Was ist das für eine Figur? Mit Gott und der Welt ist sie zerfallen, vom Vater verstoßen, mit dem Theater unzufrieden, von der Geliebten betrogen, voll Durst nach Wein und Liebe, immer noch wohlgenährt aussehend, ohne einen einzigen Vers im Kopfe, geklei¬ det nach der letzten Mode, unschlüßig, ob er Theologe oder Theaterlampenputzer werden soll, voll Gährung und doch ruhig, oft im Begriff, sich nach classischen Mustern den Hals abzuschneiden und doch wieder zu vernünftig dazu -- kein Held, kein Held und doch manch Handwerkszeug dazu -- keine Geduld, kein ge¬ nügender Leichtsinn, keine Festigkeit, ein genialischer Charakter, auf der Bühne kalt lassend, im Roman sündhaft, -- meine Freunde, das ist eine Novellenfigur. Die Novelle ist die moderne Brücke von der früheren Zeit zu den jetzigen Begriffen, sie ist der Uebergang, die Form des Entstehens, Werdens, nicht des starren Seins. Jene Figur ist eine Novellenfigur, auf mein Wort. Niemand, ich sage Niemand soll mir widersprechen. Auch dies gehört dazu, daß mich jetzt sogar die Ortho¬ graphie peinigt, ich weiß nicht, ob ich Niemand, et¬ was etc. groß oder klein schreiben soll -- am liebsten schreib' ich Alles klein. Nun denkt Euch einen geist¬
Was iſt das für eine Figur? Mit Gott und der Welt iſt ſie zerfallen, vom Vater verſtoßen, mit dem Theater unzufrieden, von der Geliebten betrogen, voll Durſt nach Wein und Liebe, immer noch wohlgenährt ausſehend, ohne einen einzigen Vers im Kopfe, geklei¬ det nach der letzten Mode, unſchlüßig, ob er Theologe oder Theaterlampenputzer werden ſoll, voll Gährung und doch ruhig, oft im Begriff, ſich nach claſſiſchen Muſtern den Hals abzuſchneiden und doch wieder zu vernünftig dazu — kein Held, kein Held und doch manch Handwerkszeug dazu — keine Geduld, kein ge¬ nügender Leichtſinn, keine Feſtigkeit, ein genialiſcher Charakter, auf der Bühne kalt laſſend, im Roman ſündhaft, — meine Freunde, das iſt eine Novellenfigur. Die Novelle iſt die moderne Brücke von der früheren Zeit zu den jetzigen Begriffen, ſie iſt der Uebergang, die Form des Entſtehens, Werdens, nicht des ſtarren Seins. Jene Figur iſt eine Novellenfigur, auf mein Wort. Niemand, ich ſage Niemand ſoll mir widerſprechen. Auch dies gehört dazu, daß mich jetzt ſogar die Ortho¬ graphie peinigt, ich weiß nicht, ob ich Niemand, et¬ was ꝛc. groß oder klein ſchreiben ſoll — am liebſten ſchreib' ich Alles klein. Nun denkt Euch einen geiſt¬
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Was iſt das für eine Figur? Mit Gott und
der Welt iſt ſie zerfallen, vom Vater verſtoßen, mit dem
Theater unzufrieden, von der Geliebten betrogen, voll
Durſt nach Wein und Liebe, immer noch wohlgenährt
ausſehend, ohne einen einzigen Vers im Kopfe, geklei¬
det nach der letzten Mode, unſchlüßig, ob er Theologe
oder Theaterlampenputzer werden ſoll, voll Gährung
und doch ruhig, oft im Begriff, ſich nach claſſiſchen
Muſtern den Hals abzuſchneiden und doch wieder zu
vernünftig dazu — kein Held, kein Held und doch
manch Handwerkszeug dazu — keine Geduld, kein ge¬
nügender Leichtſinn, keine Feſtigkeit, ein genialiſcher
Charakter, auf der Bühne kalt laſſend, im Roman
ſündhaft, — meine Freunde, das iſt eine Novellenfigur.
Die Novelle iſt die moderne Brücke von der früheren
Zeit zu den jetzigen Begriffen, ſie iſt der Uebergang, die
Form des Entſtehens, Werdens, nicht des ſtarren Seins.
Jene Figur iſt eine Novellenfigur, auf mein Wort.
Niemand, ich ſage Niemand ſoll mir widerſprechen.
Auch dies gehört dazu, daß mich jetzt ſogar die Ortho¬
graphie peinigt, ich weiß nicht, ob ich Niemand, et¬
was ꝛc. groß oder klein ſchreiben ſoll — am liebſten
ſchreib' ich Alles klein. Nun denkt Euch einen geiſt¬
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/173>, abgerufen am 13.06.2024.
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