Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

diejenigen sind, welche das Theater am fleißig-
sten besuchen.

"Die Rolle des Cecils ist eine Nebenrolle,
und eine sehr frostige Nebenrolle. Solche krie-
chende Schmeichler zu mahlen, muß man die
Farben in seiner Gewalt haben, mit welchen
Racine den Narcissus geschildert hat."

"Die vorgebliche Herzoginn von Irton ist eine
vernünftige tugendhafte Frau, die sich durch
ihre Liebe zu dem Grafen weder die Ungnade der
Elisabeth zuziehen, noch ihren Liebhaber heyra-
then wollen. Dieser Charakter würde sehr
schön seyn, wenn er mehr Leben hätte, und
wenn er zur Verwickelung etwas beytrüge; aber
hier vertritt sie bloß die Stelle eines Freundes.
Das ist für das Theater nicht hinlänglich."

"Mich dünket, daß alles, was die Personen
in dieser Tragödie sagen und thun, immer noch
sehr schielend, verwirret und unbestimmet ist.
Die Handlung muß deutlich, der Knoten ver-
ständlich, und jede Gesinnung plan und natür-
lich seyn: das sind die ersten, wesentlichsten
Regeln. Aber was will Essex? Was will Eli-
sabeth? Worinn besteht das Verbrechen des
Grafen? Ist er schuldig, oder ist er fälschlich
angeklagt? Wenn ihn die Königinn für un-
schuldig hält, so muß sie sich seiner annehmen.
Ist er aber schuldig: so ist es sehr unvernünftig,
die Vertraute sagen zu lassen, daß er nimmer-
mehr

diejenigen ſind, welche das Theater am fleißig-
ſten beſuchen.

〟Die Rolle des Cecils iſt eine Nebenrolle,
und eine ſehr froſtige Nebenrolle. Solche krie-
chende Schmeichler zu mahlen, muß man die
Farben in ſeiner Gewalt haben, mit welchen
Racine den Narciſſus geſchildert hat.〟

〟Die vorgebliche Herzoginn von Irton iſt eine
vernuͤnftige tugendhafte Frau, die ſich durch
ihre Liebe zu dem Grafen weder die Ungnade der
Eliſabeth zuziehen, noch ihren Liebhaber heyra-
then wollen. Dieſer Charakter wuͤrde ſehr
ſchoͤn ſeyn, wenn er mehr Leben haͤtte, und
wenn er zur Verwickelung etwas beytruͤge; aber
hier vertritt ſie bloß die Stelle eines Freundes.
Das iſt fuͤr das Theater nicht hinlaͤnglich.〟

