Ehrfurcht und Liebe im Greisenalter einzuflößen ver- mochten. Frauen mit grauem Haar, die nur von Grazien begleitet erschienen, bei deren Eintritt jede Rohheit entwich, jede Keckheit verstummte, jede Gemeinheit beschämt erröthete. Alte, sehr alte Frauen, die Frohsinn und Fröhlichkeit mitbrachten, Lust und heit're Gespräche erweckten, feinen Scherz verstanden, Geist und Talent schätzten. Hochadelige Damen, die stolz waren, ohne hochmüthig; würdig, ohne mürrisch; fromm, ohne frömmelnd und unduld- sam zu sein. Sie sind selten geworden. Gräfin Julia vereinte alle Eigenschaften, vor denen man sich gern bewundernd neigt: sie war noch schön.
Anton hatte mir vertraut, daß auch sie meine Vierzig Jahre gelesen.
Bei der heiligen Scheu, welche die stets in Trauergewand gehüllte, erhabene Frau mir erregte, schlug mich diese Nachricht fast danieder. Jch wagte kaum zu reden, wenn ihr Auge bisweilen auf mir ruhte.
Am Theetisch kam das Gespräch auf Anton's Plan wegen des Romanes, den er mir aufgetragen. Tieletunke, nachdem sie Julien und Adelen zu Bett gebracht, fing davon zu reden an.
Ehrfurcht und Liebe im Greiſenalter einzufloͤßen ver- mochten. Frauen mit grauem Haar, die nur von Grazien begleitet erſchienen, bei deren Eintritt jede Rohheit entwich, jede Keckheit verſtummte, jede Gemeinheit beſchaͤmt erroͤthete. Alte, ſehr alte Frauen, die Frohſinn und Froͤhlichkeit mitbrachten, Luſt und heit’re Geſpraͤche erweckten, feinen Scherz verſtanden, Geiſt und Talent ſchaͤtzten. Hochadelige Damen, die ſtolz waren, ohne hochmuͤthig; wuͤrdig, ohne muͤrriſch; fromm, ohne froͤmmelnd und unduld- ſam zu ſein. Sie ſind ſelten geworden. Graͤfin Julia vereinte alle Eigenſchaften, vor denen man ſich gern bewundernd neigt: ſie war noch ſchoͤn.
Anton hatte mir vertraut, daß auch ſie meine Vierzig Jahre geleſen.
Bei der heiligen Scheu, welche die ſtets in Trauergewand gehuͤllte, erhabene Frau mir erregte, ſchlug mich dieſe Nachricht faſt danieder. Jch wagte kaum zu reden, wenn ihr Auge bisweilen auf mir ruhte.
Am Theetiſch kam das Geſpraͤch auf Anton’s Plan wegen des Romanes, den er mir aufgetragen. Tieletunke, nachdem ſie Julien und Adelen zu Bett gebracht, fing davon zu reden an.
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Ehrfurcht und Liebe im Greiſenalter einzufloͤßen ver-
mochten. Frauen mit grauem Haar, die nur von
Grazien begleitet erſchienen, bei deren Eintritt jede
Rohheit entwich, jede Keckheit verſtummte, jede
Gemeinheit beſchaͤmt erroͤthete. Alte, ſehr alte
Frauen, die Frohſinn und Froͤhlichkeit mitbrachten,
Luſt und heit’re Geſpraͤche erweckten, feinen Scherz
verſtanden, Geiſt und Talent ſchaͤtzten. Hochadelige
Damen, die ſtolz waren, ohne hochmuͤthig; wuͤrdig,
ohne muͤrriſch; fromm, ohne froͤmmelnd und unduld-
ſam zu ſein. Sie ſind ſelten geworden. Graͤfin
Julia vereinte alle Eigenſchaften, vor denen man ſich
gern bewundernd neigt: ſie war noch ſchoͤn.
Anton hatte mir vertraut, daß auch ſie meine
Vierzig Jahre geleſen.
Bei der heiligen Scheu, welche die ſtets in
Trauergewand gehuͤllte, erhabene Frau mir erregte,
ſchlug mich dieſe Nachricht faſt danieder. Jch wagte
kaum zu reden, wenn ihr Auge bisweilen auf mir
ruhte.
Am Theetiſch kam das Geſpraͤch auf Anton’s
Plan wegen des Romanes, den er mir aufgetragen.
Tieletunke, nachdem ſie Julien und Adelen zu Bett
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/226>, abgerufen am 17.06.2024.
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