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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843.

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nach ihrem Stammschlosse zu begleiten. Jetzt
am Morgen standen drei Männer an einem
frisch aufgeworfenen Grabe. Es waren Herr
Meier, Eduard und Joseph. Sie hatten es
von ihren Freunden als eine Gunst verlangt,
daß man ihnen allein die Bestattung des
theuern Lieblings überlasse, und Niemand hatte
es gewagt, ihre Trauer zu stören. Hell ging
die Sonne an dem heitern Himmel auf, der
freundlichste Herbstmorgen beleuchtete Jenny's
Grab. Einsam standen die Ihren auf dem
fremden christlichen Kirchhof, auf dem nun
Jenny fern von ihrer Mutter, fern von jedem
Blutsverwandten ruhte. Starr und schweigend
sah der unglückliche Vater zur Erde nieder, die
sein Kind bedeckte, als aus Joseph's Brust der
der Ausruf: "Wozu leben wir noch?" herzzer-
reißend zum Himmel tönte und die ersten Thrä-
nen in die Augen des Vaters lockte.

Da richtete Eduard sich mächtig empor:

nach ihrem Stammſchloſſe zu begleiten. Jetzt
am Morgen ſtanden drei Männer an einem
friſch aufgeworfenen Grabe. Es waren Herr
Meier, Eduard und Joſeph. Sie hatten es
von ihren Freunden als eine Gunſt verlangt,
daß man ihnen allein die Beſtattung des
theuern Lieblings überlaſſe, und Niemand hatte
es gewagt, ihre Trauer zu ſtören. Hell ging
die Sonne an dem heitern Himmel auf, der
freundlichſte Herbſtmorgen beleuchtete Jenny's
Grab. Einſam ſtanden die Ihren auf dem
fremden chriſtlichen Kirchhof, auf dem nun
Jenny fern von ihrer Mutter, fern von jedem
Blutsverwandten ruhte. Starr und ſchweigend
ſah der unglückliche Vater zur Erde nieder, die
ſein Kind bedeckte, als aus Joſeph's Bruſt der
der Ausruf: „Wozu leben wir noch?“ herzzer-
reißend zum Himmel tönte und die erſten Thrä-
nen in die Augen des Vaters lockte.

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[305/0315] nach ihrem Stammſchloſſe zu begleiten. Jetzt am Morgen ſtanden drei Männer an einem friſch aufgeworfenen Grabe. Es waren Herr Meier, Eduard und Joſeph. Sie hatten es von ihren Freunden als eine Gunſt verlangt, daß man ihnen allein die Beſtattung des theuern Lieblings überlaſſe, und Niemand hatte es gewagt, ihre Trauer zu ſtören. Hell ging die Sonne an dem heitern Himmel auf, der freundlichſte Herbſtmorgen beleuchtete Jenny's Grab. Einſam ſtanden die Ihren auf dem fremden chriſtlichen Kirchhof, auf dem nun Jenny fern von ihrer Mutter, fern von jedem Blutsverwandten ruhte. Starr und ſchweigend ſah der unglückliche Vater zur Erde nieder, die ſein Kind bedeckte, als aus Joſeph's Bruſt der der Ausruf: „Wozu leben wir noch?“ herzzer- reißend zum Himmel tönte und die erſten Thrä- nen in die Augen des Vaters lockte. Da richtete Eduard ſich mächtig empor:

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/315>, abgerufen am 13.06.2024.