diejenigen sind, welche das Theater am fleißig- sten besuchen.
"Die Rolle des Cecils ist eine Nebenrolle, und eine sehr frostige Nebenrolle. Solche krie- chende Schmeichler zu mahlen, muß man die Farben in seiner Gewalt haben, mit welchen Racine den Narcissus geschildert hat." "Die vorgebliche Herzoginn von Irton ist eine vernünftige tugendhafte Frau, die sich durch ihre Liebe zu dem Grafen weder die Ungnade der Elisabeth zuziehen, noch ihren Liebhaber heyra- then wollen. Dieser Charakter würde sehr schön seyn, wenn er mehr Leben hätte, und wenn er zur Verwickelung etwas beytrüge; aber hier vertritt sie bloß die Stelle eines Freundes. Das ist für das Theater nicht hinlänglich." "Mich dünket, daß alles, was die Personen in dieser Tragödie sagen und thun, immer noch sehr schielend, verwirret und unbestimmet ist. Die Handlung muß deutlich, der Knoten ver- ständlich, und jede Gesinnung plan und natür- lich seyn: das sind die ersten, wesentlichsten Regeln. Aber was will Essex? Was will Eli- sabeth? Worinn besteht das Verbrechen des Grafen? Ist er schuldig, oder ist er fälschlich angeklagt? Wenn ihn die Königinn für un- schuldig hält, so muß sie sich seiner annehmen. Ist er aber schuldig: so ist es sehr unvernünftig, die Vertraute sagen zu lassen, daß er nimmer-
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diejenigen ſind, welche das Theater am fleißig- ſten beſuchen.
〟Die Rolle des Cecils iſt eine Nebenrolle, und eine ſehr froſtige Nebenrolle. Solche krie- chende Schmeichler zu mahlen, muß man die Farben in ſeiner Gewalt haben, mit welchen Racine den Narciſſus geſchildert hat.〟 〟Die vorgebliche Herzoginn von Irton iſt eine vernuͤnftige tugendhafte Frau, die ſich durch ihre Liebe zu dem Grafen weder die Ungnade der Eliſabeth zuziehen, noch ihren Liebhaber heyra- then wollen. Dieſer Charakter wuͤrde ſehr ſchoͤn ſeyn, wenn er mehr Leben haͤtte, und wenn er zur Verwickelung etwas beytruͤge; aber hier vertritt ſie bloß die Stelle eines Freundes. Das iſt fuͤr das Theater nicht hinlaͤnglich.〟 〟Mich duͤnket, daß alles, was die Perſonen in dieſer Tragoͤdie ſagen und thun, immer noch ſehr ſchielend, verwirret und unbeſtimmet iſt. Die Handlung muß deutlich, der Knoten ver- ſtaͤndlich, und jede Geſinnung plan und natuͤr- lich ſeyn: das ſind die erſten, weſentlichſten Regeln. Aber was will Eſſex? Was will Eli- ſabeth? Worinn beſteht das Verbrechen des Grafen? Iſt er ſchuldig, oder iſt er faͤlſchlich angeklagt? Wenn ihn die Koͤniginn fuͤr un- ſchuldig haͤlt, ſo muß ſie ſich ſeiner annehmen. Iſt er aber ſchuldig: ſo iſt es ſehr unvernuͤnftig, die Vertraute ſagen zu laſſen, daß er nimmer-
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diejenigen ſind, welche das Theater am fleißig-
ſten beſuchen.
〟Die Rolle des Cecils iſt eine Nebenrolle,
und eine ſehr froſtige Nebenrolle. Solche krie-
chende Schmeichler zu mahlen, muß man die
Farben in ſeiner Gewalt haben, mit welchen
Racine den Narciſſus geſchildert hat.〟
〟Die vorgebliche Herzoginn von Irton iſt eine
vernuͤnftige tugendhafte Frau, die ſich durch
ihre Liebe zu dem Grafen weder die Ungnade der
Eliſabeth zuziehen, noch ihren Liebhaber heyra-
then wollen. Dieſer Charakter wuͤrde ſehr
ſchoͤn ſeyn, wenn er mehr Leben haͤtte, und
wenn er zur Verwickelung etwas beytruͤge; aber
hier vertritt ſie bloß die Stelle eines Freundes.
Das iſt fuͤr das Theater nicht hinlaͤnglich.〟
〟Mich duͤnket, daß alles, was die Perſonen
in dieſer Tragoͤdie ſagen und thun, immer noch
ſehr ſchielend, verwirret und unbeſtimmet iſt.
Die Handlung muß deutlich, der Knoten ver-
ſtaͤndlich, und jede Geſinnung plan und natuͤr-
lich ſeyn: das ſind die erſten, weſentlichſten
Regeln. Aber was will Eſſex? Was will Eli-
ſabeth? Worinn beſteht das Verbrechen des
Grafen? Iſt er ſchuldig, oder iſt er faͤlſchlich
angeklagt? Wenn ihn die Koͤniginn fuͤr un-
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/204>, abgerufen am 31.10.2024.
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