Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.Trefflichkeit aller Menschengestalten. Dadurch hat auch die schlechteste Physiognomie gegründeten Anspruch auf die Aufmerk- Also noch einmal: Jn jeder Menschenphysiognomie, so verdorben sie seyn mag, ist Jch habe die verruchtesten Menschen gesehen -- gesehen in den verruchtesten Augenblicken O Physiognomik! welche Bürgschaft bist du mir -- für die ewige Huld Gottes gegen die Also -- Forscher der Natur! forsche, was da ist! -- also Mensch -- sey Mensch in allen O Mensch, freue dich deß, was sich seines Daseyns freut, und dulde, was Gott Jtzt
Trefflichkeit aller Menſchengeſtalten. Dadurch hat auch die ſchlechteſte Phyſiognomie gegruͤndeten Anſpruch auf die Aufmerk- Alſo noch einmal: Jn jeder Menſchenphyſiognomie, ſo verdorben ſie ſeyn mag, iſt Jch habe die verruchteſten Menſchen geſehen — geſehen in den verruchteſten Augenblicken O Phyſiognomik! welche Buͤrgſchaft biſt du mir — fuͤr die ewige Huld Gottes gegen die Alſo — Forſcher der Natur! forſche, was da iſt! — alſo Menſch — ſey Menſch in allen O Menſch, freue dich deß, was ſich ſeines Daſeyns freut, und dulde, was Gott Jtzt
<TEI> <text> <body> <div n="2"> <pb facs="#f0053" n="31"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Trefflichkeit aller Menſchengeſtalten.</hi> </fw><lb/> <p>Dadurch hat auch die ſchlechteſte Phyſiognomie gegruͤndeten Anſpruch auf die Aufmerk-<lb/> ſamkeit, Achtung und Hoffnung aller guten Menſchen.</p><lb/> <p>Alſo noch einmal: <hi rendition="#fr">Jn jeder Menſchenphyſiognomie,</hi> ſo verdorben ſie ſeyn mag, iſt<lb/> noch <hi rendition="#fr">Menſchheit</hi> — das iſt, <hi rendition="#fr">Ebenbild der Gottheit!</hi> —</p><lb/> <p>Jch habe die verruchteſten Menſchen geſehen — geſehen in den verruchteſten Augenblicken<lb/> ihres Lebens — und — all’ ihre Bosheit und Gotteslaͤſterung und Draͤngen der Unſchuld konnte<lb/> nicht vertilgen das Licht Gottes in ihrem Angeſichte, das iſt — den Geiſt der Menſchheit, die un-<lb/> ausloͤſchbaren Zuͤge innerer ewiger Perfektibilitaͤt — den <hi rendition="#fr">Suͤnder</hi> haͤtte man zermalmen — den<lb/><hi rendition="#fr">Menſchen</hi> noch umarmen moͤgen.</p><lb/> <p>O Phyſiognomik! welche Buͤrgſchaft biſt du mir — fuͤr die ewige Huld Gottes gegen die<lb/> Menſchen! — Jch armer Unmenſch, wollt’ ich ſagen — denn wie oft bin ich das in ſchauerhaf-<lb/> ten Augenblicken hoͤlzerner Seelenloſigkeit! — Jch armer Unmenſch kann, wenn ein Stral der<lb/> Phyſiognomik mich anleuchtet, den ich in einen zerſchmetternden Blitz wider alle Unmenſchheit im<lb/> Menſchen verwandeln moͤchte — ich kann in demſelben Augenblicke kaum aufhoͤren, in die Menſch-<lb/> heit, die noch durchſcheint, verliebt zu ſeyn — Ewiger, Einziger Vater aller Liebe und Menſch-<lb/> lichkeit — wie muß dir beym Anblicke der ſchlimmſten Menſchen zu Muthe ſeyn — was mußt du<lb/> noch in ihnen entdecken. — Jſt wohl Einer — ohn’ allen Zug deines Ebenbildes — Jeſus<lb/> Chriſtus — —</p><lb/> <p>Alſo — Forſcher der Natur! forſche, was da iſt! — alſo Menſch — ſey Menſch in allen<lb/> deinen Unterſuchungen! vergleiche nicht ſogleich — vergleiche nicht bloß mit willkuͤhrlichen Jdea-<lb/> len. Wo Kraft iſt — iſt etwas bewundernswuͤrdiges, etwas unerforſchliches; — und Kraft, —<lb/> menſchliche, oder, wenn du lieber willſt, goͤttliche Kraft, iſt in allen Menſchen. <hi rendition="#fr">Wo Menſchheit<lb/> iſt, da iſt Familienſache.</hi> Du biſt Menſch, und was Menſch neben dir iſt, iſt — Zweig Eines<lb/> Stammes, Glied Eines Leibes; — iſt, was du biſt — noch mehr achtungswerth, als wenn’s<lb/> gerade das, gerade ſo gut, ſo edel waͤre, wie du — weil es dann ja nicht mehr das einzelne, das<lb/> unentbehrliche, das unerſetzbare Jndividuum waͤre, das es itzt iſt. — —</p><lb/> <p><hi rendition="#fr">O Menſch, freue dich deß, was ſich ſeines Daſeyns freut, und dulde, was Gott<lb/> duldet</hi> —</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Jtzt</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [31/0053]
Trefflichkeit aller Menſchengeſtalten.
