tisch. Nun können wir zwar nur bestimmte Begriffe da- von, wie gros etwas sey, durch Zahlen (allenfalls An- näherungen durch ins Unendliche fortgehende Zahlreihen) bekommen, deren Einheit das Maas ist; und sofern ist alle logische Größenschätzung mathematisch. Allein da die Größe des Maaßes doch als bekannt angenommen werden muß, so würde, wenn diese nun wiederum nur durch Zahlen, deren Einheit ein anderes Maas seyn müßte, mithin mathematisch geschätzt werden sollte, wir niemals ein erstes oder Grundmaas, mithin auch keinen bestimmten Begrif von einer gegebenen Größe haben kön- nen. Also muß die Schätzung der Größe des Grund- maaßes blos darin bestehen, daß man sie in einer An- schauung unmittelbar fassen und durch Einbildungskraft zur Darstellung der Zahlbegriffe brauchen kann: d. i. Alle Größenschätzung der Gegenstände der Natur ist zu- letzt ästhetisch (d. i. subjectiv und nicht objectiv bestimmt).
Nun giebt es zwar für die mathematische Größen- schätzung kein Größtes (denn die Macht der Zahlen geht ins Unendliche) aber für die ästhetische Größenschätzung giebt es allerdings ein Größtes und von diesem sage ich: daß, wenn es als absolutes Maas, über das kein grö- ßeres subjectiv (dem beurtheilenden Subject) möglich sey, beurtheilt wird, es die Jdee des Erhabenen bey sich führe und diejenige Rührung, welche keine mathematische Schätzung der Größen durch Zahlen (es sey denn so weit jenes ästhetische Grundmaas dabey in der Einbil-
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
tiſch. Nun koͤnnen wir zwar nur beſtimmte Begriffe da- von, wie gros etwas ſey, durch Zahlen (allenfalls An- naͤherungen durch ins Unendliche fortgehende Zahlreihen) bekommen, deren Einheit das Maas iſt; und ſofern iſt alle logiſche Groͤßenſchaͤtzung mathematiſch. Allein da die Groͤße des Maaßes doch als bekannt angenommen werden muß, ſo wuͤrde, wenn dieſe nun wiederum nur durch Zahlen, deren Einheit ein anderes Maas ſeyn muͤßte, mithin mathematiſch geſchaͤtzt werden ſollte, wir niemals ein erſtes oder Grundmaas, mithin auch keinen beſtimmten Begrif von einer gegebenen Groͤße haben koͤn- nen. Alſo muß die Schaͤtzung der Groͤße des Grund- maaßes blos darin beſtehen, daß man ſie in einer An- ſchauung unmittelbar faſſen und durch Einbildungskraft zur Darſtellung der Zahlbegriffe brauchen kann: d. i. Alle Groͤßenſchaͤtzung der Gegenſtaͤnde der Natur iſt zu- letzt aͤſthetiſch (d. i. ſubjectiv und nicht objectiv beſtimmt).
Nun giebt es zwar fuͤr die mathematiſche Groͤßen- ſchaͤtzung kein Groͤßtes (denn die Macht der Zahlen geht ins Unendliche) aber fuͤr die aͤſthetiſche Groͤßenſchaͤtzung giebt es allerdings ein Groͤßtes und von dieſem ſage ich: daß, wenn es als abſolutes Maas, uͤber das kein groͤ- ßeres ſubjectiv (dem beurtheilenden Subject) moͤglich ſey, beurtheilt wird, es die Jdee des Erhabenen bey ſich fuͤhre und diejenige Ruͤhrung, welche keine mathematiſche Schaͤtzung der Groͤßen durch Zahlen (es ſey denn ſo weit jenes aͤſthetiſche Grundmaas dabey in der Einbil-
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
tiſch. Nun koͤnnen wir zwar nur beſtimmte Begriffe da-
von, wie gros etwas ſey, durch Zahlen (allenfalls An-
naͤherungen durch ins Unendliche fortgehende Zahlreihen)
bekommen, deren Einheit das Maas iſt; und ſofern iſt
alle logiſche Groͤßenſchaͤtzung mathematiſch. Allein da
die Groͤße des Maaßes doch als bekannt angenommen
werden muß, ſo wuͤrde, wenn dieſe nun wiederum nur
durch Zahlen, deren Einheit ein anderes Maas ſeyn
muͤßte, mithin mathematiſch geſchaͤtzt werden ſollte, wir
niemals ein erſtes oder Grundmaas, mithin auch keinen
beſtimmten Begrif von einer gegebenen Groͤße haben koͤn-
nen. Alſo muß die Schaͤtzung der Groͤße des Grund-
maaßes blos darin beſtehen, daß man ſie in einer An-
ſchauung unmittelbar faſſen und durch Einbildungskraft
zur Darſtellung der Zahlbegriffe brauchen kann: d. i.
Alle Groͤßenſchaͤtzung der Gegenſtaͤnde der Natur iſt zu-
letzt aͤſthetiſch (d. i. ſubjectiv und nicht objectiv beſtimmt).
Nun giebt es zwar fuͤr die mathematiſche Groͤßen-
ſchaͤtzung kein Groͤßtes (denn die Macht der Zahlen geht
ins Unendliche) aber fuͤr die aͤſthetiſche Groͤßenſchaͤtzung
giebt es allerdings ein Groͤßtes und von dieſem ſage ich:
daß, wenn es als abſolutes Maas, uͤber das kein groͤ-
ßeres ſubjectiv (dem beurtheilenden Subject) moͤglich ſey,
beurtheilt wird, es die Jdee des Erhabenen bey ſich fuͤhre
und diejenige Ruͤhrung, welche keine mathematiſche
Schaͤtzung der Groͤßen durch Zahlen (es ſey denn ſo
weit jenes aͤſthetiſche Grundmaas dabey in der Einbil-
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/149>, abgerufen am 18.06.2024.
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