〟Mich duͤnket, daß alles, was die Perſonen
in dieſer Tragoͤdie ſagen und thun, immer noch
ſehr ſchielend, verwirret und unbeſtimmet iſt.
Die Handlung muß deutlich, der Knoten ver-
ſtaͤndlich, und jede Geſinnung plan und natuͤr-
lich ſeyn: das ſind die erſten, weſentlichſten
Regeln. Aber was will Eſſex? Was will Eli-
ſabeth? Worinn beſteht das Verbrechen des
Grafen? Iſt er ſchuldig, oder iſt er faͤlſchlich
angeklagt? Wenn ihn die Koͤniginn fuͤr un-
ſchuldig haͤlt, ſo muß ſie ſich ſeiner annehmen.
Iſt er aber ſchuldig: ſo iſt es ſehr unvernuͤnftig,
die Vertraute ſagen zu laſſen, daß er nimmer-
mehr
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0204" n="190"/>
diejenigen &#x017F;ind, welche das Theater am fleißig-<lb/>
&#x017F;ten be&#x017F;uchen.</p><lb/>
        <cit>
          <quote>&#x301F;Die Rolle des Cecils i&#x017F;t eine Nebenrolle,<lb/>
und eine &#x017F;ehr fro&#x017F;tige Nebenrolle. Solche krie-<lb/>
chende Schmeichler zu mahlen, muß man die<lb/>
Farben in &#x017F;einer Gewalt haben, mit welchen<lb/>
Racine den Narci&#x017F;&#x017F;us ge&#x017F;childert hat.&#x301F;</quote>
        </cit><lb/>
        <cit>
          <quote>&#x301F;Die vorgebliche Herzoginn von Irton i&#x017F;t eine<lb/>
vernu&#x0364;nftige tugendhafte Frau, die &#x017F;ich durch<lb/>
ihre Liebe zu dem Grafen weder die Ungnade der<lb/>
Eli&#x017F;abeth zuziehen, noch ihren Liebhaber heyra-<lb/>
then wollen. Die&#x017F;er Charakter wu&#x0364;rde &#x017F;ehr<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n &#x017F;eyn, wenn er mehr Leben ha&#x0364;tte, und<lb/>
wenn er zur Verwickelung etwas beytru&#x0364;ge; aber<lb/>
hier vertritt &#x017F;ie bloß die Stelle eines Freundes.<lb/>
Das i&#x017F;t fu&#x0364;r das Theater nicht hinla&#x0364;nglich.&#x301F;</quote>
        </cit><lb/>
        <cit>
          <quote>&#x301F;Mich du&#x0364;nket, daß alles, was die Per&#x017F;onen<lb/>
in die&#x017F;er Trago&#x0364;die &#x017F;agen und thun, immer noch<lb/>
&#x017F;ehr &#x017F;chielend, verwirret und unbe&#x017F;timmet i&#x017F;t.<lb/>
Die Handlung muß deutlich, der Knoten ver-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndlich, und jede Ge&#x017F;innung plan und natu&#x0364;r-<lb/>
lich &#x017F;eyn: das &#x017F;ind die er&#x017F;ten, we&#x017F;entlich&#x017F;ten<lb/>
Regeln. Aber was will E&#x017F;&#x017F;ex? Was will Eli-<lb/>
&#x017F;abeth? Worinn be&#x017F;teht das Verbrechen des<lb/>
Grafen? I&#x017F;t er &#x017F;chuldig, oder i&#x017F;t er fa&#x0364;l&#x017F;chlich<lb/>
angeklagt? Wenn ihn die Ko&#x0364;niginn fu&#x0364;r un-<lb/>
&#x017F;chuldig ha&#x0364;lt, &#x017F;o muß &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;einer annehmen.<lb/>
I&#x017F;t er aber &#x017F;chuldig: &#x017F;o i&#x017F;t es &#x017F;ehr unvernu&#x0364;nftig,<lb/>
die Vertraute &#x017F;agen zu la&#x017F;&#x017F;en, daß er nimmer-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mehr</fw><lb/></quote>
        </cit>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0204] diejenigen ſind, welche das Theater am fleißig- ſten beſuchen. 〟Die Rolle des Cecils iſt eine Nebenrolle, und eine ſehr froſtige Nebenrolle. Solche krie- chende Schmeichler zu mahlen, muß man die Farben in ſeiner Gewalt haben, mit welchen Racine den Narciſſus geſchildert hat.〟 〟Die vorgebliche Herzoginn von Irton iſt eine vernuͤnftige tugendhafte Frau, die ſich durch ihre Liebe zu dem Grafen weder die Ungnade der Eliſabeth zuziehen, noch ihren Liebhaber heyra- then wollen. Dieſer Charakter wuͤrde ſehr ſchoͤn ſeyn, wenn er mehr Leben haͤtte, und wenn er zur Verwickelung etwas beytruͤge; aber hier vertritt ſie bloß die Stelle eines Freundes. Das iſt fuͤr das Theater nicht hinlaͤnglich.〟 〟Mich duͤnket, daß alles, was die Perſonen in dieſer Tragoͤdie ſagen und thun, immer noch ſehr ſchielend, verwirret und unbeſtimmet iſt. Die Handlung muß deutlich, der Knoten ver- ſtaͤndlich, und jede Geſinnung plan und natuͤr- lich ſeyn: das ſind die erſten, weſentlichſten Regeln. Aber was will Eſſex? Was will Eli- ſabeth? Worinn beſteht das Verbrechen des Grafen? Iſt er ſchuldig, oder iſt er faͤlſchlich angeklagt? Wenn ihn die Koͤniginn fuͤr un- ſchuldig haͤlt, ſo muß ſie ſich ſeiner annehmen. Iſt er aber ſchuldig: ſo iſt es ſehr unvernuͤnftig, die Vertraute ſagen zu laſſen, daß er nimmer- mehr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/204
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/204>, abgerufen am 31.10.2024.