Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.Siebentes Fragment. Ueber Verstellung, Falschheit und Aufrichtigkeit. Eine der gemeinsten und mächtigsten Einwendungen gegen die Zuverlässigkeit der Physiogno- "Die Menschen, sagt man, geben sich alle erdenkliche Mühe, weiser, besser, redlicher Dieß ist die Einwendung, die ich in ihrer ganzen Stärke vorzutragen glaube. Jch will Vor allen Dingen will ich vollkommen zugeben -- "Man kann es in der Verstellungs- Allein, ungeachtet ich dieses von ganzem Herzen zugebe, halt' ich dennoch die Einwen- Fürs erste -- "weil es unzählige Dinge in dem Aeussern des Menschen giebt, wobey nicht Zweytens,
Siebentes Fragment. Ueber Verſtellung, Falſchheit und Aufrichtigkeit. Eine der gemeinſten und maͤchtigſten Einwendungen gegen die Zuverlaͤſſigkeit der Phyſiogno- „Die Menſchen, ſagt man, geben ſich alle erdenkliche Muͤhe, weiſer, beſſer, redlicher Dieß iſt die Einwendung, die ich in ihrer ganzen Staͤrke vorzutragen glaube. Jch will Vor allen Dingen will ich vollkommen zugeben — „Man kann es in der Verſtellungs- Allein, ungeachtet ich dieſes von ganzem Herzen zugebe, halt’ ich dennoch die Einwen- Fuͤrs erſte — „weil es unzaͤhlige Dinge in dem Aeuſſern des Menſchen giebt, wobey nicht Zweytens,
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Siebentes Fragment.
Ueber Verſtellung, Falſchheit und Aufrichtigkeit.
Eine der gemeinſten und maͤchtigſten Einwendungen gegen die Zuverlaͤſſigkeit der Phyſiogno-
mik, iſt die allgemeine aufs hoͤchſte getriebene Verſtellungskunſt der Menſchen. Wir werden
ſehr viel gewonnen haben, wenn wir dieſe Einwendung gruͤndlich werden beantworten koͤnnen.
„Die Menſchen, ſagt man, geben ſich alle erdenkliche Muͤhe, weiſer, beſſer, redlicher
„zu ſcheinen, als ſie ſind. Sie ſtudieren die Miene, den Ton, die Gebehrden der heiterſten
„Redlichkeit. Es gelingt ihnen in ihrer Kunſt. Sie koͤnnen taͤuſchen und betruͤgen; ſie koͤn-
„nen jeden Zweifel, jeden Verdacht in Abſicht auf ihre Redlichkeit zerſtreuen und entfernen.
„Die verſtaͤndigſten, die ſcharfſichtigſten Menſchenkenner, und ſolche ſogar, die ſich mit Beob-
„achtung der Phyſiognomien abgeben, ſind oft durch ihr angenommenes Weſen betrogen wor-
„den, und werden taͤglich dadurch betrogen; — wie kann alſo die Phyſiognomik jemals eine
„zuverlaͤſſige Wiſſenſchaft werden?“
Dieß iſt die Einwendung, die ich in ihrer ganzen Staͤrke vorzutragen glaube. Jch will
antworten.
Vor allen Dingen will ich vollkommen zugeben — „Man kann es in der Verſtellungs-
„kunſt erſtaunlich weit bringen — und erſtaunlich koͤnnen ſich deswegen auch ſcharfſichtige Men-
„ſchen in der Beurtheilung des Menſchen irren.“
Allein, ungeachtet ich dieſes von ganzem Herzen zugebe, halt’ ich dennoch die Einwen-
dung, in Abſicht auf die Zuverlaͤſſigkeit der Phyſiognomik, bey weitem fuͤr ſo wichtig nicht, als
man gemeiniglich glaubt und andre glauben machen will, und dieſes vornehmlich um zweyer
Gruͤnde willen.
Fuͤrs erſte — „weil es unzaͤhlige Dinge in dem Aeuſſern des Menſchen giebt, wobey nicht
„die mindeſte Verſtellung Statt hat, und gerade ſolche Dinge, welche ſehr zuverlaͤſſige Merk-
„male ſeines innern Charakters ſind.“
Zweytens,
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