[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Oden. Hamburg, 1771.Wenn einschlummernd sich Hagedorn unser Vater ent- fernet; Ebert, was sind wir alsdann, Wie Geweihte des Schmerzes, die hier ein trüberes Schicksal Länger, als Alle sie ließ. Stirbt denn auch einer von uns, mich reißt mein banger Gedanke Immer nächtlicher fort! Stirbt dann auch Einer von uns, und bleibt nur Ei- ner noch übrig; Bin der Eine dann ich; Hat mich dann auch die schon geliebt, die künftig mich liebet, Ruht auch Sie in der Gruft; Bin dann ich der Einsame, bin allein auf der Erde: Wirst du, ewiger Geist, Seele zur Freundschaft erschaffen, du dann die leeren Tage Sehn, und fühlend noch seyn? Oder wirst du betäubt für Nächte sie halten, und schlummern Und gedankenlos ruhn? Aber wenn du bisweilen erwachtest zu fühlen dein Elend, Banger, unsterblicher Geist? Rufe, wenn du erwachst, das Bild vom Grabe der Freunde, Das nur rufe zurück! O ihr Gräber der Todten! ihr Gräber meiner Ent- schlafnen! Warum liegt ihr zerstreut? Warum liegt ihr nicht in blühenden Thalen beysam- men? Oder in Hainen vereint? Leitet
Wenn einſchlummernd ſich Hagedorn unſer Vater ent- fernet; Ebert, was ſind wir alsdann, Wie Geweihte des Schmerzes, die hier ein truͤberes Schickſal Laͤnger, als Alle ſie ließ. Stirbt denn auch einer von uns, mich reißt mein banger Gedanke Immer naͤchtlicher fort! Stirbt dann auch Einer von uns, und bleibt nur Ei- ner noch uͤbrig; Bin der Eine dann ich; Hat mich dann auch die ſchon geliebt, die kuͤnftig mich liebet, Ruht auch Sie in der Gruft; Bin dann ich der Einſame, bin allein auf der Erde: Wirſt du, ewiger Geiſt, Seele zur Freundſchaft erſchaffen, du dann die leeren Tage Sehn, und fuͤhlend noch ſeyn? Oder wirſt du betaͤubt fuͤr Naͤchte ſie halten, und ſchlummern Und gedankenlos ruhn? Aber wenn du bisweilen erwachteſt zu fuͤhlen dein Elend, Banger, unſterblicher Geiſt? Rufe, wenn du erwachſt, das Bild vom Grabe der Freunde, Das nur rufe zuruͤck! O ihr Graͤber der Todten! ihr Graͤber meiner Ent- ſchlafnen! Warum liegt ihr zerſtreut? Warum liegt ihr nicht in bluͤhenden Thalen beyſam- men? Oder in Hainen vereint? Leitet
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg> <lg type="poem"> <pb facs="#f0085" n="77"/> <l>Wenn einſchlummernd ſich Hagedorn unſer Vater ent-<lb/><hi rendition="#et">fernet;</hi></l><lb/> <l>Ebert, was ſind wir alsdann,</l><lb/> <l>Wie Geweihte des Schmerzes, die hier ein truͤberes<lb/><hi rendition="#et">Schickſal</hi></l><lb/> <l>Laͤnger, als Alle ſie ließ.</l><lb/> <l>Stirbt denn auch einer von uns, mich reißt mein<lb/><hi rendition="#et">banger Gedanke</hi></l><lb/> <l>Immer naͤchtlicher fort!</l><lb/> <l>Stirbt dann auch Einer von uns, und bleibt nur Ei-<lb/><hi rendition="#et">ner noch uͤbrig;</hi></l><lb/> <l>Bin der Eine dann ich;</l><lb/> <l>Hat mich dann auch die ſchon geliebt, die kuͤnftig mich<lb/><hi rendition="#et">liebet,</hi></l><lb/> <l>Ruht auch Sie in der Gruft;</l><lb/> <l>Bin dann ich der Einſame, bin allein auf der Erde:</l><lb/> <l>Wirſt du, ewiger Geiſt,</l><lb/> <l>Seele zur Freundſchaft erſchaffen, du dann die leeren<lb/><hi rendition="#et">Tage</hi></l><lb/> <l>Sehn, und fuͤhlend noch ſeyn?</l><lb/> <l>Oder wirſt du betaͤubt fuͤr Naͤchte ſie halten, und<lb/><hi rendition="#et">ſchlummern</hi></l><lb/> <l>Und gedankenlos ruhn?</l><lb/> <l>Aber wenn du bisweilen erwachteſt zu fuͤhlen dein Elend,</l><lb/> <l>Banger, unſterblicher Geiſt?</l><lb/> <l>Rufe, wenn du erwachſt, das Bild vom Grabe der<lb/><hi rendition="#et">Freunde,</hi></l><lb/> <l>Das nur rufe zuruͤck!</l><lb/> <l>O ihr Graͤber der Todten! ihr Graͤber meiner Ent-<lb/><hi rendition="#et">ſchlafnen!</hi></l><lb/> <l>Warum liegt ihr zerſtreut?</l><lb/> <l>Warum liegt ihr nicht in bluͤhenden Thalen beyſam-<lb/><hi rendition="#et">men?</hi></l><lb/> <l>Oder in Hainen vereint?</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Leitet</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [77/0085]
Wenn einſchlummernd ſich Hagedorn unſer Vater ent-
fernet;
Ebert, was ſind wir alsdann,
Wie Geweihte des Schmerzes, die hier ein truͤberes
Schickſal
Laͤnger, als Alle ſie ließ.
Stirbt denn auch einer von uns, mich reißt mein
banger Gedanke
Immer naͤchtlicher fort!
Stirbt dann auch Einer von uns, und bleibt nur Ei-
ner noch uͤbrig;
Bin der Eine dann ich;
Hat mich dann auch die ſchon geliebt, die kuͤnftig mich
liebet,
Ruht auch Sie in der Gruft;
Bin dann ich der Einſame, bin allein auf der Erde:
Wirſt du, ewiger Geiſt,
Seele zur Freundſchaft erſchaffen, du dann die leeren
Tage
Sehn, und fuͤhlend noch ſeyn?
Oder wirſt du betaͤubt fuͤr Naͤchte ſie halten, und
ſchlummern
Und gedankenlos ruhn?
Aber wenn du bisweilen erwachteſt zu fuͤhlen dein Elend,
Banger, unſterblicher Geiſt?
Rufe, wenn du erwachſt, das Bild vom Grabe der
Freunde,
Das nur rufe zuruͤck!
O ihr Graͤber der Todten! ihr Graͤber meiner Ent-
ſchlafnen!
Warum liegt ihr zerſtreut?
Warum liegt ihr nicht in bluͤhenden Thalen beyſam-
men?
Oder in Hainen vereint?
Leitet
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |