vergieb es, Bruder. Weibliche Bekantschaften hab ich wenig gemacht, wenn ich die Kanzelerin Koppenfels in Rohrbach -- ein Landgut, auf das ich mit der Ostheim fuhr -- ausnehme, die Jeschausen (Hof- dame) die Fräulein Imhof (und die Mutter) die Frau von Stein, von Werther, 2 Fräulein von Seebach, von Beust, die Schau-5 spielerin Schröder. Hier sind alle Mädgen schön.
Sontags. 19 Jun.
Ich wolt', ich ässe nicht beim Oberkonsistorialrath Bötticher,*) dessen Schreibfinger und Briefe durch das ganze gelehrte Deutschland langen und der alle französische und englische Journale um sich10 liegen hat, um die Auszüge für die L[itteratur]Zeitung daraus zu machen. Auch fertigt er die Übersicht über die Ernte der Litteratur. Wenn man diesen gelehrten Wenzel (denn gelehrt ist er bis zum Übermasse) in den Händen hat, so kan man den halben Spielteller vol Bibliotheken erbeuten. Ich könte z. B. durch ihn wie durch die15 Ostheim ganze Kästen Bücher aus der Gött[inger] Bibliothek be- kommen. Er schliesset einen Brief von mir an Wieland bei, der ein Kompliment an mich durch seinen Sekretair gestern im Lear ab- geben lies. -- Bötticher drängt sich mit Kletten-Häkgen an jeden Fremden aus Eitelkeit. -- Meine gute Ostheim hat 6 Bout. Wein und20 englisches Bier für mich zum Frühstük zu Oertel geschikt -- ach, du[212] weist ja kein Wort, daß ich bei diesem logiere, prächtiger als in meinem Leben. Am Dienstag zog ich in sein von Bäumen bewachtes und dem götlichen Parke nahes Haus (er lebt nicht bei seiner Mutter und Schwester). 2 Zimmer, besser meubliert als eines im Mode-25 journal, füllet mein Ich an und seines stösset an sie. Sogar fertige Couverts aus dem Industrie Comptoir -- 100 zu 10 gr. -- wovon hier eines zur Probe umgeschlossen ist, liegen vor mir. In jedem Zimmer ein Licht -- einen kehrenden, wichsenden, klopfenden Be- dienten (an der Stelle meines frere servant) -- alles, alles, sogar der30 Nachtstuhl am Bette, bis auf die kleinste Aufmerksamkeit ist er- schöpft und ich und er leben wie Brüder, er lacht sich über mich und ich [mich] über ihn todt. -- Gestern mittags as ich bei seiner Mutter und Schwester, die den 2 Ohren 2 Himmel giebt, den des Spiels und des
*) abends bin ich bei Herder. Bertuch hat eine prächtige Tochter. Gotter hab ich35 im Schauspiel gesehen.
vergieb es, Bruder. Weibliche Bekantſchaften hab ich wenig gemacht, wenn ich die Kanzelerin Koppenfels in Rohrbach — ein Landgut, auf das ich mit der Oſtheim fuhr — ausnehme, die Jeſchauſen (Hof- dame) die Fräulein Imhof (und die Mutter) die Frau von Stein, von Werther, 2 Fräulein von Seebach, von Beuſt, die Schau-5 ſpielerin Schröder. Hier ſind alle Mädgen ſchön.
Sontags. 19 Jun.
