ich sprang über den niedrigen Gartenzaun und klopfte an das Fenster ihres Schlafzimmers. Ich hatte damals durch die offne Thür gesehen, daß sie neben jenem Zim¬ mer schlief, wo sie Clavier spielte. Durch den Fenster¬ laden hörte ich Geräusch. Um ihre Angst vor Dieben und dergleichen zu verscheuchen, sprach ich meinen Na¬ men durch die Ritzen hinein. Ein leiser Schrei und es ward geöffnet. Desdemona war im bunten türkischen Schlafrocke mit aufgelöstem Haar. Sie hatte diesen Abend die Lady Makbeth gespielt, noch erhitzt davon hatte sie keinen Schlaf gefunden, und im Shakespeare und meinen Briefen gelesen. Sie legte ihre Hände auf meine Arme und fragte mild: "Willst Du herein?" Entsetzt fuhr sie zurück, sie hatte in das kalte Blut ge¬ griffen, was auf meinem Aermel lag, und ich parodirte pathetisch die Lady: "All the parfums of Arabia shall not sweeten this little hand." -- Desdemona ver¬ ging fast vor Schmerz über mein Blut; ich mußte ei¬ len hineinzusteigen, um sie zu beruhigen. Sie war auf¬ gelös't und weinte unaufhörlich. Es war, als ob ein nächtlicher Sommerhimmel warm regne. "Unglücklicher, was ist Dir geschehn?" Mein Lachen tröstete sie noch immer nicht. Ich riß mit einigem Schmerz den Rock
ich ſprang über den niedrigen Gartenzaun und klopfte an das Fenſter ihres Schlafzimmers. Ich hatte damals durch die offne Thür geſehen, daß ſie neben jenem Zim¬ mer ſchlief, wo ſie Clavier ſpielte. Durch den Fenſter¬ laden hörte ich Geräuſch. Um ihre Angſt vor Dieben und dergleichen zu verſcheuchen, ſprach ich meinen Na¬ men durch die Ritzen hinein. Ein leiſer Schrei und es ward geöffnet. Desdemona war im bunten türkiſchen Schlafrocke mit aufgelöſtem Haar. Sie hatte dieſen Abend die Lady Makbeth geſpielt, noch erhitzt davon hatte ſie keinen Schlaf gefunden, und im Shakespeare und meinen Briefen geleſen. Sie legte ihre Hände auf meine Arme und fragte mild: „Willſt Du herein?“ Entſetzt fuhr ſie zurück, ſie hatte in das kalte Blut ge¬ griffen, was auf meinem Aermel lag, und ich parodirte pathetiſch die Lady: „All the parfums of Arabia shall not sweeten this little hand.“ — Desdemona ver¬ ging faſt vor Schmerz über mein Blut; ich mußte ei¬ len hineinzuſteigen, um ſie zu beruhigen. Sie war auf¬ gelöſ't und weinte unaufhörlich. Es war, als ob ein nächtlicher Sommerhimmel warm regne. „Unglücklicher, was iſt Dir geſchehn?“ Mein Lachen tröſtete ſie noch immer nicht. Ich riß mit einigem Schmerz den Rock
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ich ſprang über den niedrigen Gartenzaun und klopfte
an das Fenſter ihres Schlafzimmers. Ich hatte damals
durch die offne Thür geſehen, daß ſie neben jenem Zim¬
mer ſchlief, wo ſie Clavier ſpielte. Durch den Fenſter¬
laden hörte ich Geräuſch. Um ihre Angſt vor Dieben
und dergleichen zu verſcheuchen, ſprach ich meinen Na¬
men durch die Ritzen hinein. Ein leiſer Schrei und es
ward geöffnet. Desdemona war im bunten türkiſchen
Schlafrocke mit aufgelöſtem Haar. Sie hatte dieſen
Abend die Lady Makbeth geſpielt, noch erhitzt davon
hatte ſie keinen Schlaf gefunden, und im Shakespeare
und meinen Briefen geleſen. Sie legte ihre Hände auf
meine Arme und fragte mild: „Willſt Du herein?“
Entſetzt fuhr ſie zurück, ſie hatte in das kalte Blut ge¬
griffen, was auf meinem Aermel lag, und ich parodirte
pathetiſch die Lady: „All the parfums of Arabia shall
not sweeten this little hand.“ — Desdemona ver¬
ging faſt vor Schmerz über mein Blut; ich mußte ei¬
len hineinzuſteigen, um ſie zu beruhigen. Sie war auf¬
gelöſ't und weinte unaufhörlich. Es war, als ob ein
nächtlicher Sommerhimmel warm regne. „Unglücklicher,
was iſt Dir geſchehn?“ Mein Lachen tröſtete ſie noch
immer nicht. Ich riß mit einigem Schmerz den Rock
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/152>, abgerufen am 14.06.2024.
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