Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883].Wie muß, heimdenkend, oft am Deich ich lehnen, Mir jedes ferne dunkle Pünktchen buchend. Gleich Iphigenie, mit endlosem Sehnen, Das Land der Griechen mit der Seele suchend. Kein Schiff in Sicht, nur rege weiße Mähnen, Und ich entferne mich, den Tag verfluchend. Es rötet die Erinnerung neuer Rost. Ein letzter Blick aufs Meer und -- ah, die Post: Im Osten, weit, noch hinterm Horizonte, Wenn dies Paradoxon vielleicht erlaubt ist, Zeigt sich ein Rauch gleich einer Nebelfronte, (Verzeihung für das Wort, das sehr geschraubt ist.) Doch näher, wie bestimmt ich sehen konnte, Erscheint ein schwarzer Schornstein, der behaubt ist. Und dauert auch noch Stunden seine Fahrt, Bald liegt mein Schiff im Hafen wohlverwahrt. Was bringt die Post, was kann sie Alles bringen, Trübsal und Trost, Freud', Bettelbrief und Trauer. Heut eine Nachricht, daß wir überspringen Im Jubelrausch die allerhöchste Mauer. Kann sein, daß morgen wir die Hände ringen, Mißlaunig sitzen wie der Kauz im Bauer. Das Erste ist die Prüfung der Adressen, Den lesen gleich wir, jenen nach dem Essen. Es brachte mir die Post heut Allerlei: Die Rundschau, Magazin und Nord und Süd, Kaluga's Fahrt vom Ob zum Jenisei; Daß mir zwei Füllen fielen im Gestüt. Ein Freundesbrief klang frisch und kummerfrei, Ein andrer trostlos, trüb und wegesmüd. Auch sandte mir ein Los Herr Lilienfeld Mit sichrer Aussicht auf ein Heidengeld. Wie muß, heimdenkend, oft am Deich ich lehnen, Mir jedes ferne dunkle Pünktchen buchend. Gleich Iphigenie, mit endloſem Sehnen, Das Land der Griechen mit der Seele ſuchend. Kein Schiff in Sicht, nur rege weiße Mähnen, Und ich entferne mich, den Tag verfluchend. Es rötet die Erinnerung neuer Roſt. Ein letzter Blick aufs Meer und — ah, die Poſt: Im Oſten, weit, noch hinterm Horizonte, Wenn dies Paradoxon vielleicht erlaubt iſt, Zeigt ſich ein Rauch gleich einer Nebelfronte, (Verzeihung für das Wort, das ſehr geſchraubt iſt.) Doch näher, wie beſtimmt ich ſehen konnte, Erſcheint ein ſchwarzer Schornſtein, der behaubt iſt. Und dauert auch noch Stunden ſeine Fahrt, Bald liegt mein Schiff im Hafen wohlverwahrt. Was bringt die Poſt, was kann ſie Alles bringen, Trübſal und Troſt, Freud’, Bettelbrief und Trauer. Heut eine Nachricht, daß wir überſpringen Im Jubelrauſch die allerhöchſte Mauer. Kann ſein, daß morgen wir die Hände ringen, Mißlaunig ſitzen wie der Kauz im Bauer. Das Erſte iſt die Prüfung der Adreſſen, Den leſen gleich wir, jenen nach dem Eſſen. Es brachte mir die Poſt heut Allerlei: Die Rundſchau, Magazin und Nord und Süd, Kaluga’s Fahrt vom Ob zum Jeniſei; Daß mir zwei Füllen fielen im Geſtüt. Ein Freundesbrief klang friſch und kummerfrei, Ein andrer troſtlos, trüb und wegesmüd. Auch ſandte mir ein Los Herr Lilienfeld Mit ſichrer Ausſicht auf ein Heidengeld. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0126" n="118"/> <lg n="4"> <l>Wie muß, heimdenkend, oft am Deich ich lehnen,</l><lb/> <l>Mir jedes ferne dunkle Pünktchen buchend.</l><lb/> <l>Gleich Iphigenie, mit endloſem Sehnen,</l><lb/> <l>Das Land der Griechen mit der Seele ſuchend.</l><lb/> <l>Kein Schiff in Sicht, nur rege weiße Mähnen,</l><lb/> <l>Und ich entferne mich, den Tag verfluchend.</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Es rötet die Erinnerung neuer Roſt.