von welchen er ganz und gar keinen Vortheil hat, weder Geld noch Ehre noch Vergnügen. In der Zeit, die mir ein Stück von zehn Bogen kostet, könnte ich gut und gern mit weniger Mühe hundert andre Bogen schrei- ben. Zwar habe ich, nach meinem letzten Ueberschlage, wenigstens zwölf Stücke, Komö- dien und Tragödien zusammengerechnet, deren jedes ich innerhalb sechs Wochen fertig machen könnte. Aber wozu mich, für nichts und wie- der für nichts, sechs Wochen auf die Folter spannen? Jeder Künstler setzt seine Preise; jeder Künstler sucht so gemächlich von seinen Werken zu leben, als möglich: warum denn nun nicht auch der Dichter? Wenn meine Stücke nicht hundert Louisd'or werth sind; so sagt mir lieber gar nichts mehr davon: denn sie sind sodann gar nichts mehr werth. Für die Ehre meines lieben Vaterlandes will ich keine Feder ansetzen, und wenn sie auch in diesem Stück auf immer einzig und allein von meiner Feder abhangen sollte. Für meine
von welchen er ganz und gar keinen Vortheil hat, weder Geld noch Ehre noch Vergnuͤgen. In der Zeit, die mir ein Stuͤck von zehn Bogen koſtet, koͤnnte ich gut und gern mit weniger Muͤhe hundert andre Bogen ſchrei- ben. Zwar habe ich, nach meinem letzten Ueberſchlage, wenigſtens zwoͤlf Stuͤcke, Komoͤ- dien und Tragoͤdien zuſammengerechnet, deren jedes ich innerhalb ſechs Wochen fertig machen koͤnnte. Aber wozu mich, fuͤr nichts und wie- der fuͤr nichts, ſechs Wochen auf die Folter ſpannen? Jeder Kuͤnſtler ſetzt ſeine Preiſe; jeder Kuͤnſtler ſucht ſo gemaͤchlich von ſeinen Werken zu leben, als moͤglich: warum denn nun nicht auch der Dichter? Wenn meine Stuͤcke nicht hundert Louisd'or werth ſind; ſo ſagt mir lieber gar nichts mehr davon: denn ſie ſind ſodann gar nichts mehr werth. Fuͤr die Ehre meines lieben Vaterlandes will ich keine Feder anſetzen, und wenn ſie auch in dieſem Stuͤck auf immer einzig und allein von meiner Feder abhangen ſollte. Fuͤr meine
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von welchen er ganz und gar keinen Vortheil
hat, weder Geld noch Ehre noch Vergnuͤgen.
In der Zeit, die mir ein Stuͤck von zehn
Bogen koſtet, koͤnnte ich gut und gern mit
weniger Muͤhe hundert andre Bogen ſchrei-
ben. Zwar habe ich, nach meinem letzten
Ueberſchlage, wenigſtens zwoͤlf Stuͤcke, Komoͤ-
dien und Tragoͤdien zuſammengerechnet, deren
jedes ich innerhalb ſechs Wochen fertig machen
koͤnnte. Aber wozu mich, fuͤr nichts und wie-
der fuͤr nichts, ſechs Wochen auf die Folter
ſpannen? Jeder Kuͤnſtler ſetzt ſeine Preiſe;
jeder Kuͤnſtler ſucht ſo gemaͤchlich von ſeinen
Werken zu leben, als moͤglich: warum denn
nun nicht auch der Dichter? Wenn meine
Stuͤcke nicht hundert Louisd'or werth ſind; ſo
ſagt mir lieber gar nichts mehr davon: denn
ſie ſind ſodann gar nichts mehr werth. Fuͤr
die Ehre meines lieben Vaterlandes will ich
keine Feder anſetzen, und wenn ſie auch in
dieſem Stuͤck auf immer einzig und allein von
meiner Feder abhangen ſollte. Fuͤr meine
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/134>, abgerufen am 13.06.2024.
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