Dadurch hat auch die ſchlechteſte Phyſiognomie gegruͤndeten Anſpruch auf die Aufmerk-
ſamkeit, Achtung und Hoffnung aller guten Menſchen.
Alſo noch einmal: Jn jeder Menſchenphyſiognomie, ſo verdorben ſie ſeyn mag, iſt
noch Menſchheit — das iſt, Ebenbild der Gottheit! —
Jch habe die verruchteſten Menſchen geſehen — geſehen in den verruchteſten Augenblicken
ihres Lebens — und — all’ ihre Bosheit und Gotteslaͤſterung und Draͤngen der Unſchuld konnte
nicht vertilgen das Licht Gottes in ihrem Angeſichte, das iſt — den Geiſt der Menſchheit, die un-
ausloͤſchbaren Zuͤge innerer ewiger Perfektibilitaͤt — den Suͤnder haͤtte man zermalmen — den
Menſchen noch umarmen moͤgen.
O Phyſiognomik! welche Buͤrgſchaft biſt du mir — fuͤr die ewige Huld Gottes gegen die
Menſchen! — Jch armer Unmenſch, wollt’ ich ſagen — denn wie oft bin ich das in ſchauerhaf-
ten Augenblicken hoͤlzerner Seelenloſigkeit! — Jch armer Unmenſch kann, wenn ein Stral der
Phyſiognomik mich anleuchtet, den ich in einen zerſchmetternden Blitz wider alle Unmenſchheit im
Menſchen verwandeln moͤchte — ich kann in demſelben Augenblicke kaum aufhoͤren, in die Menſch-
heit, die noch durchſcheint, verliebt zu ſeyn — Ewiger, Einziger Vater aller Liebe und Menſch-
lichkeit — wie muß dir beym Anblicke der ſchlimmſten Menſchen zu Muthe ſeyn — was mußt du
noch in ihnen entdecken. — Jſt wohl Einer — ohn’ allen Zug deines Ebenbildes — Jeſus
Chriſtus — —
Alſo — Forſcher der Natur! forſche, was da iſt! — alſo Menſch — ſey Menſch in allen
deinen Unterſuchungen! vergleiche nicht ſogleich — vergleiche nicht bloß mit willkuͤhrlichen Jdea-
len. Wo Kraft iſt — iſt etwas bewundernswuͤrdiges, etwas unerforſchliches; — und Kraft, —
menſchliche, oder, wenn du lieber willſt, goͤttliche Kraft, iſt in allen Menſchen. Wo Menſchheit
iſt, da iſt Familienſache. Du biſt Menſch, und was Menſch neben dir iſt, iſt — Zweig Eines
Stammes, Glied Eines Leibes; — iſt, was du biſt — noch mehr achtungswerth, als wenn’s
gerade das, gerade ſo gut, ſo edel waͤre, wie du — weil es dann ja nicht mehr das einzelne, das
unentbehrliche, das unerſetzbare Jndividuum waͤre, das es itzt iſt. — —
O Menſch, freue dich deß, was ſich ſeines Daſeyns freut, und dulde, was Gott
duldet —
Jtzt
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |