"mäß, erst mit dem Dinge, und dann mit seinen "Zufälligkeiten bekannt. Diesen Vortheil hat "unsre Sprache nicht." Keine neuere Sprache hat ihn, die zur Prose ursprünglich gebildet worden.
Und wenn in diesem Fortschreitenden eben Homers Manier bestehet: und seine Sprache (er pflanzte sie auf seine Dichter fort) und nur seine Sprache dies Fortschreitende zur Manier, zum Ge- setze ihrer Zusammenordnung macht: wie in einer Uebersetzung; so wird Homer in einer Uebersetzung nach dieser neuen Construktionsmanier, die einmal ein Gesetz unsrer Sprachen geworden, seine Ma- nier, das Wesen seiner Poesie, das mit jedem Zu- ge Fortschreitende verlieren: er wird prosaisirt werden. Prosaisirt, nicht in den Farben, in den Figuren seiner Bilder: sondern in der Art ihrer Stellung, in Composition und Manier, und da denke ich, hat er mehr verlohren, als durch jedes Andere! Ein solcher Verlust geht die Art des Aus- drucks in seinem ganzen Werke durch, er ist der größte, denn er hindert den Gang seiner Muse.
Jch nehme sein Bild vom herabsteigenden Apol- lo, und sage: So weit das Leben über das Gemäl- de geht, so weit ist hier der Dichter über den Pro- saisten einer neuern Sprache: Apollo steigt von den Höhen des Olympus: ergrimmt: Bogen und Kö- cher auf der Schulter. Jch sehe ihn nicht allein
herab-
Erſtes Waͤldchen.
„maͤß, erſt mit dem Dinge, und dann mit ſeinen „Zufaͤlligkeiten bekannt. Dieſen Vortheil hat „unſre Sprache nicht.„ Keine neuere Sprache hat ihn, die zur Proſe urſpruͤnglich gebildet worden.
Und wenn in dieſem Fortſchreitenden eben Homers Manier beſtehet: und ſeine Sprache (er pflanzte ſie auf ſeine Dichter fort) und nur ſeine Sprache dies Fortſchreitende zur Manier, zum Ge- ſetze ihrer Zuſammenordnung macht: wie in einer Ueberſetzung; ſo wird Homer in einer Ueberſetzung nach dieſer neuen Conſtruktionsmanier, die einmal ein Geſetz unſrer Sprachen geworden, ſeine Ma- nier, das Weſen ſeiner Poeſie, das mit jedem Zu- ge Fortſchreitende verlieren: er wird proſaiſirt werden. Proſaiſirt, nicht in den Farben, in den Figuren ſeiner Bilder: ſondern in der Art ihrer Stellung, in Compoſition und Manier, und da denke ich, hat er mehr verlohren, als durch jedes Andere! Ein ſolcher Verluſt geht die Art des Aus- drucks in ſeinem ganzen Werke durch, er iſt der groͤßte, denn er hindert den Gang ſeiner Muſe.
Jch nehme ſein Bild vom herabſteigenden Apol- lo, und ſage: So weit das Leben uͤber das Gemaͤl- de geht, ſo weit iſt hier der Dichter uͤber den Pro- ſaiſten einer neuern Sprache: Apollo ſteigt von den Hoͤhen des Olympus: ergrimmt: Bogen und Koͤ- cher auf der Schulter. Jch ſehe ihn nicht allein
herab-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0195"n="189"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Erſtes Waͤldchen.</hi></fw><lb/>„maͤß, erſt mit dem Dinge, und dann mit ſeinen<lb/>„Zufaͤlligkeiten bekannt. Dieſen Vortheil hat<lb/>„unſre Sprache nicht.„ Keine neuere Sprache<lb/>
hat ihn, die zur Proſe urſpruͤnglich gebildet<lb/>
worden.</p><lb/><p>Und wenn in dieſem <hirendition="#fr">Fortſchreitenden</hi> eben<lb/>
Homers Manier beſtehet: und ſeine Sprache (er<lb/>
pflanzte ſie auf ſeine Dichter fort) und nur <hirendition="#fr">ſeine</hi><lb/>
Sprache dies Fortſchreitende zur Manier, zum Ge-<lb/>ſetze ihrer Zuſammenordnung macht: wie in einer<lb/>
Ueberſetzung; ſo wird Homer in einer Ueberſetzung<lb/>
nach dieſer neuen Conſtruktionsmanier, die einmal<lb/>
ein Geſetz unſrer Sprachen geworden, <hirendition="#fr">ſeine Ma-<lb/>
nier,</hi> das Weſen ſeiner Poeſie, das mit jedem Zu-<lb/>
ge Fortſchreitende verlieren: er wird proſaiſirt<lb/>
werden. Proſaiſirt, nicht in den Farben, in den<lb/>
Figuren ſeiner Bilder: ſondern in der Art ihrer<lb/>
Stellung, in Compoſition und Manier, und da<lb/>
denke ich, hat er mehr verlohren, als durch jedes<lb/>
Andere! Ein ſolcher Verluſt geht die Art des Aus-<lb/>
drucks in ſeinem ganzen Werke durch, er iſt der<lb/>
groͤßte, denn er hindert den Gang ſeiner Muſe.</p><lb/><p>Jch nehme ſein Bild vom herabſteigenden Apol-<lb/>
lo, und ſage: So weit das Leben uͤber das Gemaͤl-<lb/>
de geht, ſo weit iſt hier der Dichter uͤber den Pro-<lb/>ſaiſten einer neuern Sprache: Apollo ſteigt von den<lb/>
Hoͤhen des Olympus: ergrimmt: Bogen und Koͤ-<lb/>
cher auf der Schulter. Jch ſehe ihn nicht allein<lb/><fwplace="bottom"type="catch">herab-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[189/0195]
Erſtes Waͤldchen.
„maͤß, erſt mit dem Dinge, und dann mit ſeinen
„Zufaͤlligkeiten bekannt. Dieſen Vortheil hat
„unſre Sprache nicht.„ Keine neuere Sprache
hat ihn, die zur Proſe urſpruͤnglich gebildet
worden.
Und wenn in dieſem Fortſchreitenden eben
Homers Manier beſtehet: und ſeine Sprache (er
pflanzte ſie auf ſeine Dichter fort) und nur ſeine
Sprache dies Fortſchreitende zur Manier, zum Ge-
ſetze ihrer Zuſammenordnung macht: wie in einer
Ueberſetzung; ſo wird Homer in einer Ueberſetzung
nach dieſer neuen Conſtruktionsmanier, die einmal
ein Geſetz unſrer Sprachen geworden, ſeine Ma-
nier, das Weſen ſeiner Poeſie, das mit jedem Zu-
ge Fortſchreitende verlieren: er wird proſaiſirt
werden. Proſaiſirt, nicht in den Farben, in den
Figuren ſeiner Bilder: ſondern in der Art ihrer
Stellung, in Compoſition und Manier, und da
denke ich, hat er mehr verlohren, als durch jedes
Andere! Ein ſolcher Verluſt geht die Art des Aus-
drucks in ſeinem ganzen Werke durch, er iſt der
groͤßte, denn er hindert den Gang ſeiner Muſe.
Jch nehme ſein Bild vom herabſteigenden Apol-
lo, und ſage: So weit das Leben uͤber das Gemaͤl-
de geht, ſo weit iſt hier der Dichter uͤber den Pro-
ſaiſten einer neuern Sprache: Apollo ſteigt von den
Hoͤhen des Olympus: ergrimmt: Bogen und Koͤ-
cher auf der Schulter. Jch ſehe ihn nicht allein
herab-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/195>, abgerufen am 15.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.