Julie ward das unglükliche Weib eines Nichtswürdigen -- Er legte bald die Larve ab, ließ sie im Elend, belegte sie mit tausend Arten von Kränkungen, und ging seinen Lüsten, sei- nen Begierden nach, und sie vertrauerte ihr Le- ben, duldete schwere Leiden der Seele, die gegen körperliche Schmerzen ein Nichts sind. Zwei ganze lange Jahre währten diese Leiden, da erhörte die Vorsicht ihre Wünsche, ein schlei- chendes Fieber vertroknete ihre Lebenssäfte, sie starb, so wie sie gelebt hatte, starb mit vollem hingehefteten Auge zu ihrem Vater dort oben, und er sandte seiner Diener Einen, sie durch das lange Thal des Todes in Elisium einzuführen. --
Möchte doch ihr Schiksal allen Aeltern eine Lehre sein, die so gewissenlos mit dem Schiksal ihrer Kinder umgehen! denn was ist schreklicher in der Natur, als daß diejenigen die mir das Dasein gaben, mich auch zwingen dieses Dasein zu verfluchen?
Für euch aber fühlende Seelen! die ich in mein Auge legte, da ich dieses schrieb, will ich noch ein Fragmeut hinzufügen; es sind Briefe Juliens an ihre Freundin Caroline in B .. Jch theile sie euch mit, und glaube, ihr werdets
F 4
Julie ward das ungluͤkliche Weib eines Nichtswuͤrdigen — Er legte bald die Larve ab, ließ ſie im Elend, belegte ſie mit tauſend Arten von Kraͤnkungen, und ging ſeinen Luͤſten, ſei- nen Begierden nach, und ſie vertrauerte ihr Le- ben, duldete ſchwere Leiden der Seele, die gegen koͤrperliche Schmerzen ein Nichts ſind. Zwei ganze lange Jahre waͤhrten dieſe Leiden, da erhoͤrte die Vorſicht ihre Wuͤnſche, ein ſchlei- chendes Fieber vertroknete ihre Lebensſaͤfte, ſie ſtarb, ſo wie ſie gelebt hatte, ſtarb mit vollem hingehefteten Auge zu ihrem Vater dort oben, und er ſandte ſeiner Diener Einen, ſie durch das lange Thal des Todes in Eliſium einzufuͤhren. —
Moͤchte doch ihr Schikſal allen Aeltern eine Lehre ſein, die ſo gewiſſenlos mit dem Schikſal ihrer Kinder umgehen! denn was iſt ſchreklicher in der Natur, als daß diejenigen die mir das Daſein gaben, mich auch zwingen dieſes Daſein zu verfluchen?
Fuͤr euch aber fuͤhlende Seelen! die ich in mein Auge legte, da ich dieſes ſchrieb, will ich noch ein Fragmeut hinzufuͤgen; es ſind Briefe Juliens an ihre Freundin Caroline in B .. Jch theile ſie euch mit, und glaube, ihr werdets
F 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0095"n="87"/><p><hirendition="#fr">Julie</hi> ward das ungluͤkliche Weib eines<lb/>
Nichtswuͤrdigen — Er legte bald die Larve ab,<lb/>
ließ ſie im Elend, belegte ſie mit tauſend Arten<lb/>
von Kraͤnkungen, und ging ſeinen Luͤſten, ſei-<lb/>
nen Begierden nach, und ſie vertrauerte ihr Le-<lb/>
ben, duldete ſchwere Leiden der Seele, die gegen<lb/>
koͤrperliche Schmerzen ein Nichts ſind. Zwei<lb/>
ganze lange Jahre waͤhrten dieſe Leiden, da<lb/>
erhoͤrte die Vorſicht ihre Wuͤnſche, ein ſchlei-<lb/>
chendes Fieber vertroknete ihre Lebensſaͤfte, ſie<lb/>ſtarb, ſo wie ſie gelebt hatte, ſtarb mit vollem<lb/>
hingehefteten Auge zu ihrem Vater dort oben,<lb/>
und er ſandte ſeiner Diener Einen, ſie durch das<lb/>
lange Thal des Todes in Eliſium einzufuͤhren. —</p><lb/><p>Moͤchte doch ihr Schikſal allen Aeltern eine<lb/>
Lehre ſein, die ſo gewiſſenlos mit dem Schikſal<lb/>
ihrer Kinder umgehen! denn was iſt ſchreklicher<lb/>
in der Natur, als <hirendition="#fr">daß diejenigen die mir das<lb/>
Daſein gaben, mich auch zwingen dieſes<lb/>
Daſein zu verfluchen?</hi></p><lb/><p><hirendition="#fr">Fuͤr euch</hi> aber <hirendition="#fr">fuͤhlende Seelen!</hi> die ich in<lb/>
mein Auge legte, da ich dieſes ſchrieb, will ich<lb/>
noch ein <hirendition="#fr">Fragmeut</hi> hinzufuͤgen; es ſind <hirendition="#fr">Briefe<lb/>
Juliens an ihre Freundin Caroline in B ..</hi><lb/>
Jch theile ſie euch mit, und glaube, ihr werdets<lb/><fwplace="bottom"type="sig">F 4</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[87/0095]
Julie ward das ungluͤkliche Weib eines
Nichtswuͤrdigen — Er legte bald die Larve ab,
ließ ſie im Elend, belegte ſie mit tauſend Arten
von Kraͤnkungen, und ging ſeinen Luͤſten, ſei-
nen Begierden nach, und ſie vertrauerte ihr Le-
ben, duldete ſchwere Leiden der Seele, die gegen
koͤrperliche Schmerzen ein Nichts ſind. Zwei
ganze lange Jahre waͤhrten dieſe Leiden, da
erhoͤrte die Vorſicht ihre Wuͤnſche, ein ſchlei-
chendes Fieber vertroknete ihre Lebensſaͤfte, ſie
ſtarb, ſo wie ſie gelebt hatte, ſtarb mit vollem
hingehefteten Auge zu ihrem Vater dort oben,
und er ſandte ſeiner Diener Einen, ſie durch das
lange Thal des Todes in Eliſium einzufuͤhren. —
Moͤchte doch ihr Schikſal allen Aeltern eine
Lehre ſein, die ſo gewiſſenlos mit dem Schikſal
ihrer Kinder umgehen! denn was iſt ſchreklicher
in der Natur, als daß diejenigen die mir das
Daſein gaben, mich auch zwingen dieſes
Daſein zu verfluchen?
Fuͤr euch aber fuͤhlende Seelen! die ich in
mein Auge legte, da ich dieſes ſchrieb, will ich
noch ein Fragmeut hinzufuͤgen; es ſind Briefe
Juliens an ihre Freundin Caroline in B ..
Jch theile ſie euch mit, und glaube, ihr werdets
F 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/95>, abgerufen am 18.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.