"Ferner! * Die grosse Manier im Dia- "logiren sollen wir auch zu erreichen stre- "ben, die wir an den Alten bewundern? "Sie wusten einen Discurs mit vieler Ge- "schicklichkeit, aber doch natürlich herbeizu- "führen, die Materie unter die unterreden- "de Personen glücklich zu vertheilen, jede Per- "son karaktergemäß denken, und gelegent- "lich sprechen zu lassen, und gleichwohl war "ihr Augenmerk auf das Ganze mit ge- "richtet. Die Einheit des Endzweckes füg- "te die mannichfaltige Theile so glücklich an "einander, daß man dem Faden der Unter- "redung ohne Verwirrung folgen, und den "Weg, den man zurückgelegt, ganz überse- "hen konnte. Sokrates hatte seine eigene "Weise. Er wuste seinen Gegner durch "geschickte Umwege dahin zu locken, wo er "ihn haben wollte; und wenn ein Mißtrauen "entstand, so erlaubte er ihm zurück zu "kehren, und wenn er es nöthig findet, sich "besser vorzusehen. Seine größte Kunst aber "sezte er daran, die wichtigen Lehren, davon
"er
* Litt. Br. Th. 7. p. 24.
„Ferner! * Die groſſe Manier im Dia- „logiren ſollen wir auch zu erreichen ſtre- „ben, die wir an den Alten bewundern? „Sie wuſten einen Diſcurs mit vieler Ge- „ſchicklichkeit, aber doch natuͤrlich herbeizu- „fuͤhren, die Materie unter die unterreden- „de Perſonen gluͤcklich zu vertheilen, jede Per- „ſon karaktergemaͤß denken, und gelegent- „lich ſprechen zu laſſen, und gleichwohl war „ihr Augenmerk auf das Ganze mit ge- „richtet. Die Einheit des Endzweckes fuͤg- „te die mannichfaltige Theile ſo gluͤcklich an „einander, daß man dem Faden der Unter- „redung ohne Verwirrung folgen, und den „Weg, den man zuruͤckgelegt, ganz uͤberſe- „hen konnte. Sokrates hatte ſeine eigene „Weiſe. Er wuſte ſeinen Gegner durch „geſchickte Umwege dahin zu locken, wo er „ihn haben wollte; und wenn ein Mißtrauen „entſtand, ſo erlaubte er ihm zuruͤck zu „kehren, und wenn er es noͤthig findet, ſich „beſſer vorzuſehen. Seine groͤßte Kunſt aber „ſezte er daran, die wichtigen Lehren, davon
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* Litt. Br. Th. 7. p. 24.
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„Ferner! * Die groſſe Manier im Dia-
„logiren ſollen wir auch zu erreichen ſtre-
„ben, die wir an den Alten bewundern?
„Sie wuſten einen Diſcurs mit vieler Ge-
„ſchicklichkeit, aber doch natuͤrlich herbeizu-
„fuͤhren, die Materie unter die unterreden-
„de Perſonen gluͤcklich zu vertheilen, jede Per-
„ſon karaktergemaͤß denken, und gelegent-
„lich ſprechen zu laſſen, und gleichwohl war
„ihr Augenmerk auf das Ganze mit ge-
„richtet. Die Einheit des Endzweckes fuͤg-
„te die mannichfaltige Theile ſo gluͤcklich an
„einander, daß man dem Faden der Unter-
„redung ohne Verwirrung folgen, und den
„Weg, den man zuruͤckgelegt, ganz uͤberſe-
„hen konnte. Sokrates hatte ſeine eigene
„Weiſe. Er wuſte ſeinen Gegner durch
„geſchickte Umwege dahin zu locken, wo er
„ihn haben wollte; und wenn ein Mißtrauen
„entſtand, ſo erlaubte er ihm zuruͤck zu
„kehren, und wenn er es noͤthig findet, ſich
„beſſer vorzuſehen. Seine groͤßte Kunſt aber
„ſezte er daran, die wichtigen Lehren, davon
„er
* Litt. Br. Th. 7. p. 24.
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/83>, abgerufen am 15.06.2024.
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