würdest du mit deinem eignen Wert zufrieden sein und fremden über- sehen; aber ergeizig in einem solchen Grade, daß dir das, was du bist, in Vergleichung mit dem, was du sein möchtest, unendlich klein vor- kömt. Deine Demut rürt also von deinem Ergeize her. Dieser leztere verursacht ferner, daß du dich um die Achtung andrer soviel be-5 kümmerst, und denselben durch die Narung, die ihm andre geben, für die schadlos zu halten suchst, die du selbst ihm (wegen deiner Kränklich- keit und wegen seiner eignen Grösse) nicht giebst. Die fernere Folge von diesem allen ist Neid. Allein Unwillen über den Mangel von Volkommenheiten, die man an andern bemerkt, ist von der Einrichtung10 der menschlichen Natur, die wie Kinder im Gängelband, immer schon lange das Bein zu einem künftigen Schrit aufhebet, völlig unzertrenbar und dieser Neid, der fremde Volkommenheiten nicht zu vertilgen[96] sondern nur zu erreichen sucht, ist one Tadel und eine Wirkung des Ergeizes. Allein der felerhafte Neid, der weniger Nachamer als15 Zerstörer fremder Vorzüge ist und dem weniger an der Volkommenheit als am Lobe derselben, gelegen ist, entspringt aus der Eitelkeit, die um nichts als fremde Achtung bult und die die Verweigerung derselben durch Hinwegname der Ursache, nämlich der Volkommenheit zu ver- hüten sucht. Der Eitle sucht durch Verschlechterung seines Nebenbulers20 denselben zum Bewunderer zu erniedrigen und sich zum Bewunderten zu erheben. Ein solcher Eitler sucht die Volkommenheiten solcher, die ihn nie loben können, nicht zu verkleinern und er wird den Toden und den Ausländern, aber nicht denen, die ihn kennen, ihren Wert gönnen. -- Got beware mich, mit diesem leztern nur von ferne auf25 dich gezielt zu haben; dein Ergeiz macht dich nur der bessern Nach- eiferung fähig. Wenn ich vorher werde gesagt haben, daß die Ein- samkeit nur stolz, und die Geselschaft nur eitel mache, so wil ich sagen, zu was sol aber dieses Geschwäz? -- Einen Teil desselben hab' ich von mir abstrahirt -- (das Wort abstrahiren, abziehen, erinnert mich30 an die Schlangen, die ihren Balg abstreifen, aber dafür gleich den Menschen, einen neuen treiben) und ich danke Got, daß der Stolz meinem Ergeiz wenigstens das Halbgewicht halten kan. Doch kan ich mich gegen den Neid noch überdies durch den Gedanken ver- waren, wie wenig der Rum und der Gegenstand desselben, der Lorber35 und der Kopf den [?] Neid verdiene. Was ist z. B. der Wiz? ein elendes Ding.
würdeſt du mit deinem eignen Wert zufrieden ſein und fremden über- ſehen; aber ergeizig in einem ſolchen Grade, daß dir das, was du biſt, in Vergleichung mit dem, was du ſein möchteſt, unendlich klein vor- kömt. Deine Demut rürt alſo von deinem Ergeize her. Dieſer leztere verurſacht ferner, daß du dich um die Achtung andrer ſoviel be-5 kümmerſt, und denſelben durch die Narung, die ihm andre geben, für die ſchadlos zu halten ſuchſt, die du ſelbſt ihm (wegen deiner Kränklich- keit und wegen ſeiner eignen Gröſſe) nicht giebſt. Die fernere Folge von dieſem allen iſt Neid. Allein Unwillen über den Mangel von Volkommenheiten, die man an andern bemerkt, iſt von der Einrichtung10 der menſchlichen Natur, die wie Kinder im Gängelband, immer ſchon lange das Bein zu einem künftigen Schrit aufhebet, völlig unzertrenbar und dieſer Neid, der fremde Volkommenheiten nicht zu vertilgen[96] ſondern nur zu erreichen ſucht, iſt one Tadel und eine Wirkung des Ergeizes. Allein der felerhafte Neid, der weniger Nachamer als15 Zerſtörer fremder Vorzüge iſt und dem weniger an der Volkommenheit als am Lobe derſelben, gelegen iſt, entſpringt aus der Eitelkeit, die um nichts als fremde Achtung bult und die die Verweigerung derſelben durch Hinwegname der Urſache, nämlich der