Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

einen solchen zu erringen, hervorzubringen und
seinem Geschlechte für alle Zeiten zu übertragen.

Gegenüber den materialistischen sowohl, als
den mystischen Gegnern des freien Willens, den
Leuten von der Gnadenwahl, steht die rationelle
Richtung, die Vernunftgläubigkeit von Gottes
Gnaden, die Bekennerin des bestimmten und un¬
beschränkten freien Willens, göttlichen Ursprungs,
unzweifelhafter Allmacht und der untrügliche Rich¬
ter seiner selbst. Aber diese Richtung hegt, bei
diesem Anlasse, eben so wenig Achtung vor dem
Körperlich-Organischen und dessen bedingender Con¬
tinuität, als die Materialisten von der gröbsten
Sorte vor dem vermeintlichen Abstractum, und
ihr absoluter rationalistischer freier Wille ist ein
kleiner Springinsfeld, dessen Leben, Meinungen
und Thaten eben auch nicht weiter reichen, als
es gelegentlich allerlei Umstände erlauben wollen.
Heinrich, welcher seinen bisherigen Meinungen
nach ganz dazu angethan war, sich zu dieser
Fahne zu schlagen, hatte jetzt schon zu viel Auf¬
merksamkeit und Achtung für das Leibhafte und
dessen gesetzliche Macht erworben, als daß er es

einen ſolchen zu erringen, hervorzubringen und
ſeinem Geſchlechte fuͤr alle Zeiten zu uͤbertragen.

Gegenuͤber den materialiſtiſchen ſowohl, als
den myſtiſchen Gegnern des freien Willens, den
Leuten von der Gnadenwahl, ſteht die rationelle
Richtung, die Vernunftglaͤubigkeit von Gottes
Gnaden, die Bekennerin des beſtimmten und un¬
beſchraͤnkten freien Willens, goͤttlichen Urſprungs,
unzweifelhafter Allmacht und der untruͤgliche Rich¬
ter ſeiner ſelbſt. Aber dieſe Richtung hegt, bei
dieſem Anlaſſe, eben ſo wenig Achtung vor dem
Koͤrperlich-Organiſchen und deſſen bedingender Con¬
tinuitaͤt, als die Materialiſten von der groͤbſten
Sorte vor dem vermeintlichen Abſtractum, und
ihr abſoluter rationaliſtiſcher freier Wille iſt ein
kleiner Springinsfeld, deſſen Leben, Meinungen
und Thaten eben auch nicht weiter reichen, als
es gelegentlich allerlei Umſtaͤnde erlauben wollen.
Heinrich, welcher ſeinen bisherigen Meinungen
nach ganz dazu angethan war, ſich zu dieſer
Fahne zu ſchlagen, hatte jetzt ſchon zu viel Auf¬
merkſamkeit und Achtung fuͤr das Leibhafte und
deſſen geſetzliche Macht erworben, als daß er es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0084" n="74"/>
einen &#x017F;olchen zu erringen, hervorzubringen und<lb/>
&#x017F;einem Ge&#x017F;chlechte fu&#x0364;r alle Zeiten zu u&#x0364;bertragen.</p><lb/>
        <p>Gegenu&#x0364;ber den materiali&#x017F;ti&#x017F;chen &#x017F;owohl, als<lb/>
den my&#x017F;ti&#x017F;chen Gegnern des freien Willens, den<lb/>
Leuten von der Gnadenwahl, &#x017F;teht die rationelle<lb/>
Richtung, die Vernunftgla&#x0364;ubigkeit von Gottes<lb/>
Gnaden, die Bekennerin des be&#x017F;timmten und un¬<lb/>
be&#x017F;chra&#x0364;nkten freien Willens, go&#x0364;ttlichen Ur&#x017F;prungs,<lb/>
unzweifelhafter Allmacht und der untru&#x0364;gliche Rich¬<lb/>
ter &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t. Aber die&#x017F;e Richtung hegt, bei<lb/>
die&#x017F;em Anla&#x017F;&#x017F;e, eben &#x017F;o wenig Achtung vor dem<lb/>
Ko&#x0364;rperlich-Organi&#x017F;chen und de&#x017F;&#x017F;en bedingender Con¬<lb/>
tinuita&#x0364;t, als die Materiali&#x017F;ten von der gro&#x0364;b&#x017F;ten<lb/>
Sorte vor dem vermeintlichen Ab&#x017F;tractum, und<lb/>
ihr ab&#x017F;oluter rationali&#x017F;ti&#x017F;cher freier Wille i&#x017F;t ein<lb/>
kleiner Springinsfeld, de&#x017F;&#x017F;en Leben, Meinungen<lb/>
und Thaten eben auch nicht weiter reichen, als<lb/>
es gelegentlich allerlei Um&#x017F;ta&#x0364;nde erlauben wollen.<lb/>
Heinrich, welcher &#x017F;einen bisherigen Meinungen<lb/>
nach ganz dazu angethan war, &#x017F;ich zu die&#x017F;er<lb/>
Fahne zu &#x017F;chlagen, hatte jetzt &#x017F;chon zu viel Auf¬<lb/>
merk&#x017F;amkeit und Achtung fu&#x0364;r das Leibhafte und<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en ge&#x017F;etzliche Macht erworben, als daß er es<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0084] einen ſolchen zu erringen, hervorzubringen und ſeinem Geſchlechte fuͤr alle Zeiten zu uͤbertragen. Gegenuͤber den materialiſtiſchen ſowohl, als den myſtiſchen Gegnern des freien Willens, den Leuten von der Gnadenwahl, ſteht die rationelle Richtung, die Vernunftglaͤubigkeit von Gottes Gnaden, die Bekennerin des beſtimmten und un¬ beſchraͤnkten freien Willens, goͤttlichen Urſprungs, unzweifelhafter Allmacht und der untruͤgliche Rich¬ ter ſeiner ſelbſt. Aber dieſe Richtung hegt, bei dieſem Anlaſſe, eben ſo wenig Achtung vor dem Koͤrperlich-Organiſchen und deſſen bedingender Con¬ tinuitaͤt, als die Materialiſten von der groͤbſten Sorte vor dem vermeintlichen Abſtractum, und ihr abſoluter rationaliſtiſcher freier Wille iſt ein kleiner Springinsfeld, deſſen Leben, Meinungen und Thaten eben auch nicht weiter reichen, als es gelegentlich allerlei Umſtaͤnde erlauben wollen. Heinrich, welcher ſeinen bisherigen Meinungen nach ganz dazu angethan war, ſich zu dieſer Fahne zu ſchlagen, hatte jetzt ſchon zu viel Auf¬ merkſamkeit und Achtung fuͤr das Leibhafte und deſſen geſetzliche Macht erworben, als daß er es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/84
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/84>, abgerufen am 31.10.2024.