[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Oden. Hamburg, 1771.An Ebert. Ebert, mich scheucht ein trüber Gedanke vom blin- kenden Weine Tief in die Melancholey! Ach du redest umsonst, vor dem gewaltiges Kelchglas, Heitre Gedanken mir zu! Weggehn muß ich, und weinen! vielleicht, daß die lindernde Thräne Meine Betrübniß verweint. Lindernde Thränen, euch gab die Natur dem mensch- lichen Elend Weis' als Gesellinnen zu. Wäret ihr nicht, und könnten ihr Leiden die Men- schen nicht weinen, Ach! wie ertrügen sie's da! Weggehn muß ich, und weinen! Mein schwermuths- voller Gedanke Bebt noch gewaltig in mir. Ebert! ... sind sie nun ... alle dahin! deckt un- sere Freunde Alle die heilige Gruft; Und sind wir ... zween Einsame ... dann von allen noch übrig! ... Ebert! ... verstummst du nicht hier? Sieht dein Auge nicht bang um sich her, nicht starr ohne Seele? So erstarb auch mein Blick! So erbebt' ich, als mich von allen Gedanken der bängste Donnernd das erstemal traf! Wie du einen Wanderer, der, zu eilend der Gattin, Und dem gebildeten Sohn, Und
An Ebert. Ebert, mich ſcheucht ein truͤber Gedanke vom blin- kenden Weine Tief in die Melancholey! Ach du redeſt umſonſt, vor dem gewaltiges Kelchglas, Heitre Gedanken mir zu! Weggehn muß ich, und weinen! vielleicht, daß die lindernde Thraͤne Meine Betruͤbniß verweint. Lindernde Thraͤnen, euch gab die Natur dem menſch- lichen Elend Weiſ’ als Geſellinnen zu. Waͤret ihr nicht, und koͤnnten ihr Leiden die Men- ſchen nicht weinen, Ach! wie ertruͤgen ſie’s da! Weggehn muß ich, und weinen! Mein ſchwermuths- voller Gedanke Bebt noch gewaltig in mir. Ebert! … ſind ſie nun … alle dahin! deckt un- ſere Freunde Alle die heilige Gruft; Und ſind wir … zween Einſame … dann von allen noch uͤbrig! … Ebert! … verſtummſt du nicht hier? Sieht dein Auge nicht bang um ſich her, nicht ſtarr ohne Seele? So erſtarb auch mein Blick! So erbebt’ ich, als mich von allen Gedanken der baͤngſte Donnernd das erſtemal traf! Wie du einen Wanderer, der, zu eilend der Gattin, Und dem gebildeten Sohn, Und
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An Ebert.
Ebert, mich ſcheucht ein truͤber Gedanke vom blin-
kenden Weine
Tief in die Melancholey!
Ach du redeſt umſonſt, vor dem gewaltiges Kelchglas,
Heitre Gedanken mir zu!
Weggehn muß ich, und weinen! vielleicht, daß die
lindernde Thraͤne
Meine Betruͤbniß verweint.
Lindernde Thraͤnen, euch gab die Natur dem menſch-
lichen Elend
Weiſ’ als Geſellinnen zu.
Waͤret ihr nicht, und koͤnnten ihr Leiden die Men-
ſchen nicht weinen,
Ach! wie ertruͤgen ſie’s da!
Weggehn muß ich, und weinen! Mein ſchwermuths-
voller Gedanke
Bebt noch gewaltig in mir.
Ebert! … ſind ſie nun … alle dahin! deckt un-
ſere Freunde
Alle die heilige Gruft;
Und ſind wir … zween Einſame … dann von
allen noch uͤbrig! …
Ebert! … verſtummſt du nicht hier?
Sieht dein Auge nicht bang um ſich her, nicht ſtarr
ohne Seele?
So erſtarb auch mein Blick!
So erbebt’ ich, als mich von allen Gedanken der
baͤngſte
Donnernd das erſtemal traf!
Wie du einen Wanderer, der, zu eilend der Gattin,
Und dem gebildeten Sohn,
Und
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