Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845.Schematismus, enger, als ihn je das Mittelalter der Menschheit angezwängt, haben, in jugendlichem Mißbrauch edler Kräfte, die heiteren und kurzen Saturnalien eines rein-ideellen Naturwissens bezeichnet. Ich wiederhole den Ausdruck: Mißbrauch der Kräfte; denn ernste, der Philosophie und der Beobachtung gleichzeitig zugewandte Geister sind jenen Saturnalien fremd geblieben. Der Inbegriff von Erfahrungskenntnissen und eine in allen ihren Theilen ausgebildete Philosophie der Natur (falls eine solche Ausbildung je zu erreichen ist) können nicht in Widerspruch treten, wenn die Philosophie der Natur, ihrem Versprechen gemäß, das vernunftmäßige Begreifen der wirklichen Erscheinungen im Weltall ist. Wo der Widerspruch sich zeigt, liegt die Schuld entweder in der Hohlheit der Speculation oder in der Anmaßung der Empirie, die mehr durch die Erfahrung erwiesen glaubt, als durch dieselbe begründet ward. Man mag nun die Natur dem Bereich des Geistigen entgegensetzen, als wäre das Geistige nicht auch in dem Naturganzen enthalten, oder man mag die Natur der Kunst entgegenstellen, letztere in einem höheren Sinne als den Inbegriff aller geistigen Productionskraft der Menschheit betrachtet; so müssen diese Gegensätze doch nicht auf eine solche Trennung des Physischen vom Intellectuellen führen, daß die Physik der Welt zu einer bloßen Anhäufung empirisch gesammelter Einzelheiten herabsinke. Wissenschaft fängt erst an, wo der Geist sich des Stoffes bemächtigt, wo versucht wird, die Masse der Erfahrungen einer Vernunfterkenntniß zu unterwerfen; sie ist der Geist, zugewandt zu der Natur. Die Außenwelt existirt aber nur Schematismus, enger, als ihn je das Mittelalter der Menschheit angezwängt, haben, in jugendlichem Mißbrauch edler Kräfte, die heiteren und kurzen Saturnalien eines rein-ideellen Naturwissens bezeichnet. Ich wiederhole den Ausdruck: Mißbrauch der Kräfte; denn ernste, der Philosophie und der Beobachtung gleichzeitig zugewandte Geister sind jenen Saturnalien fremd geblieben. Der Inbegriff von Erfahrungskenntnissen und eine in allen ihren Theilen ausgebildete Philosophie der Natur (falls eine solche Ausbildung je zu erreichen ist) können nicht in Widerspruch treten, wenn die Philosophie der Natur, ihrem Versprechen gemäß, das vernunftmäßige Begreifen der wirklichen Erscheinungen im Weltall ist. Wo der Widerspruch sich zeigt, liegt die Schuld entweder in der Hohlheit der Speculation oder in der Anmaßung der Empirie, die mehr durch die Erfahrung erwiesen glaubt, als durch dieselbe begründet ward. Man mag nun die Natur dem Bereich des Geistigen entgegensetzen, als wäre das Geistige nicht auch in dem Naturganzen enthalten, oder man mag die Natur der Kunst entgegenstellen, letztere in einem höheren Sinne als den Inbegriff aller geistigen Productionskraft der Menschheit betrachtet; so müssen diese Gegensätze doch nicht auf eine solche Trennung des Physischen vom Intellectuellen führen, daß die Physik der Welt zu einer bloßen Anhäufung empirisch gesammelter Einzelheiten herabsinke. Wissenschaft fängt erst an, wo der Geist sich des Stoffes bemächtigt, wo versucht wird, die Masse der Erfahrungen einer Vernunfterkenntniß zu unterwerfen; sie ist der Geist, zugewandt zu der Natur. Die Außenwelt existirt aber nur <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0088" n="69"/> Schematismus, enger, als ihn je das Mittelalter der Menschheit angezwängt, haben, in jugendlichem Mißbrauch edler Kräfte, die heiteren und kurzen Saturnalien eines rein-ideellen Naturwissens bezeichnet. Ich wiederhole den Ausdruck: Mißbrauch der Kräfte; denn ernste, der Philosophie und der Beobachtung gleichzeitig zugewandte Geister sind jenen Saturnalien fremd geblieben. Der Inbegriff von Erfahrungskenntnissen und eine in allen ihren Theilen ausgebildete <hi rendition="#g">Philosophie der Natur</hi> (falls eine solche Ausbildung je zu erreichen ist) können nicht in Widerspruch treten, wenn die Philosophie der Natur, ihrem Versprechen gemäß, das vernunftmäßige Begreifen der wirklichen Erscheinungen im Weltall ist. 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Schematismus, enger, als ihn je das Mittelalter der Menschheit angezwängt, haben, in jugendlichem Mißbrauch edler Kräfte, die heiteren und kurzen Saturnalien eines rein-ideellen Naturwissens bezeichnet. Ich wiederhole den Ausdruck: Mißbrauch der Kräfte; denn ernste, der Philosophie und der Beobachtung gleichzeitig zugewandte Geister sind jenen Saturnalien fremd geblieben. Der Inbegriff von Erfahrungskenntnissen und eine in allen ihren Theilen ausgebildete Philosophie der Natur (falls eine solche Ausbildung je zu erreichen ist) können nicht in Widerspruch treten, wenn die Philosophie der Natur, ihrem Versprechen gemäß, das vernunftmäßige Begreifen der wirklichen Erscheinungen im Weltall ist. Wo der Widerspruch sich zeigt, liegt die Schuld entweder in der Hohlheit der Speculation oder in der Anmaßung der Empirie, die mehr durch die Erfahrung erwiesen glaubt, als durch dieselbe begründet ward.
Man mag nun die Natur dem Bereich des Geistigen entgegensetzen, als wäre das Geistige nicht auch in dem Naturganzen enthalten, oder man mag die Natur der Kunst entgegenstellen, letztere in einem höheren Sinne als den Inbegriff aller geistigen Productionskraft der Menschheit betrachtet; so müssen diese Gegensätze doch nicht auf eine solche Trennung des Physischen vom Intellectuellen führen, daß die Physik der Welt zu einer bloßen Anhäufung empirisch gesammelter Einzelheiten herabsinke. Wissenschaft fängt erst an, wo der Geist sich des Stoffes bemächtigt, wo versucht wird, die Masse der Erfahrungen einer Vernunfterkenntniß zu unterwerfen; sie ist der Geist, zugewandt zu der Natur. Die Außenwelt existirt aber nur
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Zitationshilfe: | Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos01_1845/88>, abgerufen am 14.06.2024. |