem
Wort auszudruͤcken ſeyn moͤchte. Wenn
ich bei einigen Neuern das Wort Dich-
ter aus Reflexion gebrauchte, ſo war
auch dies unvollkommen: denn ein Dichter
aus bloßer Reflexion iſt eigentlich
kein Dichter.
Der Poeſie Grund und Boden iſt
Einbildungskraft und Gemuͤth, das
Land der Seelen. Ein Ideal der
Gluͤckſeligkeit, der Schoͤnheit und Wuͤrde,
das in deinem Herzen ſchlummert, wecket
ſie auf durch Worte und Charaktere; ſie
iſt der Sprache, der Sinne und des Ge-
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/204>, abgerufen am 13.06.2024.
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