Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Um jedoch der Küssenden kein Unrecht zuzufügen,
könnte ich hier das Selbstgespräch einschalten, welches
sie hielt, zu der nämlichen Stunde, wo wir Mut-
ter Goksch und Anton bei dem ihrigen belauschten.
Aber es würde zu lang werden und ich darf meine
fragende Leserin nicht erzürnen. Diese will nun
einmal nicht, daß Ottilie den Korbmacher liebe; und
es ist denn doch durchaus nicht anders, so soll die
Liebende es mindestens nicht eingestehen.

Wohlan denn, sie that es auch nicht. Wies sie
doch mit stolzem Hohn, ihr eigenes Gefühl nicht
schonend, die zarten Empfindungen zurück, deren sie
sich, -- wenn auch nur in schwachen, unbeherrschten
Augenblicken, -- schuldig wußte. Sie, die junge
Baronin, die Tochter des Erb- und Gerichtsherrn auf
und zu Liebenau; Tochter einer unmittelbar reichs-
freien Standesfrau, welche nur durch eigenthümliche
Verkettung der Umstände bis zu einem Onkel Nasus
herabgestiegen war; sie, die charakterfesteste, ihrer
Schwestern armselig-unadeliche Liebschaften verachtend
und tadelnd; -- sie, empfinden für Anton, den vater-
losen, niedern Handwerker? Lieber sterben!

Wer daraus entnehmen möchte, daß ihre Neigung
eine sehr tief gehende gewesen sein müsse, dem kann

Um jedoch der Kuͤſſenden kein Unrecht zuzufuͤgen,
koͤnnte ich hier das Selbſtgeſpraͤch einſchalten, welches
ſie hielt, zu der naͤmlichen Stunde, wo wir Mut-
ter Gokſch und Anton bei dem ihrigen belauſchten.
Aber es wuͤrde zu lang werden und ich darf meine
fragende Leſerin nicht erzuͤrnen. Dieſe will nun
einmal nicht, daß Ottilie den Korbmacher liebe; und
es iſt denn doch durchaus nicht anders, ſo ſoll die
Liebende es mindeſtens nicht eingeſtehen.

Wohlan denn, ſie that es auch nicht. Wies ſie
doch mit ſtolzem Hohn, ihr eigenes Gefuͤhl nicht
ſchonend, die zarten Empfindungen zuruͤck, deren ſie
ſich, — wenn auch nur in ſchwachen, unbeherrſchten
Augenblicken, — ſchuldig wußte. Sie, die junge
Baronin, die Tochter des Erb- und Gerichtsherrn auf
und zu Liebenau; Tochter einer unmittelbar reichs-
freien Standesfrau, welche nur durch eigenthuͤmliche
Verkettung der Umſtaͤnde bis zu einem Onkel Naſus
herabgeſtiegen war; ſie, die charakterfeſteſte, ihrer
Schweſtern armſelig-unadeliche Liebſchaften verachtend
und tadelnd; — ſie, empfinden fuͤr Anton, den vater-
loſen, niedern Handwerker? Lieber ſterben!

Wer daraus entnehmen moͤchte, daß ihre Neigung
eine ſehr tief gehende geweſen ſein muͤſſe, dem kann

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0100" n="84"/>
Um jedoch der Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;enden kein Unrecht zuzufu&#x0364;gen,<lb/>
ko&#x0364;nnte ich hier das Selb&#x017F;tge&#x017F;pra&#x0364;ch ein&#x017F;chalten, welches<lb/>
&#x017F;ie hielt, zu der <hi rendition="#g">na&#x0364;mlichen Stunde,</hi> wo wir Mut-<lb/>
ter Gok&#x017F;ch und Anton bei dem ihrigen belau&#x017F;chten.<lb/>
Aber es wu&#x0364;rde zu lang werden und ich darf meine<lb/>
fragende Le&#x017F;erin nicht erzu&#x0364;rnen. Die&#x017F;e <hi rendition="#g">will</hi> nun<lb/>
einmal nicht, daß Ottilie den Korbmacher liebe; und<lb/>
es i&#x017F;t denn doch durchaus nicht anders, &#x017F;o &#x017F;oll die<lb/>
Liebende es minde&#x017F;tens nicht einge&#x017F;tehen.</p><lb/>
        <p>Wohlan denn, &#x017F;ie that es auch nicht. Wies &#x017F;ie<lb/>
doch mit &#x017F;tolzem Hohn, ihr eigenes Gefu&#x0364;hl nicht<lb/>
&#x017F;chonend, die zarten Empfindungen zuru&#x0364;ck, deren &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich, &#x2014; wenn auch nur in &#x017F;chwachen, unbeherr&#x017F;chten<lb/>
Augenblicken, &#x2014; &#x017F;chuldig wußte. Sie, die junge<lb/>
Baronin, die Tochter des Erb- und Gerichtsherrn auf<lb/>
und zu Liebenau; Tochter einer unmittelbar reichs-<lb/>
freien Standesfrau, welche nur durch eigenthu&#x0364;mliche<lb/>
Verkettung der Um&#x017F;ta&#x0364;nde bis zu einem Onkel Na&#x017F;us<lb/>
herabge&#x017F;tiegen war; &#x017F;ie, die charakterfe&#x017F;te&#x017F;te, ihrer<lb/>
Schwe&#x017F;tern arm&#x017F;elig-unadeliche Lieb&#x017F;chaften verachtend<lb/>
und tadelnd; &#x2014; &#x017F;ie, empfinden fu&#x0364;r Anton, den vater-<lb/>
lo&#x017F;en, niedern Handwerker? Lieber &#x017F;terben!</p><lb/>
        <p>Wer daraus entnehmen mo&#x0364;chte, daß ihre Neigung<lb/>
eine &#x017F;ehr tief gehende gewe&#x017F;en &#x017F;ein mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, dem kann<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0100] Um jedoch der Kuͤſſenden kein Unrecht zuzufuͤgen, koͤnnte ich hier das Selbſtgeſpraͤch einſchalten, welches ſie hielt, zu der naͤmlichen Stunde, wo wir Mut- ter Gokſch und Anton bei dem ihrigen belauſchten. Aber es wuͤrde zu lang werden und ich darf meine fragende Leſerin nicht erzuͤrnen. Dieſe will nun einmal nicht, daß Ottilie den Korbmacher liebe; und es iſt denn doch durchaus nicht anders, ſo ſoll die Liebende es mindeſtens nicht eingeſtehen. Wohlan denn, ſie that es auch nicht. Wies ſie doch mit ſtolzem Hohn, ihr eigenes Gefuͤhl nicht ſchonend, die zarten Empfindungen zuruͤck, deren ſie ſich, — wenn auch nur in ſchwachen, unbeherrſchten Augenblicken, — ſchuldig wußte. Sie, die junge Baronin, die Tochter des Erb- und Gerichtsherrn auf und zu Liebenau; Tochter einer unmittelbar reichs- freien Standesfrau, welche nur durch eigenthuͤmliche Verkettung der Umſtaͤnde bis zu einem Onkel Naſus herabgeſtiegen war; ſie, die charakterfeſteſte, ihrer Schweſtern armſelig-unadeliche Liebſchaften verachtend und tadelnd; — ſie, empfinden fuͤr Anton, den vater- loſen, niedern Handwerker? Lieber ſterben! Wer daraus entnehmen moͤchte, daß ihre Neigung eine ſehr tief gehende geweſen ſein muͤſſe, dem kann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/100
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/100>, abgerufen am 31.10.2024.