[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Oden. Hamburg, 1771.An Bodmer. Der die Schickungen lenkt, heisset den frömmsten Wunsch, Mancher Seligkeit goldnes Bild Oft verwehen, und ruft da Labyrinth hervor, Wo ein Sterblicher gehen will. In die Fernen hinaus sieht, der Unendlichkeit Uns unsichtbaren Schauplatz, Gott! Ach, sie finden sich nicht, die für einander doch, Und zur Liebe geschäffen sind. Jetzo trennet die Nacht fernerer Himmel sie, Jetzo lange Jahrhunderte. Niemals sah dich mein Blick, Sokrates-Addison, Niemals lehrte dein Mund mich selbst. Niemals lächelte mir Singer, der Lebenden Und der Todten Gesellerinn. Auch dich werd ich nicht sehn, der du in jener Zeit, Wenn ich lange gestorben bin, Für mein Herze gemacht, und mir der ähnlichste, Nach mir einmal auch seufzen wirst, Auch dich werd ich nicht sehn, wie du dein Leben lebst, Werd ich einst nicht dein Genius. Also ordnet es Gott, der in die Fernen sieht, Tiefer hin ins Unendliche! Oft erfüllet er auch, was das erzitternde Volle Herz kaum zu wünschen wagt. Wie von Träumen erwacht, sehn wir dann unser Glück, Sehns mit Augen, und glaubens kaum. Dieses Glücke ward mir, als ich das erstemal Bodmers Armen entgegen kam. Der F 4
An Bodmer. Der die Schickungen lenkt, heiſſet den froͤmmſten Wunſch, Mancher Seligkeit goldnes Bild Oft verwehen, und ruft da Labyrinth hervor, Wo ein Sterblicher gehen will. In die Fernen hinaus ſieht, der Unendlichkeit Uns unſichtbaren Schauplatz, Gott! Ach, ſie finden ſich nicht, die fuͤr einander doch, Und zur Liebe geſchaͤffen ſind. Jetzo trennet die Nacht fernerer Himmel ſie, Jetzo lange Jahrhunderte. Niemals ſah dich mein Blick, Sokrates-Addiſon, Niemals lehrte dein Mund mich ſelbſt. Niemals laͤchelte mir Singer, der Lebenden Und der Todten Geſellerinn. Auch dich werd ich nicht ſehn, der du in jener Zeit, Wenn ich lange geſtorben bin, Fuͤr mein Herze gemacht, und mir der aͤhnlichſte, Nach mir einmal auch ſeufzen wirſt, Auch dich werd ich nicht ſehn, wie du dein Leben lebſt, Werd ich einſt nicht dein Genius. Alſo ordnet es Gott, der in die Fernen ſieht, Tiefer hin ins Unendliche! Oft erfuͤllet er auch, was das erzitternde Volle Herz kaum zu wuͤnſchen wagt. Wie von Traͤumen erwacht, ſehn wir dann unſer Gluͤck, Sehns mit Augen, und glaubens kaum. Dieſes Gluͤcke ward mir, als ich das erſtemal Bodmers Armen entgegen kam. Der F 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0095" n="87"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">An Bodmer.</hi> </head><lb/> <lg> <lg type="poem"> <l>Der die Schickungen lenkt, heiſſet den froͤmmſten<lb/><hi rendition="#et">Wunſch,</hi></l><lb/> <l>Mancher Seligkeit goldnes Bild</l><lb/> <l>Oft verwehen, und ruft da Labyrinth hervor,</l><lb/> <l>Wo ein Sterblicher gehen will.</l><lb/> <l>In die Fernen hinaus ſieht, der Unendlichkeit</l><lb/> <l>Uns unſichtbaren Schauplatz, Gott!</l><lb/> <l>Ach, ſie finden ſich nicht, die fuͤr einander doch,</l><lb/> <l>Und zur Liebe geſchaͤffen ſind.</l><lb/> <l>Jetzo trennet die Nacht fernerer Himmel ſie,</l><lb/> <l>Jetzo lange Jahrhunderte.</l><lb/> <l>Niemals ſah dich mein Blick, Sokrates-Addiſon,</l><lb/> <l>Niemals lehrte dein Mund mich ſelbſt.</l><lb/> <l>Niemals laͤchelte mir Singer, der Lebenden</l><lb/> <l>Und der Todten Geſellerinn.</l><lb/> <l>Auch dich werd ich nicht ſehn, der du in jener Zeit,</l><lb/> <l>Wenn ich lange geſtorben bin,</l><lb/> <l>Fuͤr mein Herze gemacht, und mir der aͤhnlichſte,</l><lb/> <l>Nach mir einmal auch ſeufzen wirſt,</l><lb/> <l>Auch dich werd ich nicht ſehn, wie du dein Leben lebſt,</l><lb/> <l>Werd ich einſt nicht dein Genius.</l><lb/> <l>Alſo ordnet es Gott, der in die Fernen ſieht,</l><lb/> <l>Tiefer hin ins Unendliche!</l><lb/> <l>Oft erfuͤllet er auch, was das erzitternde</l><lb/> <l>Volle Herz kaum zu wuͤnſchen wagt.</l><lb/> <l>Wie von Traͤumen erwacht, ſehn wir dann unſer Gluͤck,</l><lb/> <l>Sehns mit Augen, und glaubens kaum.</l><lb/> <l>Dieſes Gluͤcke ward mir, als ich das erſtemal</l><lb/> <l>Bodmers Armen entgegen kam.</l> </lg> </lg> </div><lb/> <fw place="bottom" type="sig">F 4</fw> <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Der</hi> </fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [87/0095]
An Bodmer.
Der die Schickungen lenkt, heiſſet den froͤmmſten
Wunſch,
Mancher Seligkeit goldnes Bild
Oft verwehen, und ruft da Labyrinth hervor,
Wo ein Sterblicher gehen will.
In die Fernen hinaus ſieht, der Unendlichkeit
Uns unſichtbaren Schauplatz, Gott!
Ach, ſie finden ſich nicht, die fuͤr einander doch,
Und zur Liebe geſchaͤffen ſind.
Jetzo trennet die Nacht fernerer Himmel ſie,
Jetzo lange Jahrhunderte.
Niemals ſah dich mein Blick, Sokrates-Addiſon,
Niemals lehrte dein Mund mich ſelbſt.
Niemals laͤchelte mir Singer, der Lebenden
Und der Todten Geſellerinn.
Auch dich werd ich nicht ſehn, der du in jener Zeit,
Wenn ich lange geſtorben bin,
Fuͤr mein Herze gemacht, und mir der aͤhnlichſte,
Nach mir einmal auch ſeufzen wirſt,
Auch dich werd ich nicht ſehn, wie du dein Leben lebſt,
Werd ich einſt nicht dein Genius.
Alſo ordnet es Gott, der in die Fernen ſieht,
Tiefer hin ins Unendliche!
Oft erfuͤllet er auch, was das erzitternde
Volle Herz kaum zu wuͤnſchen wagt.
Wie von Traͤumen erwacht, ſehn wir dann unſer Gluͤck,
Sehns mit Augen, und glaubens kaum.
Dieſes Gluͤcke ward mir, als ich das erſtemal
Bodmers Armen entgegen kam.
Der
F 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |