Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.pkl_163.001 *) pkl_163.008
"Das Theater, wo der Zauber mehrerer Künste vereinigt pkl_163.009 wirken kann; wo die erhabenste und tiefsinnigste Poesie zuweilen pkl_163.010 die gebildetste Schauspielkunst zur Dollmetscherin pkl_163.011 hat, die Schauspielkunst, welche zugleich Beredtsamkeit und pkl_163.012 bewegliches Gemälde ist; während die Architektur eine pkl_163.013 glänzende Einfassung und die Malerei ihre perspektivischen pkl_163.014 Täuschungen herleiht, und auch die Musik wohl zu Hülfe pkl_163.015 gerufen wird, um die Gemüther zu stimmen, oder die pkl_163.016 schon ergriffenen durch ihre Anklänge noch mächtiger zu pkl_163.017 treffen; das Theater endlich, wo die gesammte gesellige pkl_163.018 und künstlerische Bildung, welche eine Nation besitzt, die pkl_163.019 Frucht von Jahrhunderte lang fortgesetzten Bestrebungen, pkl_163.020 in wenigen Stunden zur Erscheinung gebracht werden kann: pkl_163.021 das Theater hat einen außerordentlichen Reiz für alle Alter, pkl_163.022 Geschlechter und Stände, und war immer die Lieblings- pkl_163.023 Ergötzung geistreicher Völker. Hier sieht der Fürst, der pkl_163.024 Staatsmann und Heerführer die großen Weltbegebenheiten pkl_163.025 der Vorzeit, denen ähnlich, in welchen er selbst mitwirken pkl_163.026 konnte, nach ihren innern Triebfedern und Beziehungen pkl_163.027 entfaltet; der Denker findet Anlaß zu den tiefsten Betrachtungen pkl_163.028 über die Natur und Bestimmnng des Menschen; pkl_163.029 der Künstler folgt mit lauschendem Blick den vorüberfliehenden pkl_163.030 Gruppen, die er seiner Phantasie als Keime pkl_163.031 künftiger Gemälde einprägt; die empfängliche Jugend öffnet pkl_163.032 ihr Herz jedem erhebenden Gefühl; das Alter verjüngt pkl_163.033 sich durch Erinnerung; die Kindheit selbst sitzt mit ahnungsvoller pkl_163.034 Erwartung vor dem bunten Vorhange, der rauschend pkl_163.035 aufrollen soll, um noch unbekannte Wunderdinge zu enthüllen; pkl_163.036 alle finden Erholung und Aufheiterung, und werden pkl_163.037 auf eine Zeitlang der Sorgen und des täglichen Drucks pkl_163.038 ihrer Lebensweise enthoben." A. W. Schlegel. pkl_163.001 *) pkl_163.008
„Das Theater, wo der Zauber mehrerer Künste vereinigt pkl_163.009 wirken kann; wo die erhabenste und tiefsinnigste Poesie zuweilen pkl_163.010 die gebildetste Schauspielkunst zur Dollmetscherin pkl_163.011 hat, die Schauspielkunst, welche zugleich Beredtsamkeit und pkl_163.012 bewegliches Gemälde ist; während die Architektur eine pkl_163.013 glänzende Einfassung und die Malerei ihre perspektivischen pkl_163.014 Täuschungen herleiht, und auch die Musik wohl zu Hülfe pkl_163.015 gerufen wird, um die Gemüther zu stimmen, oder die pkl_163.016 schon ergriffenen durch ihre Anklänge noch mächtiger zu pkl_163.017 treffen; das Theater endlich, wo die gesammte gesellige pkl_163.018 und künstlerische Bildung, welche eine Nation besitzt, die pkl_163.019 Frucht von Jahrhunderte lang fortgesetzten Bestrebungen, pkl_163.020 in wenigen Stunden zur Erscheinung gebracht werden kann: pkl_163.021 das Theater hat einen außerordentlichen Reiz für alle Alter, pkl_163.022 Geschlechter und Stände, und war immer die Lieblings- pkl_163.023 Ergötzung geistreicher Völker. Hier sieht der Fürst, der pkl_163.024 Staatsmann und Heerführer die großen Weltbegebenheiten pkl_163.025 der Vorzeit, denen ähnlich, in welchen er selbst mitwirken pkl_163.026 konnte, nach ihren innern Triebfedern und Beziehungen pkl_163.027 entfaltet; der Denker findet Anlaß zu den tiefsten Betrachtungen pkl_163.028 über die Natur und Bestimmnng des Menschen; pkl_163.029 der Künstler folgt mit lauschendem Blick den vorüberfliehenden pkl_163.030 Gruppen, die er seiner Phantasie als Keime pkl_163.031 künftiger Gemälde einprägt; die empfängliche Jugend öffnet pkl_163.032 ihr Herz jedem erhebenden Gefühl; das Alter verjüngt pkl_163.033 sich durch Erinnerung; die Kindheit selbst sitzt mit ahnungsvoller pkl_163.034 Erwartung vor dem bunten Vorhange, der rauschend pkl_163.035 aufrollen soll, um noch unbekannte Wunderdinge zu enthüllen; pkl_163.036 alle finden Erholung und Aufheiterung, und werden pkl_163.037 auf eine Zeitlang der Sorgen und des täglichen Drucks pkl_163.038 ihrer Lebensweise enthoben.“ A. 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doppelte Tendenz bei — es soll zu einer geistreichen pkl_163.002
Unterhaltung dienen *) und zugleich pkl_163.003
öffentliche Bildungsanstalt sein. Wenn es pkl_163.004
leider! bei vielen, ja den meisten seiner Besucher pkl_163.005
zu einer Spielerei herabsinkt, die die Zeit raubt, pkl_163.006
die Kasse plündert und den Geist ruinirt, wenn pkl_163.007
es Schau-Spiel (in der miserabelsten Bedeutung
*) pkl_163.008
„Das Theater, wo der Zauber mehrerer Künste vereinigt pkl_163.009
wirken kann; wo die erhabenste und tiefsinnigste Poesie zuweilen pkl_163.010
die gebildetste Schauspielkunst zur Dollmetscherin pkl_163.011
hat, die Schauspielkunst, welche zugleich Beredtsamkeit und pkl_163.012
bewegliches Gemälde ist; während die Architektur eine pkl_163.013
glänzende Einfassung und die Malerei ihre perspektivischen pkl_163.014
Täuschungen herleiht, und auch die Musik wohl zu Hülfe pkl_163.015
gerufen wird, um die Gemüther zu stimmen, oder die pkl_163.016
schon ergriffenen durch ihre Anklänge noch mächtiger zu pkl_163.017
treffen; das Theater endlich, wo die gesammte gesellige pkl_163.018
und künstlerische Bildung, welche eine Nation besitzt, die pkl_163.019
Frucht von Jahrhunderte lang fortgesetzten Bestrebungen, pkl_163.020
in wenigen Stunden zur Erscheinung gebracht werden kann: pkl_163.021
das Theater hat einen außerordentlichen Reiz für alle Alter, pkl_163.022
Geschlechter und Stände, und war immer die Lieblings- pkl_163.023
Ergötzung geistreicher Völker. Hier sieht der Fürst, der pkl_163.024
Staatsmann und Heerführer die großen Weltbegebenheiten pkl_163.025
der Vorzeit, denen ähnlich, in welchen er selbst mitwirken pkl_163.026
konnte, nach ihren innern Triebfedern und Beziehungen pkl_163.027
entfaltet; der Denker findet Anlaß zu den tiefsten Betrachtungen pkl_163.028
über die Natur und Bestimmnng des Menschen; pkl_163.029
der Künstler folgt mit lauschendem Blick den vorüberfliehenden pkl_163.030
Gruppen, die er seiner Phantasie als Keime pkl_163.031
künftiger Gemälde einprägt; die empfängliche Jugend öffnet pkl_163.032
ihr Herz jedem erhebenden Gefühl; das Alter verjüngt pkl_163.033
sich durch Erinnerung; die Kindheit selbst sitzt mit ahnungsvoller pkl_163.034
Erwartung vor dem bunten Vorhange, der rauschend pkl_163.035
aufrollen soll, um noch unbekannte Wunderdinge zu enthüllen; pkl_163.036
alle finden Erholung und Aufheiterung, und werden pkl_163.037
auf eine Zeitlang der Sorgen und des täglichen Drucks pkl_163.038
ihrer Lebensweise enthoben.“ A. W. Schlegel.
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Zitationshilfe: | Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/189>, abgerufen am 15.06.2024. |