"Hol euch der Teufel!" rief er dann, und spritzte den Rest des Wassers zurück in das Flüßchen. Ein Glück, daß Tröpfchen wieder ins Wasser fiel, und noch dazu so schön rund, wie jemals. Da rann es weiter dahin und zerbrach sich den Kopf über das Heil der schaffenden Menschheit.
Am Morgen kam Tröpfchen durch ein Dorf. Der kleine Fluß war seicht geworden; Gänse und barfüßige Kinder wühlten den Schlamm auf, daß Tröpfchen nicht recht sehen konnte. Es schlüpfte in einen schmäleren Kanal und fand sich zwischen Bäumen und Gärten. Eben sprang es übermütig in die Höhe, um ein paar Sonnenrosen zu bewundern, die mit dummen Gesichtern herüberglotzten. Jn diesem Augenblick wurde es dunkel; Tröpfchen saß in einer Gießkanne, mit welcher eine Frau Wasser geschöpft hatte. Sie schritt auf das Haus zu, um die Blumen vor dem Fenster zu begießen, aber als sie eben beginnen wollte, bemerkte sie das Heran- rollen eines Wagens. Schnell trocknete sie die Hände an der Schürze und lief in das Haus. Die Gießkanne blieb unmittelbar unter dem offenen Fenster stehen.
Tröpfchen konnte nichts sehen als ein kleines Stück blauen Himmel und eine Ranke wilden Weines, die sich im Lichte dehnte. Aber nun hörte es etwas. Vom Fenster her erscholl ein Choral aus Kinderkehlen, dann die tiefere Stimme des Lehrers und regelmäßige Ant- worten im Chore.
Aha, dachte Tröpfchen, hier ist eine Schule, hier giebt es Bildung. Das wäre etwas für die Fichte!
Tröpfchen.
„Hol euch der Teufel!“ rief er dann, und ſpritzte den Reſt des Waſſers zurück in das Flüßchen. Ein Glück, daß Tröpfchen wieder ins Waſſer fiel, und noch dazu ſo ſchön rund, wie jemals. Da rann es weiter dahin und zerbrach ſich den Kopf über das Heil der ſchaffenden Menſchheit.
Am Morgen kam Tröpfchen durch ein Dorf. Der kleine Fluß war ſeicht geworden; Gänſe und barfüßige Kinder wühlten den Schlamm auf, daß Tröpfchen nicht recht ſehen konnte. Es ſchlüpfte in einen ſchmäleren Kanal und fand ſich zwiſchen Bäumen und Gärten. Eben ſprang es übermütig in die Höhe, um ein paar Sonnenroſen zu bewundern, die mit dummen Geſichtern herüberglotzten. Jn dieſem Augenblick wurde es dunkel; Tröpfchen ſaß in einer Gießkanne, mit welcher eine Frau Waſſer geſchöpft hatte. Sie ſchritt auf das Haus zu, um die Blumen vor dem Fenſter zu begießen, aber als ſie eben beginnen wollte, bemerkte ſie das Heran- rollen eines Wagens. Schnell trocknete ſie die Hände an der Schürze und lief in das Haus. Die Gießkanne blieb unmittelbar unter dem offenen Fenſter ſtehen.
Tröpfchen konnte nichts ſehen als ein kleines Stück blauen Himmel und eine Ranke wilden Weines, die ſich im Lichte dehnte. Aber nun hörte es etwas. Vom Fenſter her erſcholl ein Choral aus Kinderkehlen, dann die tiefere Stimme des Lehrers und regelmäßige Ant- worten im Chore.
Aha, dachte Tröpfchen, hier iſt eine Schule, hier giebt es Bildung. Das wäre etwas für die Fichte!
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Tröpfchen.
„Hol euch der Teufel!“ rief er dann, und ſpritzte
den Reſt des Waſſers zurück in das Flüßchen. Ein
Glück, daß Tröpfchen wieder ins Waſſer fiel, und noch
dazu ſo ſchön rund, wie jemals. Da rann es weiter
dahin und zerbrach ſich den Kopf über das Heil der
ſchaffenden Menſchheit.
Am Morgen kam Tröpfchen durch ein Dorf. Der
kleine Fluß war ſeicht geworden; Gänſe und barfüßige
Kinder wühlten den Schlamm auf, daß Tröpfchen nicht
recht ſehen konnte. Es ſchlüpfte in einen ſchmäleren
Kanal und fand ſich zwiſchen Bäumen und Gärten.
Eben ſprang es übermütig in die Höhe, um ein paar
Sonnenroſen zu bewundern, die mit dummen Geſichtern
herüberglotzten. Jn dieſem Augenblick wurde es dunkel;
Tröpfchen ſaß in einer Gießkanne, mit welcher eine
Frau Waſſer geſchöpft hatte. Sie ſchritt auf das Haus
zu, um die Blumen vor dem Fenſter zu begießen, aber
als ſie eben beginnen wollte, bemerkte ſie das Heran-
rollen eines Wagens. Schnell trocknete ſie die Hände
an der Schürze und lief in das Haus. Die Gießkanne
blieb unmittelbar unter dem offenen Fenſter ſtehen.
Tröpfchen konnte nichts ſehen als ein kleines Stück
blauen Himmel und eine Ranke wilden Weines, die
ſich im Lichte dehnte. Aber nun hörte es etwas. Vom
Fenſter her erſcholl ein Choral aus Kinderkehlen, dann
die tiefere Stimme des Lehrers und regelmäßige Ant-
worten im Chore.
Aha, dachte Tröpfchen, hier iſt eine Schule, hier
giebt es Bildung. Das wäre etwas für die Fichte!
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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/229>, abgerufen am 17.06.2024.
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