Männer Schrecken zu werden sucht, und der bey allem diesen kein schlechtes Herz hat. Die herrschende Verderbniß der Sitten und Grund- sätze scheinet ihn mit fortgerissen zu haben. Gott- lob! daß ein Deutscher, der so leben will, das verderbteste Herz von der Welt haben muß. -- Hilaria, des Nikanders Frau, die er vier Wo- chen nach der Hochzeit verlassen, und nunmehr in zehn Jahren nicht gesehen hat, kömmt auf den Einfall ihn aufzusuchen. Sie kleidet sich als eine Mannsperson, und folgt ihm, unter dem Namen Philint, in alle Häuser nach, wo er Avanturen sucht. Philint ist witziger, flat- terhafter und unverschämter als Nikander. Das Frauenzimmer ist dem Philint mehr gewogen, und sobald er mit seinem frechen aber doch arti- gen Wesen sich sehen läßt, stehet Nikander da wie verstummt. Dieses giebt Gelegenheit zu sehr lebhaften Situationen. Die Erfindung ist artig, der zweyfache Charakter wohl gezeich- net, und glücklich in Bewegung gesetzt; aber das Original zu diesem nachgeahmten Petit- maitre ist gewiß kein Deutscher."
"Was mir, fährt er fort, sonst an diesem Lustspiele mißfällt, ist der Charakter des Age- nors. Den Triumph der guten Frauen voll- kommen zu machen, zeigt dieser Agenor den Ehe- mann von einer gar zu häßlichen Seite. Er
ty-
F f f 3
Maͤnner Schrecken zu werden ſucht, und der bey allem dieſen kein ſchlechtes Herz hat. Die herrſchende Verderbniß der Sitten und Grund- ſaͤtze ſcheinet ihn mit fortgeriſſen zu haben. Gott- lob! daß ein Deutſcher, der ſo leben will, das verderbteſte Herz von der Welt haben muß. — Hilaria, des Nikanders Frau, die er vier Wo- chen nach der Hochzeit verlaſſen, und nunmehr in zehn Jahren nicht geſehen hat, koͤmmt auf den Einfall ihn aufzuſuchen. Sie kleidet ſich als eine Mannsperſon, und folgt ihm, unter dem Namen Philint, in alle Haͤuſer nach, wo er Avanturen ſucht. Philint iſt witziger, flat- terhafter und unverſchaͤmter als Nikander. Das Frauenzimmer iſt dem Philint mehr gewogen, und ſobald er mit ſeinem frechen aber doch arti- gen Weſen ſich ſehen laͤßt, ſtehet Nikander da wie verſtummt. Dieſes giebt Gelegenheit zu ſehr lebhaften Situationen. Die Erfindung iſt artig, der zweyfache Charakter wohl gezeich- net, und gluͤcklich in Bewegung geſetzt; aber das Original zu dieſem nachgeahmten Petit- maitre iſt gewiß kein Deutſcher.〟
〟Was mir, faͤhrt er fort, ſonſt an dieſem Luſtſpiele mißfaͤllt, iſt der Charakter des Age- nors. Den Triumph der guten Frauen voll- kommen zu machen, zeigt dieſer Agenor den Ehe- mann von einer gar zu haͤßlichen Seite. Er
ty-
F f f 3
<TEI><text><body><divn="1"><p><cit><quote><pbfacs="#f0427"n="413"/>
Maͤnner Schrecken zu werden ſucht, und der<lb/>
bey allem dieſen kein ſchlechtes Herz hat. Die<lb/>
herrſchende Verderbniß der Sitten und Grund-<lb/>ſaͤtze ſcheinet ihn mit fortgeriſſen zu haben. Gott-<lb/>
lob! daß ein Deutſcher, der ſo leben will, das<lb/>
verderbteſte Herz von der Welt haben muß. —<lb/>
Hilaria, des Nikanders Frau, die er vier Wo-<lb/>
chen nach der Hochzeit verlaſſen, und nunmehr<lb/>
in zehn Jahren nicht geſehen hat, koͤmmt auf<lb/>
den Einfall ihn aufzuſuchen. Sie kleidet ſich<lb/>
als eine Mannsperſon, und folgt ihm, unter<lb/>
dem Namen Philint, in alle Haͤuſer nach, wo<lb/>
er Avanturen ſucht. Philint iſt witziger, flat-<lb/>
terhafter und unverſchaͤmter als Nikander. Das<lb/>
Frauenzimmer iſt dem Philint mehr gewogen,<lb/>
und ſobald er mit ſeinem frechen aber doch arti-<lb/>
gen Weſen ſich ſehen laͤßt, ſtehet Nikander da<lb/>
wie verſtummt. Dieſes giebt Gelegenheit zu<lb/>ſehr lebhaften Situationen. Die Erfindung<lb/>
iſt artig, der zweyfache Charakter wohl gezeich-<lb/>
net, und gluͤcklich in Bewegung geſetzt; aber<lb/>
das Original zu dieſem nachgeahmten Petit-<lb/>
maitre iſt gewiß kein Deutſcher.〟</quote></cit></p><lb/><p><cit><quote>〟Was mir,</quote></cit> faͤhrt er fort, <cit><quote>ſonſt an dieſem<lb/>
Luſtſpiele mißfaͤllt, iſt der Charakter des Age-<lb/>
nors. Den Triumph der guten Frauen voll-<lb/>
kommen zu machen, zeigt dieſer Agenor den Ehe-<lb/>
mann von einer gar zu haͤßlichen Seite. Er<lb/><fwplace="bottom"type="sig">F f f 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">ty-</fw><lb/></quote></cit></p></div></body></text></TEI>
[413/0427]
Maͤnner Schrecken zu werden ſucht, und der
bey allem dieſen kein ſchlechtes Herz hat. Die
herrſchende Verderbniß der Sitten und Grund-
ſaͤtze ſcheinet ihn mit fortgeriſſen zu haben. Gott-
lob! daß ein Deutſcher, der ſo leben will, das
verderbteſte Herz von der Welt haben muß. —
Hilaria, des Nikanders Frau, die er vier Wo-
chen nach der Hochzeit verlaſſen, und nunmehr
in zehn Jahren nicht geſehen hat, koͤmmt auf
den Einfall ihn aufzuſuchen. Sie kleidet ſich
als eine Mannsperſon, und folgt ihm, unter
dem Namen Philint, in alle Haͤuſer nach, wo
er Avanturen ſucht. Philint iſt witziger, flat-
terhafter und unverſchaͤmter als Nikander. Das
Frauenzimmer iſt dem Philint mehr gewogen,
und ſobald er mit ſeinem frechen aber doch arti-
gen Weſen ſich ſehen laͤßt, ſtehet Nikander da
wie verſtummt. Dieſes giebt Gelegenheit zu
ſehr lebhaften Situationen. Die Erfindung
iſt artig, der zweyfache Charakter wohl gezeich-
net, und gluͤcklich in Bewegung geſetzt; aber
das Original zu dieſem nachgeahmten Petit-
maitre iſt gewiß kein Deutſcher.〟
〟Was mir, faͤhrt er fort, ſonſt an dieſem
Luſtſpiele mißfaͤllt, iſt der Charakter des Age-
nors. Den Triumph der guten Frauen voll-
kommen zu machen, zeigt dieſer Agenor den Ehe-
mann von einer gar zu haͤßlichen Seite. Er
ty-
F f f 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/427>, abgerufen am 31.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.