Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.näherstehenden Freunden. In meiner eigenen Gemeinde hatte ich, abgesehen von den äusseren Angelegenheiten und den zahlreichen Unterrichtsstunden, Arbeit genug. Der Bevölkerungszuwachs durch Einwanderung ging stetig fort und es war viel population flottante darunter, die Mühe und Noth machte. Um den Überblick über alle prot. Gemeindeglieder nicht zu verlieren, musste ich mir ein Familienregister anlegen und dasselbe sorgfältig evident halten. Dadurch und durch persönlichen Verkehr war es mir möglich, die ganze Gemeinde mir stets gegenwärtig zu halten und alle ihre Glieder zu kennen. Ich kannte sie schliesslich ziemlich ausnahmslos Alle nach Zunamen, Vornamen und Spitznamen, nach Kinderzahl und Verwandtschaft, nach Heimath und Charakter u.s.w.; die Bergleute besonders noch mit ihrem Sonntagsgesichte und ihrem kohlengeschwärzten Werktagsgesichte. Wie ich mir auf der Bürgermeisterei manche Notizen holte, so konnte ich der Bürgermeisterei auch wieder mancherlei Aufschlüsse geben. Ich habe später meinen Kollegen oft den Rath gegeben, sich diese detaillierte Kenntnis ihrer Gemeindeglieder zu erwerben. Sie ist für die gesamte pfarramtliche Thätigkeit nöthig. Der Einblick in das innere Leben ist ohne Kenntnis der äusseren Lebensverhältnisse nicht möglich und praktischen guthen Rath kann man nur dem geben, dessen Lage man genau durchschaut. Zu meinem grossen Leidwesen standen viele Gemeindeglieder noch in Opposition zum neuen Gesangbuche. Die alten Gegner wurden verstärkt durch neue pfälzische Einwanderer, welche ihre alten Gesangbücher mitbrachten, und wurden von aussen z.B. durch Zweibrücker Advokaten und sonstige liberale Führer aufgestachelt. So kam zu Ende der 60er Jahre eine Petition um Beseitigung des Buches zu stande, welche viele Unterschriften trug, allerdings nicht die der Mehrzahl aller Familienväter. Ich stemmte mich den Petenten fest entgegen und liess ihr Gesuch, weil es unbegründet und nicht ausreichend unterstützt sei, unter den Tisch fallen. Einen tiefen Eindruck aber machte es auf die Gemeinde, dass nach kurzer Frist die unterschriftlich an der Spitze stehenden Männer verdorben und zum Theil jäh gestorben waren. näherstehenden Freunden. In meiner eigenen Gemeinde hatte ich, abgesehen von den äusseren Angelegenheiten und den zahlreichen Unterrichtsstunden, Arbeit genug. Der Bevölkerungszuwachs durch Einwanderung ging stetig fort und es war viel population flottante darunter, die Mühe und Noth machte. Um den Überblick über alle prot. Gemeindeglieder nicht zu verlieren, musste ich mir ein Familienregister anlegen und dasselbe sorgfältig evident halten. Dadurch und durch persönlichen Verkehr war es mir möglich, die ganze Gemeinde mir stets gegenwärtig zu halten und alle ihre Glieder zu kennen. Ich kannte sie schliesslich ziemlich ausnahmslos Alle nach Zunamen, Vornamen und Spitznamen, nach Kinderzahl und Verwandtschaft, nach Heimath und Charakter u.s.w.; die Bergleute besonders noch mit ihrem Sonntagsgesichte und ihrem kohlengeschwärzten Werktagsgesichte. Wie ich mir auf der Bürgermeisterei manche Notizen holte, so konnte ich der Bürgermeisterei auch wieder mancherlei Aufschlüsse geben. Ich habe später meinen Kollegen oft den Rath gegeben, sich diese detaillierte Kenntnis ihrer Gemeindeglieder zu erwerben. Sie ist für die gesamte pfarramtliche Thätigkeit nöthig. Der Einblick in das innere Leben ist ohne Kenntnis der äusseren Lebensverhältnisse nicht möglich und praktischen guthen Rath kann man nur dem geben, dessen Lage man genau durchschaut. Zu meinem grossen Leidwesen standen viele Gemeindeglieder noch in Opposition zum neuen Gesangbuche. Die alten Gegner wurden verstärkt durch neue pfälzische Einwanderer, welche ihre alten Gesangbücher mitbrachten, und wurden von aussen z.B. durch Zweibrücker Advokaten und sonstige liberale Führer aufgestachelt. So kam zu Ende der 60er Jahre eine Petition um Beseitigung des Buches zu stande, welche viele Unterschriften trug, allerdings nicht die der Mehrzahl aller Familienväter. Ich stemmte mich den Petenten fest entgegen und liess ihr Gesuch, weil es unbegründet und nicht ausreichend unterstützt sei, unter den Tisch fallen. Einen tiefen Eindruck aber machte es auf die Gemeinde, dass nach kurzer Frist die unterschriftlich an der Spitze stehenden Männer verdorben und zum Theil jäh gestorben waren. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0087" n="87"/> näherstehenden Freunden.