unterscheidet, und nur dem Wollüstling ein Rätsel, dem Epikurer ein Märchen ist. So fanden sich Yorik und Elisa -- Petrarch und Laura -- Abeillard und Heloise. Jhre Liebe war nicht der vorübergehende Rausch der Wollust, sie war das feste unauflösliche Band, was ihre Seelen knüpften, und nur durch Trennung hie- nieden konnte aufgelöset werden. So war auch die Liebe Ferdinands und Juliens, schuldlos und rein, von keiner strafbaren Lust entweiht.
Sie sahen sich, empfanden für einander, was noch keine Sprache auszudrükken vermocht, und sehnten sich nach dem Augenblik, sich das sagen zu können, was ihnen selbst unerklärbar im Busen glühte, und hervordringen wollte. Dieser Augenblik kam -- wozu ihn zeichnen, da bei solchen Gegenständen der Pinsel das doch nur immer halb ausdrükken kann, was selbst will gesehen und empfunden sein?
So verborgen auch diese Liebe schlummerte, so ward sie doch bald durch einen Nebenbuler ge- wekket, der das ganze Gebäude von Glük auf Ein- mal zertrümmerte, welches sich unsere Liebenden so oft in einer wonnevollen Stunde gegründet hatten. Juliens Vater sah sich in dem Besizze
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unterſcheidet, und nur dem Wolluͤſtling ein Raͤtſel, dem Epikurer ein Maͤrchen iſt. So fanden ſich Yorik und Eliſa — Petrarch und Laura — Abeillard und Heloiſe. Jhre Liebe war nicht der voruͤbergehende Rauſch der Wolluſt, ſie war das feſte unaufloͤsliche Band, was ihre Seelen knuͤpften, und nur durch Trennung hie- nieden konnte aufgeloͤſet werden. So war auch die Liebe Ferdinands und Juliens, ſchuldlos und rein, von keiner ſtrafbaren Luſt entweiht.
Sie ſahen ſich, empfanden fuͤr einander, was noch keine Sprache auszudruͤkken vermocht, und ſehnten ſich nach dem Augenblik, ſich das ſagen zu koͤnnen, was ihnen ſelbſt unerklaͤrbar im Buſen gluͤhte, und hervordringen wollte. Dieſer Augenblik kam — wozu ihn zeichnen, da bei ſolchen Gegenſtaͤnden der Pinſel das doch nur immer halb ausdruͤkken kann, was ſelbſt will geſehen und empfunden ſein?
So verborgen auch dieſe Liebe ſchlummerte, ſo ward ſie doch bald durch einen Nebenbuler ge- wekket, der das ganze Gebaͤude von Gluͤk auf Ein- mal zertruͤmmerte, welches ſich unſere Liebenden ſo oft in einer wonnevollen Stunde gegruͤndet hatten. Juliens Vater ſah ſich in dem Beſizze
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unterſcheidet, und nur dem Wolluͤſtling ein
Raͤtſel, dem Epikurer ein Maͤrchen iſt. So
fanden ſich Yorik und Eliſa — Petrarch und
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war nicht der voruͤbergehende Rauſch der Wolluſt,
ſie war das feſte unaufloͤsliche Band, was ihre
Seelen knuͤpften, und nur durch Trennung hie-
nieden konnte aufgeloͤſet werden. So war auch
die Liebe Ferdinands und Juliens, ſchuldlos
und rein, von keiner ſtrafbaren Luſt entweiht.
Sie ſahen ſich, empfanden fuͤr einander, was
noch keine Sprache auszudruͤkken vermocht, und
ſehnten ſich nach dem Augenblik, ſich das ſagen
zu koͤnnen, was ihnen ſelbſt unerklaͤrbar im
Buſen gluͤhte, und hervordringen wollte.
Dieſer Augenblik kam — wozu ihn zeichnen,
da bei ſolchen Gegenſtaͤnden der Pinſel das doch
nur immer halb ausdruͤkken kann, was ſelbſt will
geſehen und empfunden ſein?
So verborgen auch dieſe Liebe ſchlummerte,
ſo ward ſie doch bald durch einen Nebenbuler ge-
wekket, der das ganze Gebaͤude von Gluͤk auf Ein-
mal zertruͤmmerte, welches ſich unſere Liebenden
ſo oft in einer wonnevollen Stunde gegruͤndet
hatten. Juliens Vater ſah ſich in dem Beſizze
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/91>, abgerufen am 17.06.2024.
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