Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.weißt es, fuhr meine Mutter fort, ich und der Onkel wünschten uns zu verbinden, als ich in deinem Alter war. Ja, rief ich, darum hatte ich ihn stets so lieb, und darum, Onkel, liebst du mich ja auch. -- Also, du willigst ein? fragte der Onkel, mein Alter schreckt dich nicht? -- Wenn ich dir nur nicht zu gering bin, sagte ich, indem ich ihm die Hand gab und mir die Thränen in die Augen kamen, denn ich fühlte mich der Ehre gar nicht werth, einem Krieger anzugehören, der wie der Onkel in das Feld zog. Nun denn, in Gottes Namen! rief der Onkel, indem er mich umarmte, und gegen meine Mutter gewendet sagte er: Geben Sie Julien getrost Ihren Segen. Sie soll es nicht bereuen, daß sie mir vertraut. -- Die Mutter legte mir ihre Hände auf das Haupt, der Onkel, sie und ich waren Alle sehr bewegt, und Keines von uns konnte sprechen. Als wir uns dann beruhigt hatten, verließ der Onkel uns, um die Schritte zur Trauung zu thun, von der Niemand erfahren sollte, bis er der Traubewilligung gewiß war. Die Mutter war nachdenklich und schweigsam, ich befand mich in einer wunderbaren Verfassung. Meine Gedanken hatten plötzlich eine neue und ganz unerwartete Richtung erhalten; ich kam mir gar nicht mehr wie Dieselbe vor. Alles, was ich für die Zukunft in unbestimmten Wünschen und Träumen ersehnt, fiel in ein Nichts zusammen, ein Unerwartetes, Ungekanntes und doch Festbestimmtes stand mit Einem Male vor mir. weißt es, fuhr meine Mutter fort, ich und der Onkel wünschten uns zu verbinden, als ich in deinem Alter war. Ja, rief ich, darum hatte ich ihn stets so lieb, und darum, Onkel, liebst du mich ja auch. — Also, du willigst ein? fragte der Onkel, mein Alter schreckt dich nicht? — Wenn ich dir nur nicht zu gering bin, sagte ich, indem ich ihm die Hand gab und mir die Thränen in die Augen kamen, denn ich fühlte mich der Ehre gar nicht werth, einem Krieger anzugehören, der wie der Onkel in das Feld zog. Nun denn, in Gottes Namen! rief der Onkel, indem er mich umarmte, und gegen meine Mutter gewendet sagte er: Geben Sie Julien getrost Ihren Segen. Sie soll es nicht bereuen, daß sie mir vertraut. — Die Mutter legte mir ihre Hände auf das Haupt, der Onkel, sie und ich waren Alle sehr bewegt, und Keines von uns konnte sprechen. Als wir uns dann beruhigt hatten, verließ der Onkel uns, um die Schritte zur Trauung zu thun, von der Niemand erfahren sollte, bis er der Traubewilligung gewiß war. Die Mutter war nachdenklich und schweigsam, ich befand mich in einer wunderbaren Verfassung. Meine Gedanken hatten plötzlich eine neue und ganz unerwartete Richtung erhalten; ich kam mir gar nicht mehr wie Dieselbe vor. Alles, was ich für die Zukunft in unbestimmten Wünschen und Träumen ersehnt, fiel in ein Nichts zusammen, ein Unerwartetes, Ungekanntes und doch Festbestimmtes stand mit Einem Male vor mir. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="diaryEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0068"/> weißt es, fuhr meine Mutter fort, ich und der Onkel wünschten uns zu verbinden, als ich in deinem Alter war. Ja, rief ich, darum hatte ich ihn stets so lieb, und darum, Onkel, liebst du mich ja auch. — Also, du willigst ein? fragte der Onkel, mein Alter schreckt dich nicht? — Wenn ich dir nur nicht zu gering bin, sagte ich, indem ich ihm die Hand gab und mir die Thränen in die Augen kamen, denn ich fühlte mich der Ehre gar nicht werth, einem Krieger anzugehören, der wie der Onkel in das Feld zog.</p><lb/> <p>Nun denn, in Gottes Namen! rief der Onkel, indem er mich umarmte, und gegen meine Mutter gewendet sagte er: Geben Sie Julien getrost Ihren Segen. Sie soll es nicht bereuen, daß sie mir vertraut. — Die Mutter legte mir ihre Hände auf das Haupt, der Onkel, sie und ich waren Alle sehr bewegt, und Keines von uns konnte sprechen. Als wir uns dann beruhigt hatten, verließ der Onkel uns, um die Schritte zur Trauung zu thun, von der Niemand erfahren sollte, bis er der Traubewilligung gewiß war.</p><lb/> <p>Die Mutter war nachdenklich und schweigsam, ich befand mich in einer wunderbaren Verfassung. Meine Gedanken hatten plötzlich eine neue und ganz unerwartete Richtung erhalten; ich kam mir gar nicht mehr wie Dieselbe vor. Alles, was ich für die Zukunft in unbestimmten Wünschen und Träumen ersehnt, fiel in ein Nichts zusammen, ein Unerwartetes, Ungekanntes und doch Festbestimmtes stand mit Einem Male vor mir.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0068]
weißt es, fuhr meine Mutter fort, ich und der Onkel wünschten uns zu verbinden, als ich in deinem Alter war. Ja, rief ich, darum hatte ich ihn stets so lieb, und darum, Onkel, liebst du mich ja auch. — Also, du willigst ein? fragte der Onkel, mein Alter schreckt dich nicht? — Wenn ich dir nur nicht zu gering bin, sagte ich, indem ich ihm die Hand gab und mir die Thränen in die Augen kamen, denn ich fühlte mich der Ehre gar nicht werth, einem Krieger anzugehören, der wie der Onkel in das Feld zog.
Nun denn, in Gottes Namen! rief der Onkel, indem er mich umarmte, und gegen meine Mutter gewendet sagte er: Geben Sie Julien getrost Ihren Segen. Sie soll es nicht bereuen, daß sie mir vertraut. — Die Mutter legte mir ihre Hände auf das Haupt, der Onkel, sie und ich waren Alle sehr bewegt, und Keines von uns konnte sprechen. Als wir uns dann beruhigt hatten, verließ der Onkel uns, um die Schritte zur Trauung zu thun, von der Niemand erfahren sollte, bis er der Traubewilligung gewiß war.
Die Mutter war nachdenklich und schweigsam, ich befand mich in einer wunderbaren Verfassung. Meine Gedanken hatten plötzlich eine neue und ganz unerwartete Richtung erhalten; ich kam mir gar nicht mehr wie Dieselbe vor. Alles, was ich für die Zukunft in unbestimmten Wünschen und Träumen ersehnt, fiel in ein Nichts zusammen, ein Unerwartetes, Ungekanntes und doch Festbestimmtes stand mit Einem Male vor mir.
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Zitationshilfe: | Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/68>, abgerufen am 13.06.2024. |