Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.VI. Fragment. Beantwortung Erziehung und Umgang kann die Miene des Stolzes geben, wenn das Herz demü- V. Einwendung. "Man sieht Mechaniker, die bey unglaublicher Geschicklichkeit, die allerfeinsten Arbei- Antwort. Man stelle, wenn ich bitten darf, diese groben und feinen Körper neben einander, und Die meisten Naturgeschichtsschreiber geben dem Elephanten ein plumpes und dummes Es kömmt nicht so fast auf die Masse, als auf die Natur, die Beweglichkeit, innere Ferner: Zartheit ist nicht Kraft. Kraft ist nicht Feinheit. Apelles zeichnet mit einer Wenn's der Künstler, von dem Jhr sprecht, nirgends in seinem Gesichte, seinem Aeusser- tet,
VI. Fragment. Beantwortung Erziehung und Umgang kann die Miene des Stolzes geben, wenn das Herz demuͤ- V. Einwendung. „Man ſieht Mechaniker, die bey unglaublicher Geſchicklichkeit, die allerfeinſten Arbei- Antwort. Man ſtelle, wenn ich bitten darf, dieſe groben und feinen Koͤrper neben einander, und Die meiſten Naturgeſchichtsſchreiber geben dem Elephanten ein plumpes und dummes Es koͤmmt nicht ſo faſt auf die Maſſe, als auf die Natur, die Beweglichkeit, innere Ferner: Zartheit iſt nicht Kraft. Kraft iſt nicht Feinheit. Apelles zeichnet mit einer Wenn’s der Kuͤnſtler, von dem Jhr ſprecht, nirgends in ſeinem Geſichte, ſeinem Aeuſſer- tet,
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VI. Fragment. Beantwortung
Erziehung und Umgang kann die Miene des Stolzes geben, wenn das Herz demuͤ-
thig iſt. Aber dieß demuͤthige Herz wird durch die Miene des Stolzes durchſcheinen, wie Son-
nenſtral durch duͤnne Wolken.
V. Einwendung.
„Man ſieht Mechaniker, die bey unglaublicher Geſchicklichkeit, die allerfeinſten Arbei-
„ten zu verfertigen, und ſie zur groͤßeſten Vollkommenheit zu bringen, wahre Baͤren- und Holz-
„hackerhaͤnde und Koͤrper hatten; feine Frauenzimmerhaͤnde, die zu allen ſubtilen mechaniſchen
„Verrichtungen ganz unfaͤhig waren.“ —
Antwort.
Man ſtelle, wenn ich bitten darf, dieſe groben und feinen Koͤrper neben einander, und
vergleiche ſie! —
Die meiſten Naturgeſchichtsſchreiber geben dem Elephanten ein plumpes und dummes
Anſehen — und befremden ſich in Ruͤckſicht auf dieſe anſcheinende Dummheit, oder vielmehr
dieſen angedichteten Schein von Dummheit — uͤber ſeine mannichfaltigen feinen Geſchicklichkeiten.
Man ſtell’ aber den Elephanten neben das zaͤrtere Laͤmmlein — welches zeigt, ohne Proben, bloß
durch den Bau und die Gelenkſamkeit ſeines Koͤrpers mehr — Geſchicklichkeit?
Es koͤmmt nicht ſo faſt auf die Maſſe, als auf die Natur, die Beweglichkeit, innere
Empfindſamkeit, die Nerven, den Bau, die Gelenkſamkeit des Koͤrpers an.
Ferner: Zartheit iſt nicht Kraft. Kraft iſt nicht Feinheit. Apelles zeichnet mit einer
Kohle beſſer, als mancher Miniaturmahler mit dem feinſten Pinſel. Der Mechaniker kann grobe
Werkzeuge und eine feine Seele haben. Die feine Seele arbeitet durch den plumpen Finger
beſſer, als die ſtumpfe Seele durch den feinen. —
Wenn’s der Kuͤnſtler, von dem Jhr ſprecht, nirgends in ſeinem Geſichte, ſeinem Aeuſſer-
lichen zeigt, was er iſt, ſo habt Jhr gewonnen! aber eh’ Jhr hieruͤber entſcheidet, muͤßt Jhr die
mannichfaltigen Kennzeichen des mechaniſchen Genies wiſſen. Habt Jhr die Helle, Schaͤrfe, oder
Tiefe ſeiner Augen, habt Jhr die Schnelligkeit und treffende Beſtimmtheit und Feſtigkeit ſeines
Blickes, habt Jhr ſeine ſcharfen Augenknochen, habt Jhr den Bogen, den Vorbug ſeiner Stirne,
die Gelenkſamkeit ſeiner zarten oder maſſiven Glieder — habt Jhr das alles bemerkt, beobach-
tet,
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