Mich rufen? Wenn Du im Sterben lägest? Wie wolltest Du das anfangen?
"Das lass' meine Sorge sein. Jch bin ein halber Zigeuner; kann ein Bissel hexen. Du wirst gerufen werden -- und damit gut. Jetzt leb' wohl. Jch geh' allein aus dem Walde, damit Dich niemand mit mir reden sieht. Will Dir die Schande nicht anthun. Auf dem Schlosse möchten sie Dir den Umgang mit mir übel anrechnen. Leb' wohl, -- bis zum Tode!"
Ehe noch Anton ein Wort der Entgegnung gefun- den, auf diesen gewaltsamen Abschied, war Wolfgang schon im dichten Gebüsch verschwunden. Unser jun- ger Freund blieb sich und seinem Nachdenken über- lassen. Er verglich sein Schicksal mit dem des unse- ligen Landstreichers und mußte zugeben, daß es, gegen jenes gehalten, ein beneidenswerthes sei. Doch dann verglich er ihre Väter: Wolfgangs Vater war ein roher, rauher Kerl, das ist richtig; sagte er zu sich selbst. Doch wird er es auch wohl von Kindheit auf nicht anders gesehen haben und gelernt, so wenig als sein armer Sohn. Folglich darf man von ihm nichts Besonderes verlangen. Mein Vater jedoch ist vor- nehmer Leute Kind, und reich, und ein gebildeter junger Herr gewesen, und hat meine Mutter dennoch
Mich rufen? Wenn Du im Sterben laͤgeſt? Wie wollteſt Du das anfangen?
„Das laſſ’ meine Sorge ſein. Jch bin ein halber Zigeuner; kann ein Biſſel hexen. Du wirſt gerufen werden — und damit gut. Jetzt leb’ wohl. Jch geh’ allein aus dem Walde, damit Dich niemand mit mir reden ſieht. Will Dir die Schande nicht anthun. Auf dem Schloſſe moͤchten ſie Dir den Umgang mit mir uͤbel anrechnen. Leb’ wohl, — bis zum Tode!“
Ehe noch Anton ein Wort der Entgegnung gefun- den, auf dieſen gewaltſamen Abſchied, war Wolfgang ſchon im dichten Gebuͤſch verſchwunden. Unſer jun- ger Freund blieb ſich und ſeinem Nachdenken uͤber- laſſen. Er verglich ſein Schickſal mit dem des unſe- ligen Landſtreichers und mußte zugeben, daß es, gegen jenes gehalten, ein beneidenswerthes ſei. Doch dann verglich er ihre Vaͤter: Wolfgangs Vater war ein roher, rauher Kerl, das iſt richtig; ſagte er zu ſich ſelbſt. Doch wird er es auch wohl von Kindheit auf nicht anders geſehen haben und gelernt, ſo wenig als ſein armer Sohn. Folglich darf man von ihm nichts Beſonderes verlangen. Mein Vater jedoch iſt vor- nehmer Leute Kind, und reich, und ein gebildeter junger Herr geweſen, und hat meine Mutter dennoch
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0056"n="40"/><p>Mich rufen? Wenn Du im Sterben laͤgeſt? Wie<lb/>
wollteſt Du das anfangen?</p><lb/><p>„Das laſſ’ meine Sorge ſein. Jch bin ein halber<lb/>
Zigeuner; kann ein Biſſel hexen. Du wirſt gerufen<lb/>
werden — und damit gut. Jetzt leb’ wohl. Jch geh’<lb/>
allein aus dem Walde, damit Dich niemand mit mir<lb/>
reden ſieht. Will Dir die Schande nicht anthun.<lb/>
Auf dem Schloſſe moͤchten ſie Dir den Umgang mit<lb/>
mir uͤbel anrechnen. Leb’ wohl, — bis zum Tode!“</p><lb/><p>Ehe noch Anton ein Wort der Entgegnung gefun-<lb/>
den, auf dieſen gewaltſamen Abſchied, war Wolfgang<lb/>ſchon im dichten Gebuͤſch verſchwunden. Unſer jun-<lb/>
ger Freund blieb ſich und ſeinem Nachdenken uͤber-<lb/>
laſſen. Er verglich ſein Schickſal mit dem des unſe-<lb/>
ligen Landſtreichers und mußte zugeben, daß es, gegen<lb/>
jenes gehalten, ein beneidenswerthes ſei. Doch dann<lb/>
verglich er ihre Vaͤter: Wolfgangs Vater war ein<lb/>
roher, rauher Kerl, das iſt richtig; ſagte er zu ſich<lb/>ſelbſt. Doch wird er es auch wohl von Kindheit auf<lb/>
nicht anders geſehen haben und gelernt, ſo wenig als<lb/>ſein armer Sohn. Folglich darf man von ihm nichts<lb/>
Beſonderes verlangen. <hirendition="#g">Mein</hi> Vater jedoch iſt vor-<lb/>
nehmer Leute Kind, und reich, und ein gebildeter<lb/>
junger Herr geweſen, und hat meine Mutter dennoch<lb/></p></div></body></text></TEI>
[40/0056]
Mich rufen? Wenn Du im Sterben laͤgeſt? Wie
wollteſt Du das anfangen?
„Das laſſ’ meine Sorge ſein. Jch bin ein halber
Zigeuner; kann ein Biſſel hexen. Du wirſt gerufen
werden — und damit gut. Jetzt leb’ wohl. Jch geh’
allein aus dem Walde, damit Dich niemand mit mir
reden ſieht. Will Dir die Schande nicht anthun.
Auf dem Schloſſe moͤchten ſie Dir den Umgang mit
mir uͤbel anrechnen. Leb’ wohl, — bis zum Tode!“
Ehe noch Anton ein Wort der Entgegnung gefun-
den, auf dieſen gewaltſamen Abſchied, war Wolfgang
ſchon im dichten Gebuͤſch verſchwunden. Unſer jun-
ger Freund blieb ſich und ſeinem Nachdenken uͤber-
laſſen. Er verglich ſein Schickſal mit dem des unſe-
ligen Landſtreichers und mußte zugeben, daß es, gegen
jenes gehalten, ein beneidenswerthes ſei. Doch dann
verglich er ihre Vaͤter: Wolfgangs Vater war ein
roher, rauher Kerl, das iſt richtig; ſagte er zu ſich
ſelbſt. Doch wird er es auch wohl von Kindheit auf
nicht anders geſehen haben und gelernt, ſo wenig als
ſein armer Sohn. Folglich darf man von ihm nichts
Beſonderes verlangen. Mein Vater jedoch iſt vor-
nehmer Leute Kind, und reich, und ein gebildeter
junger Herr geweſen, und hat meine Mutter dennoch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/56>, abgerufen am 31.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.