Volkommenheit zu ver- hüten ſucht. Der Eitle ſucht durch Verſchlechterung ſeines Nebenbulers20 denſelben zum Bewunderer zu erniedrigen und ſich zum Bewunderten zu erheben. Ein ſolcher Eitler ſucht die Volkommenheiten ſolcher, die ihn nie loben können, nicht zu verkleinern und er wird den Toden und den Ausländern, aber nicht denen, die ihn kennen, ihren Wert gönnen. — Got beware mich, mit dieſem leztern nur von ferne auf25 dich gezielt zu haben; dein Ergeiz macht dich nur der beſſern Nach- eiferung fähig. Wenn ich vorher werde geſagt haben, daß die Ein- ſamkeit nur ſtolz, und die Geſelſchaft nur eitel mache, ſo wil ich ſagen, zu was ſol aber dieſes Geſchwäz? — Einen Teil deſſelben hab’ ich von mir abſtrahirt — (das Wort abſtrahiren, abziehen, erinnert mich30 an die Schlangen, die ihren Balg abſtreifen, aber dafür gleich den Menſchen, einen neuen treiben) und ich danke Got, daß der Stolz meinem Ergeiz wenigſtens das Halbgewicht halten kan. Doch kan ich mich gegen den Neid noch überdies durch den Gedanken ver- waren, wie wenig der Rum und der Gegenſtand deſſelben, der Lorber35 und der Kopf den [?] Neid verdiene. Was iſt z. B. der Wiz? ein elendes Ding.
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würdeſt du mit deinem eignen Wert zufrieden ſein und fremden über-
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kömt. Deine Demut rürt alſo von deinem Ergeize her. Dieſer leztere
verurſacht ferner, daß du dich um die Achtung andrer ſoviel be- 5
kümmerſt, und denſelben durch die Narung, die ihm andre geben, für
die ſchadlos zu halten ſuchſt, die du ſelbſt ihm (wegen deiner Kränklich-
keit und wegen ſeiner eignen Gröſſe) nicht giebſt. Die fernere Folge
von dieſem allen iſt Neid. Allein Unwillen über den Mangel von
Volkommenheiten, die man an andern bemerkt, iſt von der Einrichtung 10
der menſchlichen Natur, die wie Kinder im Gängelband, immer ſchon
lange das Bein zu einem künftigen Schrit aufhebet, völlig unzertrenbar
und dieſer Neid, der fremde Volkommenheiten nicht zu vertilgen
ſondern nur zu erreichen ſucht, iſt one Tadel und eine Wirkung des
Ergeizes. Allein der felerhafte Neid, der weniger Nachamer als 15
Zerſtörer fremder Vorzüge iſt und dem weniger an der Volkommenheit
als am Lobe derſelben, gelegen iſt, entſpringt aus der Eitelkeit, die um
nichts als fremde Achtung bult und die die Verweigerung derſelben
durch Hinwegname der Urſache, nämlich der Volkommenheit zu ver-
hüten ſucht. Der Eitle ſucht durch Verſchlechterung ſeines Nebenbulers 20
denſelben zum Bewunderer zu erniedrigen und ſich zum Bewunderten
zu erheben. Ein ſolcher Eitler ſucht die Volkommenheiten ſolcher, die
ihn nie loben können, nicht zu verkleinern und er wird den Toden
und den Ausländern, aber nicht denen, die ihn kennen, ihren Wert
gönnen. — Got beware mich, mit dieſem leztern nur von ferne auf 25
dich gezielt zu haben; dein Ergeiz macht dich nur der beſſern Nach-
eiferung fähig. Wenn ich vorher werde geſagt haben, daß die Ein-
ſamkeit nur ſtolz, und die Geſelſchaft nur eitel mache, ſo wil ich ſagen,
zu was ſol aber dieſes Geſchwäz? — Einen Teil deſſelben hab’ ich
von mir abſtrahirt — (das Wort abſtrahiren, abziehen, erinnert mich 30
an die Schlangen, die ihren Balg abſtreifen, aber dafür gleich den
Menſchen, einen neuen treiben) und ich danke Got, daß der Stolz
meinem Ergeiz wenigſtens das Halbgewicht halten kan. Doch kan
ich mich gegen den Neid noch überdies durch den Gedanken ver-
waren, wie wenig der Rum und der Gegenſtand deſſelben, der Lorber 35
und der Kopf den [?] Neid verdiene. Was iſt z. B. der Wiz? ein
elendes Ding.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/112>, abgerufen am 01.11.2024.
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