Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.Regierungsrath Graf Fugger begegnet; mit seiner Hilfe kam ich vor und wurde mein Ansuchen bewilligt. Während meine Sachen bereit gestellt wurden, half ich, wo man mich brauchen konnte. Es war am 20. oder 21. August. Eben fuhr ein Zug mit 3000 französischen Gefangenen ein, 60 gefangene Offiziere einen General an der Spitze, hatte ich schon im Lokomotivschuppen gesehen. Die Gefangenen wurden gespeist: warme Reissuppe ad libitum, dazu reichlich Brod mit Rindfleisch. Kaum ist der Zug fort, kommt ein Reihenzug mit Verwundeten. Die nicht weiter transportabeln werden in Lazarethe gebracht, die übrigen erquickt: wieder Reissuppe ad libitum (Einer nahm 4 volle Teller an), dazu Rindfleisch mit Schwarzbrod, dann noch weissbrod mit Schinken und pro Kopf 2 Cigarren. Dazwischen fuhr ein Munitionszug ab, ein Zug mit Truppen wurde angemeldet, dann kamen wieder Verwundete, drüben kam ein Zug über Trier mit aus Paris ausgewiesenen Deutschen jeden Alters und Geschlechts, dort wurde ein Sanitätszug fertig gestellt, der ausser Material ungezählte Ärzte und Pfleger aufnahm: Diakonissen, barmherzige Schwestern, Ordensbrüder, klein und grosse Sanitätskorps in allen möglichen Uniformen. So kam und ging es die 3 Stunden bis ich meine Sachen übernehmen und fortbringen konnte. Die Riesenvorräthe des Johanniterdepots beruhigten mich hinsichtlich der Verpflegung unserer und anderer Verwundeten. Daheim wartete neue Arbeit. Unsere industriellen Werke standen still. Der Verdienst fehlte den Arbeitern. Der Bahnbetrieb war eingestellt, die Zufuhren fehlten. Die Umgebung von St. Ingbert, meist Wald, bietet wenig Nahrungsmittel. Die starken Durchmärsche hatten die Vorräthe aufgezehrt. Es fehlte in vielen und immer mehr Familien an Nahrung. Dem Pfarrer kamen die Klagen immer häufiger und dringender vor die Ohren. Die Behörden regten sich nicht. Da bildeten wir ein Hilfskomitee, erliessen weithin einen Nothruf und organisierten die Vertheilung von Nahrungsmitteln an die Nothleidenden. Es war keine kleine Arbeit, die Liste der zu unterstützenden aufzustellen und die Quote von Lebensmitteln je nach der Kopfzahl der Familien und sonstiger Verhältnisse festzusetzen. Mir fiel die Hauptarbeit zu, obgleich Regierungsrath Graf Fugger begegnet; mit seiner Hilfe kam ich vor und wurde mein Ansuchen bewilligt. Während meine Sachen bereit gestellt wurden, half ich, wo man mich brauchen konnte. Es war am 20. oder 21. August. Eben fuhr ein Zug mit 3000 französischen Gefangenen ein, 60 gefangene Offiziere einen General an der Spitze, hatte ich schon im Lokomotivschuppen gesehen. Die Gefangenen wurden gespeist: warme Reissuppe ad libitum, dazu reichlich Brod mit Rindfleisch. Kaum ist der Zug fort, kommt ein Reihenzug mit Verwundeten. Die nicht weiter transportabeln werden in Lazarethe gebracht, die übrigen erquickt: wieder Reissuppe ad libitum (Einer nahm 4 volle Teller an), dazu Rindfleisch mit Schwarzbrod, dann noch weissbrod mit Schinken und pro Kopf 2 Cigarren. Dazwischen fuhr ein Munitionszug ab, ein Zug mit Truppen wurde angemeldet, dann kamen wieder Verwundete, drüben kam ein Zug über Trier mit aus Paris ausgewiesenen Deutschen jeden Alters und Geschlechts, dort wurde ein Sanitätszug fertig gestellt, der ausser Material ungezählte Ärzte und Pfleger aufnahm: Diakonissen, barmherzige Schwestern, Ordensbrüder, klein und grosse Sanitätskorps in allen möglichen Uniformen. So kam und ging es die 3 Stunden bis ich meine Sachen übernehmen und fortbringen konnte. Die Riesenvorräthe des Johanniterdepots beruhigten mich hinsichtlich der Verpflegung unserer und anderer Verwundeten. Daheim wartete neue Arbeit. Unsere industriellen Werke standen still. Der Verdienst fehlte den Arbeitern. Der Bahnbetrieb war eingestellt, die Zufuhren fehlten. Die Umgebung von St. Ingbert, meist Wald, bietet wenig Nahrungsmittel. Die starken Durchmärsche hatten die Vorräthe aufgezehrt. Es fehlte in vielen und immer mehr Familien an Nahrung. Dem Pfarrer kamen die Klagen immer häufiger und dringender vor die Ohren. Die Behörden regten sich nicht. Da bildeten wir ein Hilfskomitee, erliessen weithin einen Nothruf und organisierten die Vertheilung von Nahrungsmitteln an die Nothleidenden. Es war keine kleine Arbeit, die Liste der zu unterstützenden aufzustellen und die Quote von Lebensmitteln je nach der Kopfzahl der Familien und sonstiger Verhältnisse festzusetzen. Mir fiel die Hauptarbeit zu, obgleich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0097" n="97"/> Regierungsrath