</p> <p>In meiner eigenen Gemeinde hatte ich, abgesehen von den äusseren Angelegenheiten und den zahlreichen Unterrichtsstunden, Arbeit genug. Der Bevölkerungszuwachs durch Einwanderung ging stetig fort und es war viel population flottante darunter, die Mühe und Noth machte. Um den Überblick über alle prot. Gemeindeglieder nicht zu verlieren, musste ich mir ein Familienregister anlegen und dasselbe sorgfältig evident halten. Dadurch und durch persönlichen Verkehr war es mir möglich, die ganze Gemeinde mir stets gegenwärtig zu halten und alle ihre Glieder zu kennen. Ich kannte sie schliesslich ziemlich ausnahmslos Alle nach Zunamen, Vornamen und Spitznamen, nach Kinderzahl und Verwandtschaft, nach Heimath und Charakter u.s.w.; die Bergleute besonders noch mit ihrem Sonntagsgesichte und ihrem kohlengeschwärzten Werktagsgesichte. Wie ich mir auf der Bürgermeisterei manche Notizen holte, so konnte ich der Bürgermeisterei auch wieder mancherlei Aufschlüsse geben. Ich habe später meinen Kollegen oft den Rath gegeben, sich diese detaillierte Kenntnis ihrer Gemeindeglieder zu erwerben. Sie ist für die gesamte pfarramtliche Thätigkeit nöthig. Der Einblick in das innere Leben ist ohne Kenntnis der äusseren Lebensverhältnisse nicht möglich und praktischen guthen Rath kann man nur dem geben, dessen Lage man genau durchschaut.</p> <p>Zu meinem grossen Leidwesen standen viele Gemeindeglieder noch in Opposition zum neuen Gesangbuche. Die alten Gegner wurden verstärkt durch neue pfälzische Einwanderer, welche ihre alten Gesangbücher mitbrachten, und wurden von aussen z.B. durch Zweibrücker Advokaten und sonstige liberale Führer aufgestachelt. So kam zu Ende der 60er Jahre eine Petition um Beseitigung des Buches zu stande, welche viele Unterschriften trug, allerdings nicht die der Mehrzahl aller Familienväter. Ich stemmte mich den Petenten fest entgegen und liess ihr Gesuch, weil es unbegründet und nicht ausreichend unterstützt sei, unter den Tisch fallen. Einen tiefen Eindruck aber machte es auf die Gemeinde, dass nach kurzer Frist die unterschriftlich an der Spitze stehenden Männer verdorben und zum Theil jäh gestorben waren. </p> </div> </body> </text> </TEI> [87/0087]
näherstehenden Freunden.
In meiner eigenen Gemeinde hatte ich, abgesehen von den äusseren Angelegenheiten und den zahlreichen Unterrichtsstunden, Arbeit genug. Der Bevölkerungszuwachs durch Einwanderung ging stetig fort und es war viel population flottante darunter, die Mühe und Noth machte. Um den Überblick über alle prot. Gemeindeglieder nicht zu verlieren, musste ich mir ein Familienregister anlegen und dasselbe sorgfältig evident halten. Dadurch und durch persönlichen Verkehr war es mir möglich, die ganze Gemeinde mir stets gegenwärtig zu halten und alle ihre Glieder zu kennen. Ich kannte sie schliesslich ziemlich ausnahmslos Alle nach Zunamen, Vornamen und Spitznamen, nach Kinderzahl und Verwandtschaft, nach Heimath und Charakter u.s.w.; die Bergleute besonders noch mit ihrem Sonntagsgesichte und ihrem kohlengeschwärzten Werktagsgesichte. Wie ich mir auf der Bürgermeisterei manche Notizen holte, so konnte ich der Bürgermeisterei auch wieder mancherlei Aufschlüsse geben. Ich habe später meinen Kollegen oft den Rath gegeben, sich diese detaillierte Kenntnis ihrer Gemeindeglieder zu erwerben. Sie ist für die gesamte pfarramtliche Thätigkeit nöthig. Der Einblick in das innere Leben ist ohne Kenntnis der äusseren Lebensverhältnisse nicht möglich und praktischen guthen Rath kann man nur dem geben, dessen Lage man genau durchschaut.
Zu meinem grossen Leidwesen standen viele Gemeindeglieder noch in Opposition zum neuen Gesangbuche. Die alten Gegner wurden verstärkt durch neue pfälzische Einwanderer, welche ihre alten Gesangbücher mitbrachten, und wurden von aussen z.B. durch Zweibrücker Advokaten und sonstige liberale Führer aufgestachelt. So kam zu Ende der 60er Jahre eine Petition um Beseitigung des Buches zu stande, welche viele Unterschriften trug, allerdings nicht die der Mehrzahl aller Familienväter. Ich stemmte mich den Petenten fest entgegen und liess ihr Gesuch, weil es unbegründet und nicht ausreichend unterstützt sei, unter den Tisch fallen. Einen tiefen Eindruck aber machte es auf die Gemeinde, dass nach kurzer Frist die unterschriftlich an der Spitze stehenden Männer verdorben und zum Theil jäh gestorben waren.
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