Ich wolt’, ich äſſe nicht beim Oberkonſiſtorialrath Bötticher,*) deſſen Schreibfinger und Briefe durch das ganze gelehrte Deutſchland langen und der alle franzöſiſche und engliſche Journale um ſich10 liegen hat, um die Auszüge für die L[itteratur]Zeitung daraus zu machen. Auch fertigt er die Überſicht über die Ernte der Litteratur. Wenn man dieſen gelehrten Wenzel (denn gelehrt iſt er bis zum Übermaſſe) in den Händen hat, ſo kan man den halben Spielteller vol Bibliotheken erbeuten. Ich könte z. B. durch ihn wie durch die15 Oſtheim ganze Käſten Bücher aus der Gött[inger] Bibliothek be- kommen. Er ſchlieſſet einen Brief von mir an Wieland bei, der ein Kompliment an mich durch ſeinen Sekretair geſtern im Lear ab- geben lies. — Bötticher drängt ſich mit Kletten-Häkgen an jeden Fremden aus Eitelkeit. — Meine gute Oſtheim hat 6 Bout. Wein und20 engliſches Bier für mich zum Frühſtük zu Oertel geſchikt — ach, du[212] weiſt ja kein Wort, daß ich bei dieſem logiere, prächtiger als in meinem Leben. Am Dienſtag zog ich in ſein von Bäumen bewachtes und dem götlichen Parke nahes Haus (er lebt nicht bei ſeiner Mutter und Schweſter). 2 Zimmer, beſſer meubliert als eines im Mode-25 journal, füllet mein Ich an und ſeines ſtöſſet an ſie. Sogar fertige Couverts aus dem Induſtrie Comptoir — 100 zu 10 gr. — wovon hier eines zur Probe umgeſchloſſen iſt, liegen vor mir. In jedem Zimmer ein Licht — einen kehrenden, wichſenden, klopfenden Be- dienten (an der Stelle meines frere servant) — alles, alles, ſogar der30 Nachtſtuhl am Bette, bis auf die kleinſte Aufmerkſamkeit iſt er- ſchöpft und ich und er leben wie Brüder, er lacht ſich über mich und ich [mich] über ihn todt. — Geſtern mittags as ich bei ſeiner Mutter und Schweſter, die den 2 Ohren 2 Himmel giebt, den des Spiels und des
*) abends bin ich bei Herder. Bertuch hat eine prächtige Tochter. Gotter hab ich35 im Schauſpiel geſehen.
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0227"n="213"/>
vergieb es, Bruder. Weibliche Bekantſchaften hab ich wenig gemacht,<lb/>
wenn ich die Kanzelerin Koppenfels in Rohrbach — ein Landgut,<lb/>
auf das ich mit der Oſtheim fuhr — ausnehme, die Jeſchauſen (Hof-<lb/>
dame) die Fräulein Imhof (und die Mutter) die Frau von Stein,<lb/>
von Werther, 2 Fräulein von Seebach, von Beuſt, die Schau-<lbn="5"/>ſpielerin Schröder. Hier ſind alle Mädgen ſchön.</p></div><lb/><divn="2"><dateline><hirendition="#right">Sontags. 19 Jun.</hi></dateline><lb/><p>Ich wolt’, ich äſſe nicht beim Oberkonſiſtorialrath Bötticher,<noteplace="foot"n="*)">abends bin ich bei Herder. Bertuch hat eine prächtige Tochter. Gotter hab ich<lbn="35"/>
im Schauſpiel geſehen.</note><lb/>
deſſen Schreibfinger und Briefe durch das ganze gelehrte Deutſchland<lb/>
langen und der alle franzöſiſche und engliſche Journale um ſich<lbn="10"/>
liegen hat, um die Auszüge für die <hirendition="#aq">L[itteratur]Zeitung</hi> daraus zu<lb/>
machen. Auch fertigt er die Überſicht über die Ernte der Litteratur.<lb/>
Wenn man dieſen gelehrten Wenzel (denn gelehrt iſt er bis zum<lb/>
Übermaſſe) in den Händen hat, ſo kan man den halben Spielteller vol<lb/>
Bibliotheken erbeuten. Ich könte z. B. durch ihn wie durch die<lbn="15"/>
Oſtheim ganze Käſten Bücher aus der Gött[inger] Bibliothek be-<lb/>
kommen. Er ſchlieſſet einen Brief von mir an <hirendition="#aq">Wieland</hi> bei, der ein<lb/>
Kompliment an mich durch ſeinen Sekretair geſtern im <hirendition="#aq">Lear</hi> ab-<lb/>
geben lies. — Bötticher drängt ſich mit Kletten-Häkgen an jeden<lb/>
Fremden aus Eitelkeit. — Meine gute Oſtheim hat 6 Bout. Wein und<lbn="20"/>