Graf Fugger begegnet; mit seiner Hilfe kam ich vor und wurde mein Ansuchen bewilligt. Während meine Sachen bereit gestellt wurden, half ich, wo man mich brauchen konnte. Es war am 20. oder 21. August. Eben fuhr ein Zug mit 3000 französischen Gefangenen ein, 60 gefangene Offiziere einen General an der Spitze, hatte ich schon im Lokomotivschuppen gesehen. Die Gefangenen wurden gespeist: warme Reissuppe ad libitum, dazu reichlich Brod mit Rindfleisch. Kaum ist der Zug fort, kommt ein Reihenzug mit Verwundeten. Die nicht weiter transportabeln werden in Lazarethe gebracht, die übrigen erquickt: wieder Reissuppe ad libitum (Einer nahm 4 volle Teller an), dazu Rindfleisch mit Schwarzbrod, dann noch weissbrod mit Schinken und pro Kopf 2 Cigarren. Dazwischen fuhr ein Munitionszug ab, ein Zug mit Truppen wurde angemeldet, dann kamen wieder Verwundete, drüben kam ein Zug über Trier mit aus Paris ausgewiesenen Deutschen jeden Alters und Geschlechts, dort wurde ein Sanitätszug fertig gestellt, der ausser Material ungezählte Ärzte und Pfleger aufnahm: Diakonissen, barmherzige Schwestern, Ordensbrüder, klein und grosse Sanitätskorps in allen möglichen Uniformen. So kam und ging es die 3 Stunden bis ich meine Sachen übernehmen und fortbringen konnte. Die Riesenvorräthe des Johanniterdepots beruhigten mich hinsichtlich der Verpflegung unserer und anderer Verwundeten.</p> <p>Daheim wartete neue Arbeit. Unsere industriellen Werke standen still. Der Verdienst fehlte den Arbeitern. Der Bahnbetrieb war eingestellt, die Zufuhren fehlten. Die Umgebung von St. Ingbert, meist Wald, bietet wenig Nahrungsmittel. Die starken Durchmärsche hatten die Vorräthe aufgezehrt. Es fehlte in vielen und immer mehr Familien an Nahrung. Dem Pfarrer kamen die Klagen immer häufiger und dringender vor die Ohren. Die Behörden regten sich nicht.</p> <p>Da bildeten wir ein Hilfskomitee, erliessen weithin einen Nothruf und organisierten die Vertheilung von Nahrungsmitteln an die Nothleidenden. Es war keine kleine Arbeit, die Liste der zu unterstützenden aufzustellen und die Quote von Lebensmitteln je nach der Kopfzahl der Familien und sonstiger Verhältnisse festzusetzen. Mir fiel die Hauptarbeit zu, obgleich </p> </div> </body> </text> </TEI> [97/0097]
Regierungsrath Graf Fugger begegnet; mit seiner Hilfe kam ich vor und wurde mein Ansuchen bewilligt. Während meine Sachen bereit gestellt wurden, half ich, wo man mich brauchen konnte. Es war am 20. oder 21. August. Eben fuhr ein Zug mit 3000 französischen Gefangenen ein, 60 gefangene Offiziere einen General an der Spitze, hatte ich schon im Lokomotivschuppen gesehen. Die Gefangenen wurden gespeist: warme Reissuppe ad libitum, dazu reichlich Brod mit Rindfleisch. Kaum ist der Zug fort, kommt ein Reihenzug mit Verwundeten. Die nicht weiter transportabeln werden in Lazarethe gebracht, die übrigen erquickt: wieder Reissuppe ad libitum (Einer nahm 4 volle Teller an), dazu Rindfleisch mit Schwarzbrod, dann noch weissbrod mit Schinken und pro Kopf 2 Cigarren. Dazwischen fuhr ein Munitionszug ab, ein Zug mit Truppen wurde angemeldet, dann kamen wieder Verwundete, drüben kam ein Zug über Trier mit aus Paris ausgewiesenen Deutschen jeden Alters und Geschlechts, dort wurde ein Sanitätszug fertig gestellt, der ausser Material ungezählte Ärzte und Pfleger aufnahm: Diakonissen, barmherzige Schwestern, Ordensbrüder, klein und grosse Sanitätskorps in allen möglichen Uniformen. So kam und ging es die 3 Stunden bis ich meine Sachen übernehmen und fortbringen konnte. Die Riesenvorräthe des Johanniterdepots beruhigten mich hinsichtlich der Verpflegung unserer und anderer Verwundeten.
Daheim wartete neue Arbeit. Unsere industriellen Werke standen still. Der Verdienst fehlte den Arbeitern. Der Bahnbetrieb war eingestellt, die Zufuhren fehlten. Die Umgebung von St. Ingbert, meist Wald, bietet wenig Nahrungsmittel. Die starken Durchmärsche hatten die Vorräthe aufgezehrt. Es fehlte in vielen und immer mehr Familien an Nahrung. Dem Pfarrer kamen die Klagen immer häufiger und dringender vor die Ohren. Die Behörden regten sich nicht.
Da bildeten wir ein Hilfskomitee, erliessen weithin einen Nothruf und organisierten die Vertheilung von Nahrungsmitteln an die Nothleidenden. Es war keine kleine Arbeit, die Liste der zu unterstützenden aufzustellen und die Quote von Lebensmitteln je nach der Kopfzahl der Familien und sonstiger Verhältnisse festzusetzen. Mir fiel die Hauptarbeit zu, obgleich
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