Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883]."Die Kathe, in der ich geboren war, Die abgebrannt diese Nacht, In der hatt' ich an achtzig Jahr' Mich mühsam durchs Leben gebracht. Mein Mann starb früh, ein Sohn blieb nach, Der ließ mich im Stich, als ich krank und schwach. Oft hab' ich ihm bittend geschrieben, Doch stets ist er weggeblieben. Vergangen Jahr endlich kehrt' er zurück, Und fordert, ich solle hinaus, Und dann, ein altes, verbrauchtes Stück, Verwelken im Armenhaus. Ich bat die Gerichte, die halfen mir auch, Zum Schornstein zog wieder der einsame Rauch. Da kam nochmals vor einigen Tagen Mein Sohn mit Weib und mit Wagen. Und gestern, Herr, gestern um Mittagszeit -- Ich konnte doch nichts dafür, Daß meinetwegen Zank und Streit -- Sie warfen mich aus der Thür. Ich schlug mir die alten Knochen wund, Und liegen blieb ich wie der Hund. Dann trieb mich ein heißes Verlangen, Und ich bin zu Nis Nissen gegangen. Dort kauft' ich Zündhölzer, Petroleum, Und ging aufs Feld hinaus. Und als am Abend alles stumm, Schlich ich mich an das Haus. Ich horchte am Laden, an Ritz' und Spalt, Daß Alles im Schlafe, ich merkt' es bald. Und eh' sie erwachten beide, Entzündete rings ich die Heide. „Die Kathe, in der ich geboren war, Die abgebrannt dieſe Nacht, In der hatt’ ich an achtzig Jahr’ Mich mühſam durchs Leben gebracht. Mein Mann ſtarb früh, ein Sohn blieb nach, Der ließ mich im Stich, als ich krank und ſchwach. Oft hab’ ich ihm bittend geſchrieben, Doch ſtets iſt er weggeblieben. Vergangen Jahr endlich kehrt’ er zurück, Und fordert, ich ſolle hinaus, Und dann, ein altes, verbrauchtes Stück, Verwelken im Armenhaus. Ich bat die Gerichte, die halfen mir auch, Zum Schornſtein zog wieder der einſame Rauch. Da kam nochmals vor einigen Tagen Mein Sohn mit Weib und mit Wagen. Und geſtern, Herr, geſtern um Mittagszeit — Ich konnte doch nichts dafür, Daß meinetwegen Zank und Streit — Sie warfen mich aus der Thür. Ich ſchlug mir die alten Knochen wund, Und liegen blieb ich wie der Hund. Dann trieb mich ein heißes Verlangen, Und ich bin zu Nis Niſſen gegangen. Dort kauft’ ich Zündhölzer, Petroleum, Und ging aufs Feld hinaus. Und als am Abend alles ſtumm, Schlich ich mich an das Haus. Ich horchte am Laden, an Ritz’ und Spalt, Daß Alles im Schlafe, ich merkt’ es bald. Und eh’ ſie erwachten beide, Entzündete rings ich die Heide. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0110" n="102"/> <lg n="10"> <l>„Die Kathe, in der ich geboren war,</l><lb/> <l>Die abgebrannt dieſe Nacht,</l><lb/> <l>In der hatt’ ich an achtzig Jahr’</l><lb/> <l>Mich mühſam durchs Leben gebracht.</l><lb/> <l>Mein Mann ſtarb früh, ein Sohn blieb nach,</l><lb/> <l>Der ließ mich im Stich, als ich krank und ſchwach.</l><lb/> <l>Oft hab’ ich ihm bittend geſchrieben,</l><lb/> <l>Doch ſtets iſt er weggeblieben.</l> </lg><lb/> <lg n="11"> <l>Vergangen Jahr endlich kehrt’ er zurück,</l><lb/> <l>Und fordert, ich ſolle hinaus,</l><lb/> <l>Und dann, ein altes, verbrauchtes Stück,</l><lb/> <l>Verwelken im Armenhaus.</l><lb/> <l>Ich bat die Gerichte, die halfen mir auch,</l><lb/> <l>Zum Schornſtein zog wieder der einſame Rauch.</l><lb/> <l>Da kam nochmals vor einigen Tagen</l><lb/> <l>Mein Sohn mit Weib und mit Wagen.</l> </lg><lb/> <lg n="12"> <l>Und geſtern, Herr, geſtern um Mittagszeit</l><lb/> <l>— Ich konnte doch nichts dafür,</l><lb/> <l>Daß meinetwegen Zank und Streit —</l><lb/> <l>Sie warfen mich aus der Thür.</l><lb/> <l>Ich ſchlug mir die alten Knochen wund,</l><lb/> <l>Und liegen blieb ich wie der Hund.</l><lb/> <l>Dann trieb mich ein heißes Verlangen,</l><lb/> <l>Und ich bin zu Nis Niſſen gegangen.</l> </lg><lb/> <lg n="13"> <l>Dort kauft’ ich Zündhölzer, Petroleum,</l><lb/> <l>Und ging aufs Feld hinaus.</l><lb/> <l>Und als am Abend alles ſtumm,</l><lb/> <l>Schlich ich mich an das Haus.</l><lb/> <l>Ich horchte am Laden, an Ritz’ und Spalt,</l><lb/> <l>Daß Alles im Schlafe, ich merkt’ es bald.</l><lb/> <l>Und eh’ ſie erwachten beide,</l><lb/> <l>Entzündete rings ich die Heide.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [102/0110]
„Die Kathe, in der ich geboren war,
Die abgebrannt dieſe Nacht,
In der hatt’ ich an achtzig Jahr’
Mich mühſam durchs Leben gebracht.
Mein Mann ſtarb früh, ein Sohn blieb nach,
Der ließ mich im Stich, als ich krank und ſchwach.
Oft hab’ ich ihm bittend geſchrieben,
Doch ſtets iſt er weggeblieben.
Vergangen Jahr endlich kehrt’ er zurück,
Und fordert, ich ſolle hinaus,
Und dann, ein altes, verbrauchtes Stück,
Verwelken im Armenhaus.
Ich bat die Gerichte, die halfen mir auch,
Zum Schornſtein zog wieder der einſame Rauch.
Da kam nochmals vor einigen Tagen
Mein Sohn mit Weib und mit Wagen.
Und geſtern, Herr, geſtern um Mittagszeit
— Ich konnte doch nichts dafür,
Daß meinetwegen Zank und Streit —
Sie warfen mich aus der Thür.
Ich ſchlug mir die alten Knochen wund,
Und liegen blieb ich wie der Hund.
Dann trieb mich ein heißes Verlangen,
Und ich bin zu Nis Niſſen gegangen.
Dort kauft’ ich Zündhölzer, Petroleum,
Und ging aufs Feld hinaus.
Und als am Abend alles ſtumm,
Schlich ich mich an das Haus.
Ich horchte am Laden, an Ritz’ und Spalt,
Daß Alles im Schlafe, ich merkt’ es bald.
Und eh’ ſie erwachten beide,
Entzündete rings ich die Heide.
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Zitationshilfe: | Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883], S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/110>, abgerufen am 17.06.2024. |