engliſches Bier für mich zum Frühſtük zu <hirendition="#g">Oertel</hi> geſchikt — ach, du<noteplace="right"><reftarget="1922_Bd2_212">[212]</ref></note><lb/>
weiſt ja kein Wort, daß ich bei dieſem logiere, prächtiger als in<lb/>
meinem Leben. Am Dienſtag zog ich in ſein von Bäumen bewachtes<lb/>
und dem götlichen Parke nahes Haus (er lebt nicht bei ſeiner Mutter<lb/>
und Schweſter). 2 Zimmer, beſſer meubliert als eines im Mode-<lbn="25"/>
journal, füllet mein Ich an und ſeines ſtöſſet an ſie. Sogar fertige<lb/>
Couverts aus dem Induſtrie Comptoir — 100 zu 10 gr. — wovon<lb/>
hier eines zur Probe umgeſchloſſen iſt, liegen vor mir. In jedem<lb/>
Zimmer ein Licht — einen kehrenden, wichſenden, klopfenden Be-<lb/>
dienten (an der Stelle meines <hirendition="#aq">frere servant)</hi>— alles, alles, ſogar der<lbn="30"/>
Nachtſtuhl am Bette, bis auf die kleinſte Aufmerkſamkeit iſt er-<lb/>ſchöpft und ich und er leben wie Brüder, er lacht ſich über mich und ich<lb/>
[mich] über ihn todt. — Geſtern mittags as ich bei ſeiner Mutter und<lb/>
Schweſter, die den 2 Ohren 2 Himmel giebt, den des Spiels und des<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[213/0227]
vergieb es, Bruder. Weibliche Bekantſchaften hab ich wenig gemacht,
wenn ich die Kanzelerin Koppenfels in Rohrbach — ein Landgut,
auf das ich mit der Oſtheim fuhr — ausnehme, die Jeſchauſen (Hof-
dame) die Fräulein Imhof (und die Mutter) die Frau von Stein,
von Werther, 2 Fräulein von Seebach, von Beuſt, die Schau- 5
ſpielerin Schröder. Hier ſind alle Mädgen ſchön.
Sontags. 19 Jun.
Ich wolt’, ich äſſe nicht beim Oberkonſiſtorialrath Bötticher, *)
deſſen Schreibfinger und Briefe durch das ganze gelehrte Deutſchland
langen und der alle franzöſiſche und engliſche Journale um ſich 10
liegen hat, um die Auszüge für die L[itteratur]Zeitung daraus zu
machen. Auch fertigt er die Überſicht über die Ernte der Litteratur.
Wenn man dieſen gelehrten Wenzel (denn gelehrt iſt er bis zum
Übermaſſe) in den Händen hat, ſo kan man den halben Spielteller vol
Bibliotheken erbeuten. Ich könte z. B. durch ihn wie durch die 15
Oſtheim ganze Käſten Bücher aus der Gött[inger] Bibliothek be-
kommen. Er ſchlieſſet einen Brief von mir an Wieland bei, der ein
Kompliment an mich durch ſeinen Sekretair geſtern im Lear ab-
geben lies. — Bötticher drängt ſich mit Kletten-Häkgen an jeden
Fremden aus Eitelkeit. — Meine gute Oſtheim hat 6 Bout. Wein und 20
engliſches Bier für mich zum Frühſtük zu Oertel geſchikt — ach, du
weiſt ja kein Wort, daß ich bei dieſem logiere, prächtiger als in
meinem Leben. Am Dienſtag zog ich in ſein von Bäumen bewachtes
und dem götlichen Parke nahes Haus (er lebt nicht bei ſeiner Mutter
und Schweſter). 2 Zimmer, beſſer meubliert als eines im Mode- 25
journal, füllet mein Ich an und ſeines ſtöſſet an ſie. Sogar fertige
Couverts aus dem Induſtrie Comptoir — 100 zu 10 gr. — wovon
hier eines zur Probe umgeſchloſſen iſt, liegen vor mir. In jedem
Zimmer ein Licht — einen kehrenden, wichſenden, klopfenden Be-
dienten (an der Stelle meines frere servant) — alles, alles, ſogar der 30
Nachtſtuhl am Bette, bis auf die kleinſte Aufmerkſamkeit iſt er-
ſchöpft und ich und er leben wie Brüder, er lacht ſich über mich und ich
[mich] über ihn todt. — Geſtern mittags as ich bei ſeiner Mutter und
Schweſter, die den 2 Ohren 2 Himmel giebt, den des Spiels und des
[212]
*) abends bin ich bei Herder. Bertuch hat eine prächtige Tochter. Gotter hab ich 35
im Schauſpiel geſehen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/227>, abgerufen am 19.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.