ist, welches dieses Wohlgefallen jedermann als nothwen- dig ansinnet, muß etwas als Princip a priori zum Grunde liegen, welches allenfalls ein blos subjectives seyn mag (wenn ein objectives zu solcher Art Urtheile unmöglich seyn sollte), aber auch als ein solches einer Deduction bedarf um zu begreifen, wie ein ästhetisches Urtheil auf Nothwendigkeit Anspruch machen könne. Hierauf gründet sich nun die Aufgabe mit der wir uns jetzt beschäftigen: Wie sind Geschmacksurtheile möglich? welche Aufgabe also die Principien a priori der reinen Urtheilskraft in ästhetischen Urtheilen betrift, d. i. in solchen, wo sie nicht (wie in den theoretischen) unter ob- jectiven Verstandesbegriffen blos zu subsumiren hat und unter einem Gesetze steht, sondern ihr selbst subjectiv Gegenstand sowohl als Gesetz ist.
Diese Aufgabe kann auch so vorgestellt werden: Wie ist ein Urtheil möglich, das blos aus dem eigenen Ge- fühl der Lust an einem Gegenstande, unabhängig von dessen Begriffe, diese Lust, als der Vorstellung desselben Objects in jedem andern Subjecte anhängig, a priori d. i. ohne fremde Beystimmung abwarten zu dürfen, beurtheilte.
Daß Geschmacksurtheile synthetische sind ist leicht einzusehen, weil sie über den Begrif, und selbst die An- schauung des Objects, hinausgehen und etwas, was gar nicht einmal Erkenntnis ist, nämlich Gefühl der Lust (oder Unlust) zu jener als Prädicat hinzuthun. Daß sie
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
iſt, welches dieſes Wohlgefallen jedermann als nothwen- dig anſinnet, muß etwas als Princip a priori zum Grunde liegen, welches allenfalls ein blos ſubjectives ſeyn mag (wenn ein objectives zu ſolcher Art Urtheile unmoͤglich ſeyn ſollte), aber auch als ein ſolches einer Deduction bedarf um zu begreifen, wie ein aͤſthetiſches Urtheil auf Nothwendigkeit Anſpruch machen koͤnne. Hierauf gruͤndet ſich nun die Aufgabe mit der wir uns jetzt beſchaͤftigen: Wie ſind Geſchmacksurtheile moͤglich? welche Aufgabe alſo die Principien a priori der reinen Urtheilskraft in aͤſthetiſchen Urtheilen betrift, d. i. in ſolchen, wo ſie nicht (wie in den theoretiſchen) unter ob- jectiven Verſtandesbegriffen blos zu ſubſumiren hat und unter einem Geſetze ſteht, ſondern ihr ſelbſt ſubjectiv Gegenſtand ſowohl als Geſetz iſt.
Dieſe Aufgabe kann auch ſo vorgeſtellt werden: Wie iſt ein Urtheil moͤglich, das blos aus dem eigenen Ge- fuͤhl der Luſt an einem Gegenſtande, unabhaͤngig von deſſen Begriffe, dieſe Luſt, als der Vorſtellung deſſelben Objects in jedem andern Subjecte anhaͤngig, a priori d. i. ohne fremde Beyſtimmung abwarten zu duͤrfen, beurtheilte.
Daß Geſchmacksurtheile ſynthetiſche ſind iſt leicht einzuſehen, weil ſie uͤber den Begrif, und ſelbſt die An- ſchauung des Objects, hinausgehen und etwas, was gar nicht einmal Erkenntnis iſt, naͤmlich Gefuͤhl der Luſt (oder Unluſt) zu jener als Praͤdicat hinzuthun. Daß ſie
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
iſt, welches dieſes Wohlgefallen jedermann als nothwen-
dig anſinnet, muß etwas als Princip a priori zum
Grunde liegen, welches allenfalls ein blos ſubjectives
ſeyn mag (wenn ein objectives zu ſolcher Art Urtheile
unmoͤglich ſeyn ſollte), aber auch als ein ſolches einer
Deduction bedarf um zu begreifen, wie ein aͤſthetiſches
Urtheil auf Nothwendigkeit Anſpruch machen koͤnne.
Hierauf gruͤndet ſich nun die Aufgabe mit der wir uns
jetzt beſchaͤftigen: Wie ſind Geſchmacksurtheile moͤglich?
welche Aufgabe alſo die Principien a priori der reinen
Urtheilskraft in aͤſthetiſchen Urtheilen betrift, d. i. in
ſolchen, wo ſie nicht (wie in den theoretiſchen) unter ob-
jectiven Verſtandesbegriffen blos zu ſubſumiren hat und
unter einem Geſetze ſteht, ſondern ihr ſelbſt ſubjectiv
Gegenſtand ſowohl als Geſetz iſt.
Dieſe Aufgabe kann auch ſo vorgeſtellt werden: Wie
iſt ein Urtheil moͤglich, das blos aus dem eigenen Ge-
fuͤhl der Luſt an einem Gegenſtande, unabhaͤngig von
deſſen Begriffe, dieſe Luſt, als der Vorſtellung deſſelben
Objects in jedem andern Subjecte anhaͤngig,
a priori d. i. ohne fremde Beyſtimmung abwarten zu
duͤrfen, beurtheilte.
Daß Geſchmacksurtheile ſynthetiſche ſind iſt leicht
einzuſehen, weil ſie uͤber den Begrif, und ſelbſt die An-
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gar nicht einmal Erkenntnis iſt, naͤmlich Gefuͤhl der Luſt
(oder Unluſt) zu jener als Praͤdicat hinzuthun. Daß ſie
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/210>, abgerufen am 18.06.2024.
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