Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845.der Anblick der Natur auf Meer- und Land-Reisen, ein sorgfältiges Studium der Gebilde und Kräfte, der lebendige Eindruck eines Naturganzen unter den verschiedensten Erdstrichen in mir erregt haben. Vieles, das in diesem Versuche so überaus mangelhaft ist, wird bei der beschleunigten Zunahme des Wissens, deren sich alle Theile der physikalischen Wissenschaften erfreuen, vielleicht in naher Zukunft berichtigt und vervollständigt werden. Es liegt ja in dem Entwickelungsgange aller Disciplinen, daß das, was lange isolirt gestanden, sich allgemach verkettet und höheren Gesetzen untergeordnet wird. Ich bezeichne nur den empirischen Weg, auf dem ich und viele mir Gleichgesinnte fortschreiten, erwartungsvoll, daß man uns, wie einst, nach Plato's Ausspruch, Sokrates es forderte96, "die Natur nach der Vernunft auslege". Die Schilderung der tellurischen Erscheinungen in ihren Hauptmomenten muß mit der Gestalt und den Raumverhältnissen unsres Planeten beginnen. Auch hier darf man sagen: nicht etwa bloß die mineralogische Beschaffenheit, die krystallinisch körnigen oder die dichten, mit Versteinerungen angefüllten Gebirgsarten, nein, die geometrische Gestalt der Erde selbst bezeugt die Art ihrer Entstehung, sie ist ihre Geschichte. Ein elliptisches Rotations-Sphäroid deutet auf eine einst weiche oder flüssige Masse. Zu den ältesten geognostischen Begebenheiten, allen Verständigen lesbar in dem Buch der Natur niedergeschrieben, gehört die Abplattung, wie auch (um ein anderes uns sehr nahes Beispiel anzuführen) die perpetuirliche Richtung der großen Axe des Mondsphäroids gegen die Erde; d. h. die vermehrte Anhäufung der Materie auf der Mondhälfte, welche wir sehen, eine Anhäufung, die das Verhältniß der der Anblick der Natur auf Meer- und Land-Reisen, ein sorgfältiges Studium der Gebilde und Kräfte, der lebendige Eindruck eines Naturganzen unter den verschiedensten Erdstrichen in mir erregt haben. Vieles, das in diesem Versuche so überaus mangelhaft ist, wird bei der beschleunigten Zunahme des Wissens, deren sich alle Theile der physikalischen Wissenschaften erfreuen, vielleicht in naher Zukunft berichtigt und vervollständigt werden. Es liegt ja in dem Entwickelungsgange aller Disciplinen, daß das, was lange isolirt gestanden, sich allgemach verkettet und höheren Gesetzen untergeordnet wird. Ich bezeichne nur den empirischen Weg, auf dem ich und viele mir Gleichgesinnte fortschreiten, erwartungsvoll, daß man uns, wie einst, nach Plato's Ausspruch, Sokrates es forderte96, „die Natur nach der Vernunft auslege“. Die Schilderung der tellurischen Erscheinungen in ihren Hauptmomenten muß mit der Gestalt und den Raumverhältnissen unsres Planeten beginnen. Auch hier darf man sagen: nicht etwa bloß die mineralogische Beschaffenheit, die krystallinisch körnigen oder die dichten, mit Versteinerungen angefüllten Gebirgsarten, nein, die geometrische Gestalt der Erde selbst bezeugt die Art ihrer Entstehung, sie ist ihre Geschichte. Ein elliptisches Rotations-Sphäroid deutet auf eine einst weiche oder flüssige Masse. Zu den ältesten geognostischen Begebenheiten, allen Verständigen lesbar in dem Buch der Natur niedergeschrieben, gehört die Abplattung, wie auch (um ein anderes uns sehr nahes Beispiel anzuführen) die perpetuirliche Richtung der großen Axe des Mondsphäroids gegen die Erde; d. h. die vermehrte Anhäufung der Materie auf der Mondhälfte, welche wir sehen, eine Anhäufung, die das Verhältniß der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0190" n="171"/> der Anblick der Natur auf Meer- und Land-Reisen, ein sorgfältiges Studium der Gebilde und Kräfte, der lebendige Eindruck eines Naturganzen unter den verschiedensten Erdstrichen in mir erregt haben. Vieles, das in diesem Versuche so überaus mangelhaft ist, wird bei der beschleunigten Zunahme des Wissens, deren sich alle Theile der physikalischen Wissenschaften erfreuen, vielleicht in naher Zukunft berichtigt und vervollständigt werden. 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der Anblick der Natur auf Meer- und Land-Reisen, ein sorgfältiges Studium der Gebilde und Kräfte, der lebendige Eindruck eines Naturganzen unter den verschiedensten Erdstrichen in mir erregt haben. Vieles, das in diesem Versuche so überaus mangelhaft ist, wird bei der beschleunigten Zunahme des Wissens, deren sich alle Theile der physikalischen Wissenschaften erfreuen, vielleicht in naher Zukunft berichtigt und vervollständigt werden. Es liegt ja in dem Entwickelungsgange aller Disciplinen, daß das, was lange isolirt gestanden, sich allgemach verkettet und höheren Gesetzen untergeordnet wird. Ich bezeichne nur den empirischen Weg, auf dem ich und viele mir Gleichgesinnte fortschreiten, erwartungsvoll, daß man uns, wie einst, nach Plato's Ausspruch, Sokrates es forderte
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, „die Natur nach der Vernunft auslege“.
Die Schilderung der tellurischen Erscheinungen in ihren Hauptmomenten muß mit der Gestalt und den Raumverhältnissen unsres Planeten beginnen. Auch hier darf man sagen: nicht etwa bloß die mineralogische Beschaffenheit, die krystallinisch körnigen oder die dichten, mit Versteinerungen angefüllten Gebirgsarten, nein, die geometrische Gestalt der Erde selbst bezeugt die Art ihrer Entstehung, sie ist ihre Geschichte. Ein elliptisches Rotations-Sphäroid deutet auf eine einst weiche oder flüssige Masse. Zu den ältesten geognostischen Begebenheiten, allen Verständigen lesbar in dem Buch der Natur niedergeschrieben, gehört die Abplattung, wie auch (um ein anderes uns sehr nahes Beispiel anzuführen) die perpetuirliche Richtung der großen Axe des Mondsphäroids gegen die Erde; d. h. die vermehrte Anhäufung der Materie auf der Mondhälfte, welche wir sehen, eine Anhäufung, die das Verhältniß der
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Zitationshilfe: | Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos01_1845/190>, abgerufen am 15.06.2024. |