Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Oden. Hamburg, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite
An Ebert.
Ebert, mich scheucht ein trüber Gedanke vom blin-
kenden Weine

Tief in die Melancholey!
Ach du redest umsonst, vor dem gewaltiges Kelchglas,
Heitre Gedanken mir zu!
Weggehn muß ich, und weinen! vielleicht, daß die
lindernde Thräne

Meine Betrübniß verweint.
Lindernde Thränen, euch gab die Natur dem mensch-
lichen Elend

Weis' als Gesellinnen zu.
Wäret ihr nicht, und könnten ihr Leiden die Men-
schen nicht weinen,

Ach! wie ertrügen sie's da!
Weggehn muß ich, und weinen! Mein schwermuths-
voller Gedanke

Bebt noch gewaltig in mir.
Ebert! ... sind sie nun ... alle dahin! deckt un-
sere Freunde

Alle die heilige Gruft;
Und sind wir ... zween Einsame ... dann von
allen noch übrig! ...

Ebert! ... verstummst du nicht hier?
Sieht dein Auge nicht bang um sich her, nicht starr
ohne Seele?

So erstarb auch mein Blick!
So erbebt' ich, als mich von allen Gedanken der
bängste

Donnernd das erstemal traf!
Wie du einen Wanderer, der, zu eilend der Gattin,
Und dem gebildeten Sohn,
Und
An Ebert.
Ebert, mich ſcheucht ein truͤber Gedanke vom blin-
kenden Weine

Tief in die Melancholey!
Ach du redeſt umſonſt, vor dem gewaltiges Kelchglas,
Heitre Gedanken mir zu!
Weggehn muß ich, und weinen! vielleicht, daß die
lindernde Thraͤne

Meine Betruͤbniß verweint.
Lindernde Thraͤnen, euch gab die Natur dem menſch-
lichen Elend

Weiſ’ als Geſellinnen zu.
Waͤret ihr nicht, und koͤnnten ihr Leiden die Men-
ſchen nicht weinen,

Ach! wie ertruͤgen ſie’s da!
Weggehn muß ich, und weinen! Mein ſchwermuths-
voller Gedanke

Bebt noch gewaltig in mir.
Ebert! … ſind ſie nun … alle dahin! deckt un-
ſere Freunde

Alle die heilige Gruft;
Und ſind wir … zween Einſame … dann von
allen noch uͤbrig! …

Ebert! … verſtummſt du nicht hier?
Sieht dein Auge nicht bang um ſich her, nicht ſtarr
ohne Seele?

So erſtarb auch mein Blick!
So erbebt’ ich, als mich von allen Gedanken der
baͤngſte

Donnernd das erſtemal traf!
Wie du einen Wanderer, der, zu eilend der Gattin,
Und dem gebildeten Sohn,
Und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0083" n="75"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">An Ebert.</hi> </head><lb/>
          <lg>
            <lg type="poem">
              <l>Ebert, mich &#x017F;cheucht ein tru&#x0364;ber Gedanke vom blin-<lb/><hi rendition="#et">kenden Weine</hi></l><lb/>
              <l>Tief in die Melancholey!</l><lb/>
              <l>Ach du rede&#x017F;t um&#x017F;on&#x017F;t, vor dem gewaltiges Kelchglas,</l><lb/>
              <l>Heitre Gedanken mir zu!</l><lb/>
              <l>Weggehn muß ich, und weinen! vielleicht, daß die<lb/><hi rendition="#et">lindernde Thra&#x0364;ne</hi></l><lb/>
              <l>Meine Betru&#x0364;bniß verweint.</l><lb/>
              <l>Lindernde Thra&#x0364;nen, euch gab die Natur dem men&#x017F;ch-<lb/><hi rendition="#et">lichen Elend</hi></l><lb/>
              <l>Wei&#x017F;&#x2019; als Ge&#x017F;ellinnen zu.</l><lb/>
              <l>Wa&#x0364;ret ihr nicht, und ko&#x0364;nnten ihr Leiden die Men-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chen nicht weinen,</hi></l><lb/>
              <l>Ach! wie ertru&#x0364;gen &#x017F;ie&#x2019;s da!</l><lb/>
              <l>Weggehn muß ich, und weinen! Mein &#x017F;chwermuths-<lb/><hi rendition="#et">voller Gedanke</hi></l><lb/>
              <l>Bebt noch gewaltig in mir.</l><lb/>
              <l>Ebert! &#x2026; &#x017F;ind &#x017F;ie nun &#x2026; alle dahin! deckt un-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ere Freunde</hi></l><lb/>
              <l>Alle die heilige Gruft;</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;ind wir &#x2026; zween Ein&#x017F;ame &#x2026; dann von<lb/><hi rendition="#et">allen noch u&#x0364;brig! &#x2026;</hi></l><lb/>
              <l>Ebert! &#x2026; ver&#x017F;tumm&#x017F;t du nicht hier?</l><lb/>
              <l>Sieht dein Auge nicht bang um &#x017F;ich her, nicht &#x017F;tarr<lb/><hi rendition="#et">ohne Seele?</hi></l><lb/>
              <l>So er&#x017F;tarb auch mein Blick!</l><lb/>
              <l>So erbebt&#x2019; ich, als mich von allen Gedanken der<lb/><hi rendition="#et">ba&#x0364;ng&#x017F;te</hi></l><lb/>
              <l>Donnernd das er&#x017F;temal traf!</l><lb/>
              <l>Wie du einen Wanderer, der, zu eilend der Gattin,</l><lb/>
              <l>Und dem gebildeten Sohn,</l><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0083] An Ebert. Ebert, mich ſcheucht ein truͤber Gedanke vom blin- kenden Weine Tief in die Melancholey! Ach du redeſt umſonſt, vor dem gewaltiges Kelchglas, Heitre Gedanken mir zu! Weggehn muß ich, und weinen! vielleicht, daß die lindernde Thraͤne Meine Betruͤbniß verweint. Lindernde Thraͤnen, euch gab die Natur dem menſch- lichen Elend Weiſ’ als Geſellinnen zu. Waͤret ihr nicht, und koͤnnten ihr Leiden die Men- ſchen nicht weinen, Ach! wie ertruͤgen ſie’s da! Weggehn muß ich, und weinen! Mein ſchwermuths- voller Gedanke Bebt noch gewaltig in mir. Ebert! … ſind ſie nun … alle dahin! deckt un- ſere Freunde Alle die heilige Gruft; Und ſind wir … zween Einſame … dann von allen noch uͤbrig! … Ebert! … verſtummſt du nicht hier? Sieht dein Auge nicht bang um ſich her, nicht ſtarr ohne Seele? So erſtarb auch mein Blick! So erbebt’ ich, als mich von allen Gedanken der baͤngſte Donnernd das erſtemal traf! Wie du einen Wanderer, der, zu eilend der Gattin, Und dem gebildeten Sohn, Und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_oden_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_oden_1771/83
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Oden. Hamburg, 1771, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_oden_1771/83>, abgerufen am 31.10.2024.