Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.stand und sie zurückhielt, und als er mich eintreten sah, hat er sich zu ihr niedergebeugt und ihr lange was ins Ohr gesagt, was ich nicht hab' verstehen können; darauf ist sie still geworden. Ob es im Fieber gewesen war, oder sonst so in der Einbildung, was kann es dich kümmern, Andree? Und wenn's wirklich so wäre, mußt du mich darum nimmer lieb haben? Sind wir nicht doch wie Bruder und Schwester gewesen, seit wir denken können, und nun wär's auf einmal aus mit uns Beiden? Schau, Andree, ich könnt' mich nit so ändern. Und wenn's der Kaiser selbst ausrufen ließe, wie's die Mutter gewollt hat, du bliebst doch allezeit mein Bruder, und das Häusel wär' dein und der Weinberg und Alles. Zudem, ich werde doch nicht da wohnen bleiben. Denn du mußt nur wissen, ich hab' mich mit dem Hirzerfranz versprochen, und auf den Herbst halten wir Hochzeit, und ich wohne dann droben auf Goyen. Du bist doch nicht bös darüber, daß ich dich nicht erst gefragt hab'? Sie wagte ihn nicht anzusehn, als sie das sagte, sie wußte selbst nicht warum, aber es schien ihr in diesem Augenblick wie eine schwere Sünde, daß sie dem Franz ihr Wort gegeben, und sie hätt' es gern ungeschehen gemacht; denn sie wußte ja, daß er mit ihrem Bruder nicht gut freund war. Sie stand zitternd und demüthig, wie ein Kind, das gescholten zu werden erwartet. Doch als er immer schwieg, wurde stand und sie zurückhielt, und als er mich eintreten sah, hat er sich zu ihr niedergebeugt und ihr lange was ins Ohr gesagt, was ich nicht hab' verstehen können; darauf ist sie still geworden. Ob es im Fieber gewesen war, oder sonst so in der Einbildung, was kann es dich kümmern, Andree? Und wenn's wirklich so wäre, mußt du mich darum nimmer lieb haben? Sind wir nicht doch wie Bruder und Schwester gewesen, seit wir denken können, und nun wär's auf einmal aus mit uns Beiden? Schau, Andree, ich könnt' mich nit so ändern. Und wenn's der Kaiser selbst ausrufen ließe, wie's die Mutter gewollt hat, du bliebst doch allezeit mein Bruder, und das Häusel wär' dein und der Weinberg und Alles. Zudem, ich werde doch nicht da wohnen bleiben. Denn du mußt nur wissen, ich hab' mich mit dem Hirzerfranz versprochen, und auf den Herbst halten wir Hochzeit, und ich wohne dann droben auf Goyen. Du bist doch nicht bös darüber, daß ich dich nicht erst gefragt hab'? Sie wagte ihn nicht anzusehn, als sie das sagte, sie wußte selbst nicht warum, aber es schien ihr in diesem Augenblick wie eine schwere Sünde, daß sie dem Franz ihr Wort gegeben, und sie hätt' es gern ungeschehen gemacht; denn sie wußte ja, daß er mit ihrem Bruder nicht gut freund war. Sie stand zitternd und demüthig, wie ein Kind, das gescholten zu werden erwartet. Doch als er immer schwieg, wurde <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0094"/> stand und sie zurückhielt, und als er mich eintreten sah, hat er sich zu ihr niedergebeugt und ihr lange was ins Ohr gesagt, was ich nicht hab' verstehen können; darauf ist sie still geworden. Ob es im Fieber gewesen war, oder sonst so in der Einbildung, was kann es dich kümmern, Andree? Und wenn's wirklich so wäre, mußt du mich darum nimmer lieb haben? Sind wir nicht doch wie Bruder und Schwester gewesen, seit wir denken können, und nun wär's auf einmal aus mit uns Beiden? Schau, Andree, ich könnt' mich nit so ändern. Und wenn's der Kaiser selbst ausrufen ließe, wie's die Mutter gewollt hat, du bliebst doch allezeit mein Bruder, und das Häusel wär' dein und der Weinberg und Alles. Zudem, ich werde doch nicht da wohnen bleiben. Denn du mußt nur wissen, ich hab' mich mit dem Hirzerfranz versprochen, und auf den Herbst halten wir Hochzeit, und ich wohne dann droben auf Goyen. Du bist doch nicht bös darüber, daß ich dich nicht erst gefragt hab'?</p><lb/> <p>Sie wagte ihn nicht anzusehn, als sie das sagte, sie wußte selbst nicht warum, aber es schien ihr in diesem Augenblick wie eine schwere Sünde, daß sie dem Franz ihr Wort gegeben, und sie hätt' es gern ungeschehen gemacht; denn sie wußte ja, daß er mit ihrem Bruder nicht gut freund war. Sie stand zitternd und demüthig, wie ein Kind, das gescholten zu werden erwartet. Doch als er immer schwieg, wurde<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0094]
stand und sie zurückhielt, und als er mich eintreten sah, hat er sich zu ihr niedergebeugt und ihr lange was ins Ohr gesagt, was ich nicht hab' verstehen können; darauf ist sie still geworden. Ob es im Fieber gewesen war, oder sonst so in der Einbildung, was kann es dich kümmern, Andree? Und wenn's wirklich so wäre, mußt du mich darum nimmer lieb haben? Sind wir nicht doch wie Bruder und Schwester gewesen, seit wir denken können, und nun wär's auf einmal aus mit uns Beiden? Schau, Andree, ich könnt' mich nit so ändern. Und wenn's der Kaiser selbst ausrufen ließe, wie's die Mutter gewollt hat, du bliebst doch allezeit mein Bruder, und das Häusel wär' dein und der Weinberg und Alles. Zudem, ich werde doch nicht da wohnen bleiben. Denn du mußt nur wissen, ich hab' mich mit dem Hirzerfranz versprochen, und auf den Herbst halten wir Hochzeit, und ich wohne dann droben auf Goyen. Du bist doch nicht bös darüber, daß ich dich nicht erst gefragt hab'?
Sie wagte ihn nicht anzusehn, als sie das sagte, sie wußte selbst nicht warum, aber es schien ihr in diesem Augenblick wie eine schwere Sünde, daß sie dem Franz ihr Wort gegeben, und sie hätt' es gern ungeschehen gemacht; denn sie wußte ja, daß er mit ihrem Bruder nicht gut freund war. Sie stand zitternd und demüthig, wie ein Kind, das gescholten zu werden erwartet. Doch als er immer schwieg, wurde
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Zitationshilfe: | Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/94>, abgerufen am 17.06.2024. |