</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Ein letzter Blick aufs Meer und — ah, die Poſt:</hi> </l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Im Oſten, weit, noch hinterm Horizonte,</l><lb/> <l>Wenn dies Paradoxon vielleicht erlaubt iſt,</l><lb/> <l>Zeigt ſich ein Rauch gleich einer Nebelfronte,</l><lb/> <l>(Verzeihung für das Wort, das ſehr geſchraubt iſt.)</l><lb/> <l>Doch näher, wie beſtimmt ich ſehen konnte,</l><lb/> <l>Erſcheint ein ſchwarzer Schornſtein, der behaubt iſt.</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Und dauert auch noch Stunden ſeine Fahrt,</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Bald liegt mein Schiff im Hafen wohlverwahrt.</hi> </l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Was bringt die Poſt, was kann ſie Alles bringen,</l><lb/> <l>Trübſal und Troſt, Freud’, Bettelbrief und Trauer.</l><lb/> <l>Heut eine Nachricht, daß wir überſpringen</l><lb/> <l>Im Jubelrauſch die allerhöchſte Mauer.</l><lb/> <l>Kann ſein, daß morgen wir die Hände ringen,</l><lb/> <l>Mißlaunig ſitzen wie der Kauz im Bauer.</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Das Erſte iſt die Prüfung der Adreſſen,</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Den leſen gleich wir, jenen nach dem Eſſen.</hi> </l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Es brachte mir die Poſt heut Allerlei:</l><lb/> <l>Die Rundſchau, Magazin und Nord und Süd,</l><lb/> <l>Kaluga’s Fahrt vom Ob zum Jeniſei;</l><lb/> <l>Daß mir zwei Füllen fielen im Geſtüt.</l><lb/> <l><hi rendition="#g">Ein</hi> Freundesbrief klang friſch und kummerfrei,</l><lb/> <l>Ein andrer troſtlos, trüb und wegesmüd.</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Auch ſandte mir ein Los Herr Lilienfeld</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Mit ſichrer Ausſicht auf ein Heidengeld.</hi> </l> </lg><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [118/0126]
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Gleich Iphigenie, mit endloſem Sehnen,
Das Land der Griechen mit der Seele ſuchend.
Kein Schiff in Sicht, nur rege weiße Mähnen,
Und ich entferne mich, den Tag verfluchend.
Es rötet die Erinnerung neuer Roſt.
Ein letzter Blick aufs Meer und — ah, die Poſt:
Im Oſten, weit, noch hinterm Horizonte,
Wenn dies Paradoxon vielleicht erlaubt iſt,
Zeigt ſich ein Rauch gleich einer Nebelfronte,
(Verzeihung für das Wort, das ſehr geſchraubt iſt.)
Doch näher, wie beſtimmt ich ſehen konnte,
Erſcheint ein ſchwarzer Schornſtein, der behaubt iſt.
Und dauert auch noch Stunden ſeine Fahrt,
Bald liegt mein Schiff im Hafen wohlverwahrt.
Was bringt die Poſt, was kann ſie Alles bringen,
Trübſal und Troſt, Freud’, Bettelbrief und Trauer.
Heut eine Nachricht, daß wir überſpringen
Im Jubelrauſch die allerhöchſte Mauer.
Kann ſein, daß morgen wir die Hände ringen,
Mißlaunig ſitzen wie der Kauz im Bauer.
Das Erſte iſt die Prüfung der Adreſſen,
Den leſen gleich wir, jenen nach dem Eſſen.
Es brachte mir die Poſt heut Allerlei:
Die Rundſchau, Magazin und Nord und Süd,
Kaluga’s Fahrt vom Ob zum Jeniſei;
Daß mir zwei Füllen fielen im Geſtüt.
Ein Freundesbrief klang friſch und kummerfrei,
Ein andrer troſtlos, trüb und wegesmüd.
Auch ſandte mir ein Los Herr Lilienfeld
Mit ſichrer Ausſicht auf ein Heidengeld.
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Zitationshilfe: | Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883], S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/126>, abgerufen am 17.06.2024. |